Veysel Ok im Interview
“Die türkische Justiz ist nicht unabhängig.”
Für uns ist es ganz selbstverständlich im Alltag unsere politischen Meinungen und Ansichten zu äußern. In der Türkei ist das anders: Viele Menschen müssen dort für ihre Meinungs- und Pressefreiheit kämpfen. Der Anwalt Veysel Ok vertritt unter anderem den Journalisten Deniz Yücel und hat mit M94.5 über seine Arbeit als Verteidiger und die politische Lage in der Türkei gesprochen.
Herr Ok, könnten Sie bitte kurz einmal Ihre Arbeit beschreiben?
Mein Name ist Veysel Ok. Ich bin ein Menschenrechtsanwalt aus der Türkei und ich mache diese Arbeit seit 12 Jahren. Ich habe in der Türkei bis jetzt viele Journalisten und Journalistinnen vertreten. Ich bin jetzt der Direktor einer türkischen NGO namens „Media and Law Studies Association“. Mein Hauptklientel sind inhaftierte Journalisten in der Türkei. Ich vertrete sie vor der türkischen Justiz, als auch vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Sie erhalten heute den Thomas-Dehler-Preis für ihren Einsatz für die Pressefreiheit. Wie reagieren denn die Leute auf Ihre Arbeit – in Europa verglichen mit der Türkei?
In der Türkei ist es nicht einfach Anwalt zu sein, vor allem inhaftierte Journalisten zu vertreten. In der Türkei befinden sich im Moment 570 inhaftierte Anwälte und man kann zusammenfassen, dass der einzige Grund für die Inhaftierung von Anwälten das oppositionelle Agieren dieser Anwälte gegenüber der Regierung ist. Ich bin selber angeklagt als Anwalt. Der Präsident höchstpersönlich hat mich angeklagt. Ich kann zusammenfassend die Frage so beantworten: Es ist nicht einfach Anwalt in der Türkei zu sein und das mit Europa zu vergleichen ist gar nicht möglich.
Ihr wohl bekanntester Fall ist die Verteidigung von Deniz Yücel . Das war ja auch eine sehr große Sache in den deutschen Medien. Hat sich ihre Arbeit seitdem denn stark verändert?
Ich bin Anwalt von vielen inhaftierten Journalisten in der Türkei. Ich meine, der Fall von Deniz Yücel war natürlich international ein Fall, weil er in Deutschland ein bekannter Name ist. Aber ich kann auch sagen, es gab keinen anderen Journalisten, der so sehr im Fokus stand, wie Deniz Yücel. Er wurde zur Zielscheibe vom Präsidenten höchstpersönlich gemacht. Er hat ihn als einen Verräter, als einen Terroristen bezeichnet. Natürlich hatte das auch Konsequenzen für meine Berufsausübung. In der Türkei wird keine Unterscheidung gemacht zwischen dem Angeklagten und seinem Anwalt der ihn vertritt. Das heißt alle Anschuldigungen, die gegenüber Deniz Yücel gemacht wurden, waren natürlich gleichzeitig Anschuldigungen gegenüber meiner Person.
Sie sind angeklagt auch als Person selbst, weil Sie die türkische Justiz als „Nicht unabhängig vom Staat“ bezeichnet haben. Wie würden Sie denn insgesamt das Verhältnis zwischen Staat und Justiz in der Türkei beschreiben?
Ich wurde angeklagt, weil mich der Präsident höchstpersönlich angeklagt hat. Und ich bin immer noch der gleichen Meinung: Die türkische Justiz ist nicht unabhängig. Wir haben eine Institution in der Türkei. Das ist die „Oberste Richter und Staatsanwaltschaft Institution.“ Diese Institution ist für die Organisation des Richter- und Staatsanwalts zuständig. Alle Mitglieder in der Kommission sind also von dem Präsidenten abhängig, werden vom ihm ernannt und so eine Institution, die so zusammengestellt ist, kann natürlich per sé nicht unabhängig sein.
Wo sehen Sie denn die Pressefreiheit in zehn Jahren in der Türkei? Also wie ist die Situation der Journalisten?
In der Türkei war die Presse- und Meinungsfreiheit schon immer sehr problematisch. Also das ist schon seit der Republikgründung im Jahre 1923 so. Seitdem gibt es Probleme bezüglich der Meinungsfreiheit. In der Vergangenheit war es problematisch, wenn man sich bezüglich der Minderheiten geäußert hat. Heutzutage dagegen ist es problematisch, wenn man sich allgemein oppositionell gegenüber der Regierung äußert. Das ist ein chronisches Problem, das wir schon seit der Republikgründung haben. Deswegen sollte nicht erwartet werden, dass wir kurz- oder mittelfristig europäische Standards bezüglich der Presse- und Meinungsfreiheit bekommen werden. Wir können uns auch glücklich schätzen, weil es in der Türkei sehr viele Menschen gibt, die eben für diese Rechte, für diese demokratischen Standards sich einsetzen und dafür kämpfen.
Bei diesem Einsatz für die Pressefreiheit, welche Rolle spielen oder wird in Zukunft auch die sozialen Netzwerke, wie zum Beispiel Twitter, Instagram etc. da spielen?
Diese sozialen Medien, die Sie gerade eben erwähnt haben: Das sind die Plattformen, wo sich die Menschen treffen und sich untereinander organisieren. Die Mainstreammedien in der Türkei sind zum Großteil auf Linie gebracht worden. Aus diesem Grunde suchen unabhängige Journalisten sich neue Wege in den sozialen Medien. Das neueste Beispiel dieses Phänomens sind die Kommunalwahlen, die wir letztes Wochenende in der Türkei gehabt haben. Während oppositionelle Politiker in den Mainstreammedien überhaupt nicht vorgekommen sind, haben sie aber nichts desto trotz durch eine sehr gute Kampagne in den sozialen Medien ein überraschend gutes Ergebnis erreichen können. In der Türkei von Heute informieren sich sehr sehr viele Leute mittlerweile ausschließlich über die sozialen Medien. Aus diesem Grund bewerte ich die sozialen Medien als sehr, sehr wichtig.
Sie haben gerade die Kommunalwahlen angesprochen, bei denen Erdogan ja ziemlich viele Stimmen verloren hat. Wie bewerten Sie denn diese Kommunalwahlen in Hinblick auf die Zukunft mit der Pressefreiheit?
Die Ergebnisse der Kommunalwahlen haben uns gezeigt, dass die Propaganda, die seitens der Regierung über die Mainstreammedien lief, von der Regierung direkt oder indirekt kontrolliert werden, dass diese Propaganda in der Bevölkerung keinen Empfänger erhalten hat. Wenn sie sich Medien und die Mainstreammedien in der Türkei anschauen, dann bekommen sie ganz schnell das Gefühl, dass wir in der Türkei Standards, wie in Norwegen haben: dass es uns eigentlich sehr gut geht, das alles wunderbar ist, dass aber die Türkei von Feinden umgeben ist, die der Türkei schaden möchten. Aber das Volk auf der Straße weiß natürlich, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Aber die Ergebnisse der Kommunalwahl sind in der Hinsicht sehr wichtig, als dass die Menschen jetzt eventuell die Möglichkeit bekommen werden auch über die Medien Informationen zu bekommen, die der Realität entsprechen.
Viele Leute, die hier in Deutschland wohnen, aber eigentlich türkischen Ursprungs sind, unterstützen auch Erdogans Politik und damit natürlich auch einen Kampf gegen die Pressefreiheit mehr oder weniger. Wie sehen Sie es, dass Leute, die eigentlich in einem sehr freiheitlichen System oder einem sehr freiheitlichen Land leben trotzdem Erdogan unterstützen?
Vielleicht sollte man erst mal diesen Menschen fragen, ob Deutschland wirklich so freiheitlich ist. Wenn man von türkischstämmigen Menschen in Deutschland spricht, dann muss man die Sache differenziert angehen. Das ist eine sehr gemischte, heterogene Gruppe. Als jemand, der die Sache von außen betrachtet, kann ich sagen, dass es bezüglich der Integration dieser Menschen große Probleme gibt. Meiner Ansicht nach versuchen die Menschen, die hier unterschiedliche Diskriminierungen erfahren mit Erdogan einen Ausgleich zu finden. Oder jemanden zu finden, der diese Diskriminierung anspricht und der vorgibt ihre Interessen zu vertreten. Die Art, wie Erdogan Politik betreibt, dass er gegenüber dem Westen den starken Mann gibt, dass er mit sehr viel Selbstvertrauen auftritt, tut natürlich der Psychologie dieser Menschen, die gewisse Diskriminierungen erfahren, natürlich gut.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was motiviert Sie denn jeden Tag aufs Neue, obwohl Sie bestimmt vielen Hindernissen auch ausgesetzt sind, immer wieder für die Pressefreiheit zu kämpfen?
Um ehrlich zu sein: Das ist einzige Arbeit, die ich kenne. Diese inhaftierten Journalisten sind nicht nur mein Klientel. Viele von ihnen sind auch meine Freunde. Es macht mich natürlich sehr traurig, wenn einige von ihnen sich hinter Gittern befinden, wenn sie unter schlechten Konditionen dort in Haft sind. Weil eben viele von diesen Menschen meine Freunde sind, ist es für mich keine Motivation diese Arbeit zu tun, sondern ich sehe es als meine Verpflichtung ihnen gegenüber, mich für sie einzusetzen.
Vielen Dank für das Gespräch.