Arabischer Frühling
Die Ursprünge der neuen Proteste in Tunesien
Bei der größten Demonstration in Tunis seit langer Zeit warfen am 15. Mai 2022 Tausende von Menschen dem tunesischen Staatschef Kais Saeid einen Putschversuch vor. Doch was passiert aktuell und wo liegen die Hintergründe der neusten Proteste?
Im Dezember 2010 zündete sich der tunesische Gemüsehändler Mohamed Bouazizi selbst an – als Protest gegen die Beschlagnahmung seines Gemüsewagens. Das führte im Januar 2011 zu Demonstrationen in Tunis gegen Zensur und Korruption. Auch andere Länder schlossen sich dem Protest an, was wiederum den sogenannten Arabischen Frühling auslöste. Im Zuge dessen wurden die damaligen Machthaber in Tunesien, Ägypten, Jemen, Libyen und Syrien abgesetzt.
Harter Kampf für die Demokratie
Als einziges Land schaffte Tunesien den Übergang zu einem echten demokratischen System nach dem Volksaufstand, der in Tunesien auch als “Jasminrevolution” bezeichnet wird. Die Übergangsregierung sorgte für eine Neuordnung und die Verhaftung der Helfer:innen des ehemaligen Diktators Ben Ali. Der Islam ist seitdem nicht mehr Staatsreligion, es gibt Parlamentswahlen und es gilt die Meinungsfreiheit.
Als Wahlsiegerin ging seitdem immer wieder die gemäßigt islamistische Partei “Ennahda” hervor, die während der Diktatur verboten war. Der Name der Aprtei heißt auf Deutsch so viel wie Wiedergeburt. Ennahda regierte mit linken und liberalen Parteien.
Elf Jahre später: Was bleibt
Insgesamt schätzen Expert:innen die wirtschaftliche Lage heute jedoch schlechter ein als während der Diktatur. Die Arbeitslosigkeit ist auf 18,4 Prozent (Stand: 2021) angestiegen. Vor allem junge Leute sind davon betroffen. Darüber hinaus wurde zuletzt die Pressefreiheit eingeschränkt.
Faktische Alleinregierung
Der ehemalige Jura-Professor und heutiger Staatschef Saied hat im April 2022 das Parlament abberufen. Davor hatte er den Regierungschef seines Amtes enthoben. Somit regiert Saied gerade mit Notstandsgesetzen. Saeid selbst gibt an, dass seine Maßnahmen verfassungskonform und Teil eines Kampfes gegen die politischen Eliten seien. Außerdem sei das parlamentarische System der Grund für die wirtschaftliche Misere des Landes.
Keine breite Unterstützung für die Notstandsgesetze
In der Bevölkerung ist Saieds Vorgehen stark umstritten. Die Demonstrant:innen Mitte Mai bezeichnen es als unerlaubten Staatsstreich. Daraus ist die neue Bewegung namens »Muatinun dida al Inqilab« (»Bürger gegen den Putsch«) entstanden.
Für Juli ist nun eine Volksabstimmung in Tunesien angesetzt. Dabei sind die Themen des Votums noch unklar. Wie frei dieses außerdem sein wird, ist fraglich, weil Saied die Wahlkommission ausgetauscht hat. Manche Tunesier:innen befürchten sogar die Auflösung von Parteien und damit die Erosion der mühsam erkämpften Demokratie.