
Kommentar
Die Verantwortung der Medien im Wahlkampf: Wie TV-Debatten den Diskurs vergiften
TV-Debatten sollten eigentlich zur informierten Meinungsbildung beitragen – doch stattdessen bestimmen verkürzte Aussagen, fragwürdige Themensetzungen und fehlende Faktenchecks das Bild. So wird der politische Diskurs nicht nur vereinfacht, sondern oft auch manipuliert. Die Medien tragen dabei eine Verantwortung, der sie nicht gerecht werden – Ein Kommentar von Sebastian Huber
Die jüngsten TV-Debatten im Wahlkampf haben einmal mehr gezeigt, wie oberflächlich die mediale Aufbereitung politischer Auseinandersetzungen, gerade im Vorfeld einer Bundestagswahl, sein kann. Was eigentlich eine Plattform für informierte Debatten sein sollte, verkommt allzu oft zu einer kurzatmigen Show. So können wir Günther Jauch dabei zusehen, wie er den Spitzenkandidat:innen Fragen à la „Wer wird Millionär?“ stellt. Eine verantwortungsvolle journalistische Auseinandersetzung mit dem politischen Fragen in diesem Land scheint auszubleiben. Dies führt nicht nur zu einer Verzerrung des Diskurses, es vergiftet ihn auch.
Verkürzung statt inhaltlicher Tiefe
Ein zentrales Problem ist die starke Verkürzung von Inhalten. Natürlich müssen Medien zusammenfassen, natürlich müssen Inhalte pointiert und heruntergebrochen werden. Aber gerade komplexe Sachverhalte, die eine differenzierte Analyse erfordern, werden häufig in wenigen Sekunden auf einfache Schlagworte reduziert. Schnellfragerunden, in denen die Kandidat:innen immer nur mit einem Satz antworten dürfen, bieten keinen Mehrwert im politischen Diskurs. Und wenig Mehrwert für Zuschauer:innen und teilweise noch unentschlossene Wähler:innen, die sich in ihrer Meinungsbildung argumentativ führen lassen wollen. Sendungen zwischen 45 bis 90 Minuten sind häufig per se aufgrund der Konzeption und zeitlichen Begrenzung gar nicht in der Lage, mehrere Themen angemessen und gleichermaßen zu behandeln. Politik ist selten schwarz oder weiß – und genau das sollte in Debatten auch deutlich werden. Stattdessen wird zugunsten der medialen Inszenierung oder durch das Setzen einzelner unausgewogener Schwerpunkte oft vereinfacht, zu stark zugespitzt oder gar verzerrt dargestellt. Diese Reduktion führt nicht selten zu Falschdarstellungen, die anschließend schwer zu korrigieren sind.
Das Fehlen von Live-Faktenchecks
Damit verbunden ist das Fehlen oder die unzureichende Durchführung von Live-Faktenchecks. Während Kandidat:innen immer öfter unbelegte Behauptungen aufstellen oder gar offensichtliche Lügen verbreiten, bleibt eine direkte journalistische Einordnung meist aus. Stattdessen erscheinen Korrekturen – wenn überhaupt – erst am nächsten Tag in Online-Faktenchecks. Diese verpuffen dann in der Wahrnehmung beim Publikum häufig und werden durch die absoluten und falschen Äußerungen überblendet. Dadurch setzen sich irreführende Narrative fest und beeinflussen so die politische Meinungsbildung. Ein Beispiel dafür lieferte die ARD-Wahlarena am vergangenen Montag: Von den Aussagen der vier Kandidatinnen bestand nur eine:r den anschließenden Faktencheck, ohne dass man Aussagen widerlegen oder neu einordnen musste. Die Medien könnten hier aktiv gegensteuern, indem sie falsche oder manipulative Aussagen unmittelbar richtigstellen – doch das geschieht viel zu selten.
Problematische Themensetzung: Wer bestimmt die Agenda?
Am schwerwiegendsten ist jedoch die Frage der Themensetzung. Immer wieder lassen sich große Medienhäuser auf Diskurse ein, die von rechten Akteur:innen bewusst gesetzt werden. Anstatt selbst eine verantwortungsbewusste Themenagenda zu gestalten, folgen sie den lautesten Stimmen – oft auf Kosten wirklich relevanter Fragen. So werden zentrale Themen wie Klimaschutz, Bildung, Integration oder Wohnungsnot in den Hintergrund gedrängt. Debatten über Migration oder Kriminalität erhalten dafür überproportional viel Raum. Beim TV-Duell zwischen Merz und Scholz wurde rund ein Drittel der Zeit für die Themen Migration und Abschiebungen verwendet, während Klimaschutz nahezu gar keinen Platz fand. Medienmacher:innen ziehen sich dann auf das Argument zurück, sie würden lediglich aufgreifen, worüber Politiker sprechen. Doch das greift zu kurz: Die Medien haben nicht nur eine berichtende, sondern auch eine gestaltende Rolle im öffentlichen Diskurs. Sie entscheiden durch ihre Themensetzung maßgeblich mit, welche Fragen als gesellschaftlich relevant wahrgenommen werden.
Ein Plädoyer für mehr Verantwortung
Es ist höchste Zeit, dass sich vor allem die audiovisuellen Medien dieser Verantwortung bewusster werden. Eine demokratische Debattenkultur braucht keine Skandalisierung und Vereinfachung. Sie braucht sachliche Auseinandersetzungen und eine ausgewogene Themenauswahl. Nur so kann der Wahlkampf eine faire und informierte Meinungsbildung ermöglichen – anstatt den Diskurs weiter zu vergiften.