Kommentar

Die schiefe Debatte um die Migrationsreform

/ / Bild: M94.5 / Andre Wengenroth

Die Ampel will das Aufenthalts- und Staatsbürgerschaftsrecht in Deutschland reformieren, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Doch es ist zynisch, Menschen nur nach ihrem Nutzen für den deutschen Arbeitsmarkt zu bewerten. Ein Kommentar von Julius Seibt. 

Kein Thema hat die Politik diese Woche heftiger diskutiert als die aktuellen Ampel-Pläne zur Reform des Aufenthalts- und Staatsbürgerschaftsrechtes. Ein ganzes Paket an Gesetzen ist es, das die Regierung bis Jahresende verabschieden möchte: Menschen sollen früher als bisher deutsche Staatsbürger:innen werden können und eine doppelte Staatsbürgerschaft soll grundsätzlich möglich werden. Nichteuropäische Ausländer:innen, die auf der Suche nach Arbeit sind, sollen über ein Punktesystem nach Deutschland umsiedeln können. In einem Eckpunktepapier heißt es: „Zu den Auswahlkriterien können Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und Alter gehören.“ 

Es geht nur um die Wirtschaft

Die Ampel begründet dieses Vorhaben mit dem Fachkräftemangel in Deutschland. Der ist schon heute für alle spürbar, die im Restaurant warten oder versuchen, einen Friseurtermin zu ergattern. Der Grund: Die deutsche Gesellschaft altert. Bis 2030 werden fünf Millionen mehr Menschen in Rente gehen als neu in den Arbeitsmarkt eintreten. Diese Lücke lässt sich ohne Zuwanderung nicht schließen. 

Und dennoch ist es falsch, dass die Debatte zur Migrationsreform ausschließlich um die Bedürfnisse des deutschen Arbeitsmarktes kreist. Denn so werden die betroffenen Menschen auf ihren Nutzen für die deutsche Wirtschaft reduziert. Dieses ökonomistische Denken färbt sowohl die Argumente der Gegner:innen als auch der Befürworter:innen des Reformvorhabens. 

„Zu den Auswahlkriterien können Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und Alter gehören.“ 

Eckpunktepapier der Bundesregierung

Von der CDU/CSU-Fraktion kommt vor allem die erwartbare Stimmungsmache gegen Migration, von einer Verramschung der Staatsbürgerschaft ist die Rede. Und Friedrich Merz spielt seinen Evergreen von der “Einwanderung in die Sozialsysteme”. Zusätzliche Migration ist in diesem Framing keine Lösung für den Fachkräftemangel, sondern ein Problem für den Sozialstaat. Argumente über die ökonomischen Überlegungen hinaus sucht man vergebens. 

CDU-Chef Merz: “Einwanderung in die Sozialsysteme”. Bild: Schutterstock / penofoto

Derweil stellt sich die FDP, eigentlich Teil der aktuellen Regierung, koalitionsintern quer und besteht auf einen zynischen Kuhhandel: Sie macht eine verschärfte Abschiebepraxis zur Bedingung für ihre Zustimmung zu vereinfachter Einwanderung. Es ist eine verquere Rechnung: Menschen sollen Deutschland verlassen müssen, damit andere, “bessere” Migranten kommen können. “Besser” heißt in diesem Fall: Besser für die deutsche Wirtschaft. Eine Politik bei der nicht sicher ist, ob sie an der Menschenfeindlichkeit nur vorbeischrammt. 

Menschen sind mehr als ihr Beitrag zum Bruttosozialprodukt

Aber: Auch bei den Verbesserungen, die vor allem SPD und Grüne mit der Migrationsreform erreichen wollen, bleibt ein fader Beigeschmack. Gerade die Idee, ein Punktesystem einzuführen, das Menschen nach ihrem Nutzen für Arbeitsmarkt bewertet, ist ein problematischer Vorschlag. Sie verstärkt nicht nur den aktuellen “brain drain” aus dem globalen Süden, sie bleibt letztendlich auch in einer Logik verhaftet, in der Menschen nach rein ökonomischen Kriterien bewertet und sortiert werden. 

Ja, es ist richtig, dass Deutschland dringend auf mehr ausländische Fachkräfte angewiesen ist. Und auch die aktuellen Gesetzesvorhaben der Ampelkoalition sind zweifelsfrei ein Fortschritt in der veralteten deutschen Migrationspolitik. Und dennoch: Wer das Aufenthaltsrecht eines Menschen nur an ihren Nutzen für den deutschen Arbeitsmarkt knüpft, agiert zynisch. Denn der Mensch ist mehr als sein Beitrag zum Bruttosozialprodukt.