radikal jung 2019
Dritte Republik
Am Hamburger Thalia Theater hatte das Stück “Dritte Republik” von Thomas Köck seine Uraufführung. Jetzt kommt es im Rahmen des radikal jung nach München. Es geht um Fragen nach Grenzen und Nationen sowie um die unausweichliche Wiederholung der Vergangenheit.
Dichte Nebelschwaden ziehen sich durch das Volkstheater, als Barbara Nüsse die Bühne betritt. Sie flucht. Über den gottverdammten Schneesturm, den viel zu großen Koffer mit den Messinstrumenten und den Auftrag, den sie bekommen hat. Jetzt, wo der Krieg vorbei ist, soll sie das Land neu vermessen und die Grenzen Österreichs (oder Europas?) bestimmen. Doch wo diese Grenzen genau sein sollen in dem Sturm, der durch eine große Windmaschine immer wieder angefacht wird, und wo sie sich selbst befindet, weiß die Landvermesserin nicht. Ihre Fragen verklingen in der Einöde und im Unwetter.
Vom Krieg versehrt
Bei ihrer Suche trifft die Landvermesserin auf allerhand kuriose Gestalten, die auf ihre Weise durch den Krieg gezeichnet wurden. Da ist, zum Beispiel, die blinde Fallschirmspringerin (Victoria Trauttmansdorff), die zynisch mit Bierdose in der Hand über das Geschehene monologisiert. Nationen sind die irrwitzigsten Fiktionen und Kriege hören niemals auf. Das ist schließlich ihre Erkenntnis. Da ist der Kutscher, gespielt von Björn Meyer, der in der Abgeschiedenheit vergebens auf einen Arzt wartet und sinniert, dass der Mensch sich am Ende selbst abschafft. Weitere Figuren sind ein posttraumatischer Patient (Bekim Latifi), der dem Fitness- und Optimierungswahn verfallen ist und ein Reeder (groß: Tilo Werner), der sich angesichts der stetigen Wiederholung historischer Fehltritte und der fehlenden Lernfähigkeit der Menscheit immer wieder eine Kugel in den Kopf jagen muss.
Vergangen und doch erschreckend aktuell
Die Zeit der Handlung ist im Jahr 1918 angesiedelt, doch der Text, besser gesagt das Textgewebe, stellt mal direkt (“Smoothie”, “PowerPoint”, “Seehofer”), mal indirekt (Nationalstolz, mächtige Männer), immer wieder Bezüge zur Gegenwart her. Die Verwendung verschiedener literarischer Quellen, wie “Das Schloss” von Kafka, bietet dabei eine breite Assoziationsfläche, auf der sich Gedanken zu verschiedensten Zeiten, historischen Ereignissen und Gesellschaftsstrukturen bilden lassen. Denn Fragen nach Grenzen und Nationen, nach Herrschaft und Demokratie und danach in welcher Gesellschaft wir leben wollen, ziehen sich durch sämtliche Jahrhunderte. “Dritte Republik” ist ein Stück, das auf assoziative und teilweise surreale Weise Textfragmente und Ideen zusammenbringt, die dem Zuschauer eindrücklich gesellschaftspolitische Themen vor Augen führen. Schade ist nur, dass nicht im richtigen Moment aufgehört wird. Nach einer starken Szene mit dem suizidalen Reeder, der aufrüttelnd anklagt, wieso immer und immer wieder Kriege um Grenzen geführt werden und niemand etwas aus vergangenen Katastrophen lernt, wäre so ein Moment gewesen. Stattdessen darf die Landvermesserin noch einmal auftreten und mit einer kleinen Kehrmaschine auf der Bühne herumfahren. Ein etwas dünnes Ende nach all den wichtigen Gedanken, die an diesem Abend in den Raum gestellt wurden.
“Dritte Republik” in der Regie von Thomas Köck und Elsa-Sophie Jach war als Gastspiel beim radikal jung Festival zu sehen.