Jahrestag des Rana Plaza Unglücks
Ein Appell an das Gewissen
Die Diskussion um “Fair Fashion” ist in der Modewelt allgegenwärtig geworden. Viele Labels behaupten, ihre Produkte würden unter guten Bedingungen produziert. Aber wie genau wird “fair fashion” eigentlich umgesetzt?
Vor ziemlich genau sieben Jahren, am 24.4.2013, stürzte das Rana Plaza Gebäude, eine Textilfabrik in Bangladesch, ein und begrub tausende Menschen unter sich. Die meisten von ihnen Näher*innen mit minimalem Stundenlohn.
Grund für den Einsturz waren vor allem der fehlende Gebäudeschutz und die mangelnden Sicherheitsmaßnahmen. Nach der Tragödie wurden die schlechten Verhältnisse in den Fabriken stark kritisiert, die betroffenen Konzerne versuchten ihr Image zu verteidigen.
Die Produktionsbedingungen heute
Viel verbessert hat sich seit dem Unglück in Bangladesch allerdings nicht, sagt Dr. Sabine Ferenschild, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene in Bonn. Zwar habe sich bei der Gebäudesicherheit viel getan, was auch auf das Engagement von Initiativen wie Bangladesh Accord zurückgehe. Allerdings würden die Beschäftigten immer noch viel zu niedrige Löhne bekommen und hätten weiterhin zu selten die Möglichkeit, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren.
Außerdem dürfe nicht vergessen werden, dass sich in vielen anderen Ländern, in denen auch Kleidung für den internationalen Markt produziert wird, sehr wenig bis gar nichts getan hat, so Ferenschild.
Dabei sieht Ferenschild ganz besonders die Bekleidungsunternehmen in der Pflicht. Das Unternehmen H&M zum Beispiel habe sein Ziel verfehlt, bis 2018 sicherzustellen, dass bei allen Zulieferern existenzsichernde Löhne gezahlt werden. Einzelne Vorreiter unter den Unternehmen würden beweisen, dass eine nachhaltigere Produktion trotz des hohen Konkurrenzdrucks möglich ist. Aber:
„Wir brauchen, damit das zum Massenmarkt wird, eine Transformation unserer Gesamtwirtschaft, in der Nachhaltigkeitskriterien unmittelbar in die Produktion einfließen und nicht der schnelle Gewinn mehr zählt.“
Dr. Sabine Ferenschild im M94.5 Interview
Billigproduktion auf Kosten der Arbeiter
H&M gehört zu den größten Modeunternehmen der Welt. Ihr Credo: „Mode und Qualität zum besten Preis.“ Um das Versprechen halten zu können, produziert der Konzern vorwiegend in Entwicklungsländern. Dort ist nicht nur der Lohn um ein Vielfaches geringer, sondern auch die Standards für Arbeitsbedingungen und Sicherheit sind mit den europäischen nicht vergleichbar, sagt Sabine Ferenschild. Trotzdem erklärt H&M auf Anfrage von M94.5:
„Wir sind davon überzeugt, dass sich unsere Präsenz vor Ort positiv auswirkt – nicht zuletzt, da wir zu rund 1,6 Millionen Arbeitsplätzen entlang unserer Wertschöpfungskette beitragen.“
H&M auf Nachfrage von M94.5
H&M betont, man wolle weiterhin an der Nachhaltigkeit des Unternehmens arbeiten. Ein systematischer Wandel sei aber für einen Weltkonzern zu komplex und deshalb nur durch Zusammenarbeit mit anderen zu erreichen.
Faire Mode ist noch keine Massenware
Für Caroline Klein und Philipp Seidl sind sichere Arbeitsbedingungen und die faire Vergütung ihrer Näher*innen Selbstverständlichkeit. Sie haben ihr eigenes Modelabel Phil & Lui in München gegründet. Die Kleidung wird hauptsächlich von Familienbetrieben in Portugal und gemäß der weltweit anerkannten GOTS-Richtlinien (Global Organic Textil Standards) produziert. Das größte Problem sehen die beiden im fehlenden Wissen der Endverbraucher.
„Textil ist hat keinen Stellenwert mehr. Seit T-Shirts für ein paar Euro erhältlich sind, ist die Wertschätzung der Kunden verloren gegangen.“
Philipp Seidl im M94.5 Interview
Die meisten Konsumenten wüssten nicht, wie sich der Preis von Kleidung zusammensetzt. Die Aufklärungsarbeit liege heutzutage bei den kleineren Unternehmen. Um aber wirklich flächendeckend das Wissen und die Wertschätzung für Textil wiederherzustellen, müssten die großen Marken ihre Reichweite nutzen, erklärt uns Caroline. Die beiden appellieren aber auch an den Endverbraucher, sich das eigene Konsumverhalten bewusst zu machen.
Die Konsumentenrolle
Dieser Meinung ist auch Dr. Sabine Ferenschild. Wer jede Woche neue Kleidung kauft und Altes aussortiert, sei der ideale Kunde für Fast Fashion-Unternehmen, nicht aber für nachhaltige Anbieter. Immer wieder höre sie von Politikern oder Unternehmen, dass die Kunden ja gar nichts anderes wollten. Mit solchen Aussagen kann Ferenschild nichts anfangen. Sie ist sich sicher:
„Bei Umfragen sehen wir immer wieder, dass die Menschen gerne nachhaltiger konsumieren würden, aber dass ihnen eben oft das Wissen fehlt, wie man nachhaltiger konsumieren kann.“
Sabine Ferenschild im M94.5 Interview