75 Jahre Befreiung KZ Dachau
Erinnerung ohne Begegnung
Während der Corona-Pandemie mussten wie viele andere Veranstaltungen auch die Gedenkveranstaltungen an die Verbrechen des Nationalsozialismus abgesagt werden. Und das ausgerechnet zum 75. Jahrestag der Befreiung vieler Konzentrationslager. KZ-Gedenkstätten schaffen nun digitale Möglichkeiten, um dem Gedenken Raum zu geben – für Dachau wird am 3. Mai eine eigens erstellte Website freigeschaltet.
„Millionen Menschen sind gestorben. Menschen aller Völker, Kulturen und Religionen. Es gab die Massengräber, die die Säulen des heutigen Europas sind, da in ihnen Frauen und Männer gemeinsam begraben sind. Hass hat zu alldem geführt. Man darf niemals hassen, man muss reden, diskutieren, denn letztendlich gibt es immer eine Lösung, ohne die Menschenrechte von irgendjemandem mit Füßen zu treten. In diesem Moment müssen wir mehr denn je Zeugnis geben.“
Diese Worte schreibt der ehemalige KZ-Häftling Riccardo Goruppi in seiner Grußbotschaft, die ab 3. Mai auf der Seite der KZ-Gedenkstätte Dachau zugänglich sein wird. Neben Riccardo Goruppi haben weitere 28 Überlebende und vier Befreier des Konzentrationslagers Dachau einen schriftlichen Gruß gesandt. Auch Videobotschaften von geladenen Gästen wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Ministerpräsident Markus Söder werden auf der Website zu sehen sein. Die Kränze, die jedes Jahr von zahlreichen Staaten, Organisationen und Parteien niedergelegt werden, werden in einer Fotogalerie abgebildet.
„Die Überlebenden sind die letzten Zeugen.“
Um im Dialog die Erinnerung vor Ort lebendig zu halten und die Freundschaft zu anderen Überlebenden zu pflegen, kommen Überlebende, Befreier und deren Angehörige jedes Jahr zur Gedenkfeier zurück an die KZ-Gedenkstätte. Dachau wurde als erstes Konzentrationslager 1933 eröffnet und wurde als eines der letzten am 29. April 1945 von den Alliierten befreit. Fast 42.000 Menschen wurden insgesamt in Dachau ermordet oder starben in Folge von Hunger und Krankheit, viele weitere wurden in Vernichtungslager deportiert. 32.000 kranke und erschöpfte Menschen konnten von der US-amerikanischen Armee befreit werden. „Die Überlebenden“, so die Leiterin Gabriele Hammermann in ihrer Rede für die digitale Gedenkfeier, „sind die letzten Zeugen von Zwangsarbeit, Kriegsendverbrechen und Todesmärschen. […] Ihre Erinnerung wirkt bis heute als Seismograph gegen jede Form antidemokratischer Entwicklungen.“
Über 72 Überlebende aus über 20 Ländern und 19 US-Veteranen wurden dieses Jahr eigentlich in Dachau erwartet, um gemeinsam ein Zeichen für Frieden und Verständigung zu setzen. Zum 75. Jahrestag wollten einige von ihnen 2020 das erste Mal seit der Befreiung nach Dachau kommen, so wie der Überlebende Jerry Convoy, der in seiner Grußbotschaft schreibt:
„Anlässlich der Gedenkfeier zum 75. Jahrestag zurückzukehren, würde es mir endlich ermöglichen, für meine unschuldigen Brüder an dem Ort zu beten, an dem es geschehen ist; es wäre das Richtige und hoffentlich werde ich diesem Bedürfnis, mit dem ich über 75 Jahre gerungen habe, endlich nachkommen können.“
Wiedersehen in 2021
Nun ist die Hoffnung, dass trotz des hohen Alters der Überlebenden und Befreier das Wiedersehen und die Begegnung im nächsten Jahr nachgeholt werden kann. Der Termin dafür ist bereits festgelegt: Der 2. Mai 2021. Die digitale Erinnerungskultur schafft es bis dahin, wenigstens das öffentliche Erinnern auch während der Corona-Pandemie aufrechtzuerhalten. Was sie aber niemals vollständig ersetzten kann, das kristallisiert sich aus den Botschaften der Organisator*innen und Gäste heraus, ist der direkte Dialog – das Begegnen, das Zusammensein – um das zu begreifen, was nicht begriffen werden kann.