Berufschancen des Martin Fourcade
Ein Großer sagt Au revoir
Martin Fourcade hat ein Jahrzehnt lang den Biathlonsport dominiert. Nun beendete er seine Karriere. Der Franzose wird dem Sport fehlen – vor allem seine Stimme und sein Charakter. Doch was kommt jetzt? Wird er vielleicht Frankreichs neuer Geheimagent?
In der französischen Sportzeitung „L‘Équipe“ dominierte vor knapp zwei Wochen nur ein Thema. Nein, die Corona-Krise war es nicht und auch nicht die daraus resultierende Lahmlegung der beiden höchsten französischen Fußballliegen. Biathlet Martin Fourcade hatte seinen Rücktritt erklärt. Leise und überraschend. Frankreichs erfolgreichster Olympiateilnehmer sagt „Au Revoir“.
Unzählige Siege
Martin Fourcade ist ein Star in seiner Heimat. Mit fünf Olympiasiegen, dreizehn WM-Titeln, 79 Weltcup- und sieben Gesamtweltcupsiegen zählt er zu den erfolgreichsten Biathleten in der Geschichte des Sports. Über Jahre hatte der Franzose den Sport dominiert wie kein anderer.
Der Preis von Pyeongchang
Nach der olympischen Saison sah man 2018/19 dann einen Fourcade, den man nicht kannte: Fast müde und kraftlos wirkte er auf der Strecke, Andere überholten ihn, die Saison brach er frühzeitig ab. Siebenmal in Folge hatte er den Gesamtweltcup gewonnen. Sieben Jahre lang war er der beste Biathlet der Welt gewesen. Das Gelbe Trikot, von dem er sagt, dass es für ihn wie eine zweite Haut war, trug plötzlich Jemand anderes – nämlich der Norweger Johannes Thinges Bö.
“Ich habe viel gewonnen in meiner Karriere. Viel mehr, als ich gedacht habe. Wenn ich einen Tag nicht gewonnen habe, dann eben am nächsten. Letztes Jahr habe ich das verloren. Ich habe meine Stärke verloren. Und gemerkt, dass Biathlon schwierig ist.”
Martin Fourcade über seine Saison 2018/19 im Spiegel
Heute weiß der Franzose: Die schlechteste Saison seiner Karriere war der Preis seiner Olympiasiege in Pyeongchang und den unzähligen Projekten, die ihm im darauffolgenden Sommer dadurch angeboten worden waren. Die Folge: Weniger Trainingsstunden und eine mangelnde Regeneration.
Gold in Antholz
Doch diese Saison kam Fourcade zurück. Er bewies allen, dass er immer noch konkurrenzfähig ist. Bei den Weltmeisterschaften im italienischen Antholz gewann er Gold im Einzel – der Königsdisziplin über 20 km.
“Ich bin stolz, wieder zurück zu sein und gegen meine Zweifel und Albträume zu kämpfen.”
Martin Fourcade nach seiner Goldmedaille im Spiegel
Eine weitere Medaille sollte noch folgen: Gold, zusammen mit seinen Teamkollegen, in der Staffel. Zehn Jahre lang hatte er darauf gewartet. Im Nachhinein erzählt er: Der Staffelsieg war der Moment, in dem ihm klar wurde, dass seine Karriere jetzt enden soll.
Doch was kommt jetzt?
Am Tag nach seiner Rücktrittserklärung gewann Fourcade in Kontiolahti sein 79. Weltcup-Rennen. Einer Legende würdig verabschiedete er sich mit einem Sieg. An jenem Ort, an dem ihm exakt zehn Jahre zuvor sein erster Sieg gelang. Aber was wird jetzt aus Frankreichs Superstar?
Als Super-Detektiv im Dopingkampf?
Einige Topstars halten sich zurück, wenn es um Äußerungen bezüglich Doping geht. Fourcade tat dies allerdings nie. Im Gegenteil: Er nutzte seine hohe Stellung um Missstände zu kritisieren – tat dies auch als Athletensprecher. Häufig gab er sich Wortgefechte mit dem einst wegen EPO- gesperrten Russen Loginow. Kein anderer Sportler war so ein Kritiker im russischen Dopingskandal wie er.
„Er war immer ein starker und lauter Verfechter für sauberen Sport.“
Olle Dahlin, IBU Weltverbands-Präsident in der FAZ
Ein Bild wird vielen sicher im Kopf bleiben: jenes bei dem die russische Staffel 2017 bei der WM in Hochfilzen Bronze gewann – Fourcade aus Protest allerdings früher das Podium verließ. Provozieren konnte er schon immer. Als Detektiv im Kampf gegen Dopingsünder wäre er sicherlich erfolgreich – mindestens genauso wie im Biathlon.
Oder vielleicht Schachtrainer?
An manchen Tagen fuhr er rückwärts ins Ziel oder schnallte sich kurz vorher die Skier ab und ging den Rest zu Fuß. An anderen streckte er nach dem letzten Schießen demonstrativ die Faust in die Luft – auch wenn seine Konkurrenten direkt hinter ihm standen. Viele Kritiker und Konkurrenten nannten das respektlos und arrogant. Fourcade wusste wie er seine Konkurrenz verunsichern konnte – wie man Psycho- und Taktikspielchen spielt. Er polarisierte und provozierte oft.
Fourcade hatte Fähigkeiten, die nicht viele in so einem ausgeprägten Maße wie er besaßen. Nämlich taktische Finesse und mentale Stärke. Als Schachtrainer würde er sicherlich keinen schlechten Job machen.
Fourcade: Der neue 007?
Nach wie vor zählt der Franzose zu den besten Schützen des Feldes. Liegend ist er mit einer Trefferquote von 95% sogar der Beste. Erik Lesser bezeichnete ihn einmal mit dem Wort “Maschine”. Jahrelang eilte er von Sieg zu Sieg. Viele Konkurrenten bissen sich an ihm die Zähne aus.
“Früher habe ich das Trikot am ersten Tag der Saison angezogen und am letzten wieder aus, Jahr für Jahr. Es wurde eine Selbstverständlichkeit.”
Martin Fourcade über das gelbe Trikot in der FAZ
Kein Wunder, dass man sich irgendwann unschlagbar fühlt, wenn selbst am schlechtesten Tag noch ein gutes Ergebnis herauskommt. Fourcade war eben ein Ausnahmeathlet. Zweifelsohne könnte er der neue James Bond werden – nicht nur weil er ein guter Schütze oder Athlet ist. Nein, der Franzose liebt auch den Schmerz. Dann, wenn es darum geht in der letzten Runde jede Sekunde herauszuholen, alle Kräfte zu mobilisieren. Fourcade ist nicht nur schmerztauglich. Er ist auch unkaputtbar. Genauso wie ein Bond eben sein sollte…
Er wird fehlen
Doch was aus ihm auch werden mag: Martin Fourcade wird dem Biathlonsport fehlen. Ein Mann der sich vergangene Saison gewandelt hat: Vom einst arroganten Athelten zum Sympathieträger. Seine Horrorsaison 2018/19 hat ihm Demut gelernt, ihn reifen lassen. Dieser Ausnahmesportler ist zum Teamplayer geworden.
“Ich habe gekämpft und gewonnen. Ich habe auch gelitten. Ich bin gefallen und aufgestanden. Vor allem bin ich erwachsen geworden.”
Martin Fourcade in seiner Rücktrittserklärung auf Facebook
Jetzt will er auf anderen Wegen wachsen, sagt er, als Mann und als Vater.