Sophia Süßmilch im Interview
Die Rettung der Kreativität?
Krise als Chance – „So ein Scheiß“, findet Sophia Süßmilch. Für die Münchner Künstlerin ist Corona keine angenehme Entschleunigung oder Pause zur Selbstverwirklichung. Allenfalls vielleicht ein Hilferuf: Endlich den Druck wegzunehmen, an dem die Kreativität der Branche zu zerbrechen droht. Im M94.5-Interview spricht sie über Kunst auf Social Media und fordert ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Vorerst muss sich Sophia Süßmilch keine finanziellen Sorgen machen. Sie ist aktuell sehr gefragt, hat sich einen Namen gemacht in der Münchner Kunstszene. Provokant und humorvoll diskutiert sie in ihrer Kunst über gesellschaftliche Normen wie Körper oder Geschlechterrollen, ruft das Ende des Patriarchats herbei, fotografiert und malt. Eigentlich wäre sie mit einer Performance, dem “Denkmal der Beleidigung” gerade im Rahmen einer Ausstellung am Gasteig zu sehen. Aufgrund der Coronakrise kann ein Gespräch mit ihr aber nur am Telefon stattfinden. Sie dafür zu erwischen ist aber auch nicht selbstverständlich. Denn die Künstlerin ist trotz Corona alles andere als unterbeschäftigt.
M94.5: Sophia, wir befinden uns in turbulenten Zeiten, unter anderem auch für Künstler*innen. Wie gehst du mit der momentanen Situation um? Bricht dir gerade die Arbeit weg?
Sophia Süßmilch: Ich habe eher das Gefühl, dass jetzt noch mehr Zeug auf mich einkracht, was ich aufgrund der vielen Arbeit mit Kunst immer weg- oder aufgeschoben habe. Eigentlich habe ich die letzten Jahre auch schon sehr isoliert gelebt. Seit 2018 wurde es ziemlich arg, weil ich so viele Ausstellungen hatte, so viel künstlerisch zu tun, dass ich kein anderes Leben mehr hatte. Weil ich so aufgearbeitet war, fand ich es dann auch nicht mehr angenehm, mich abends noch mit Leuten zu treffen. Selbst wenn ich meine beste Freundin noch gesehen habe, kam sie eigentlich nur ins Atelier. Ich war fix und fertig. Ich gehe in der früh ins Atelier und um acht, neun, zehn oder manchmal zwölf bin ich daheim. Manchmal auch länger. Das ging jetzt schon ewig und ich habe mir einfach gewünscht, dass das irgendwann aufhört, habe versucht da rauszukommen. Aber dann kam da immer noch eine bessere Sache und noch eine… Und ich habe jetzt auch noch nicht so gut verdient, dass ich mir Mitarbeiter*innen einstellen konnte. Es war ein krasser Workload – und jetzt hat einfach alles aufgehört.
Eine Erleichterung?
Nee, das war nicht cool! Ich mache mir Sorgen um die Zukunft, weil ich mir denke: Wer kauft denn jetzt noch Kunst?! Ich habe Angst, dass alles einfach zusammenkracht. Wenn man vorher auf tausend läuft und dann gezwungen wird aufzuhören, dann ist das eine völlig orientierungslose Leere.
Klingt nicht nach Freiheit. Wie gehst du mit der Situation um?
Ich mache mir Sorgen. Und das muss ich irgendwie verdrängen und wegschieben, weil ich kann halt nichts anderes! Also klar, ich kann vieles, aber es ist nicht so, als ob ich irgendeine andere Form von Brotjob hätte.
Glaubst du, Social Media kann jetzt an der Stelle ansetzen, um neue oder veränderte Perspektiven für die Kunst zu bieten?
Nein. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich poste ja schon immer wahnsinnig viel auf Instagram und mache Stories. Sehr lange. Meine Sachen eignen sich auch gut für Social Media: Ich mache Fotos und poppige, knallige Bilder und habe einen sehr hohen Output. Da kann ich viel Aufmerksamkeit generieren. Andere haben es da sehr viel schwerer.
Gerade find ich das auch total anstrengend, auch, dass alle etwas von mir für ihre Online-Galerien wollen. Als Konsumentin hab ich da doch gar nicht die Zeit, die Lust, die Energie mir das anzuschauen. Ich denke mir gerade so: Leute, lasst es halt einfach! Gleichzeitig versteh’ ich natürlich auch, dass alle probieren, noch auf dem Radar zu bleiben.
Social Media bringt ja auch einfach ein unglaubliches Überangebot mit sich. Wird das zum wirtschaftlichen Problem?
Ja, definitiv! In der Kunst gibt es immer einen Marktwert. Ich arbeite mit Galerien zusammen und die Marktwerte auf bestimmte Formate werden mit der Galerie festgelegt. Ich kann jetzt nicht plötzlich meine Kunst zu Ramschpreisen verkaufen, weil ich finanzielle Nöte habe. Da macht man sich ja auch kaputt, was man sich all die Jahre aufgebaut hat.
Das heißt, würden wir Kultureinrichtungen einfach durch Social Media ersetzen, könnte der Wert von Kunst verloren gehen?
Das ist halt immer die Frage. Kunst ist ja – den Materialwert mal abgezogen – das, wo jemand sagt: Ich bin bereit dafür zu zahlen. Das ist eigentlich eine Fiktion, die man da aufbaut. Bei mir hat sich etabliert: Ich weiß, für den Preis verkaufe ich meine Arbeiten, davon kann ich leben. Da ist sowas wie ein realer Marktwert da, würde ich sagen.
Und der wäre auf Social Media nicht gegeben.
Wünschst du dir denn momentan mehr Unterstützung vom Staat?
Ja, natürlich! Ich frage mich, warum wir nicht noch mehr ernsthaft über ein gesichertes Grundeinkommen diskutieren – nicht nur für Kulturschaffende und Künstler*innen! Das würde mir eine enorme Last nehmen. Dann weiß ich auch: Ich kann arbeiten. Dann wäre ich auch schon ohne die ganze Corona-Krise in einem anderen Modus gewesen, sodass ich auch nicht diesen krassen Druck habe, in diesem Marktsystem funktionieren zu müssen. Man beutet sich ja oft komplett selber aus als Künstler*in. Ich glaube sehr vielen Kulturschaffenden geht es so, da ist so viel unbezahlte Arbeit im Spiel. Diese Selbst-Ausbeute ist ja was total Neoliberales und ich habe da voll total mitgemacht und gelitten. Ich wollte da raus und ich glaube das könnte tatsächlich eine Chance sein, da auch gesellschaftlich rauszukommen.
Steht da am Ende dann die Frustration, dass man so viel Arbeit in Sachen gesteckt hat, wo man vielleicht nicht so viel zurückbekommt?
Naja, ich bekomme schon auch viel zurück – von Leuten, die meine Sachen auch krass mögen, und das ist wunderschön! Das streichelt meinen inneren Narzissmus, mein Ego und ich glaube, das gibt mir Kraft und Energie (lacht). Ja ich meine das ist so, oder? Künstler*innen brauchen einfach sehr viel Zuwendung, die allermeisten. Aber am Ende wird teilweise auch mein Selbstbild über die komplette Selbstausbeutung aufgebaut. Ich bin meine Arbeit, ich bin mein künstlerisches Werk. Aber ich bin auch die Die-macht-so-viel-Sophia. Ich weiß nicht genau, ob sich das verändern würde. Ich würde es gern herausfinden.
Glaubst du, diese ganze Social-Media-Schiene bestärkt das alles? Auch das um sich selber Kreisen, die Selbstausbeutung?
Nicht wirklich. Also man erfährt halt direktes Feedback und direkte Bestätigung. So funktioniert das. Auch, dass man irgendwie ein bisschen nach Likes lechzt, das ist albern. Aber außer in meinen Stories manchmal benutze ich Instagram nicht privat. Das bin ja nicht ich, sondern eine konstruierte Social-Media-Person, die ich da entworfen habe. Was ich schon von Leuten gehört habe: “Ich dachte, du bist total gemein!” oder “Du bist 1,80m groß”, solche Sachen. Die ganzen Fantasien, die die Leute darüber entwickeln. Ich habe mal eine Performance gemacht, wo ich alles gepostet habe, was mir eingefallen ist. Das habe ich fast acht Monate gemacht. Manchmal 100 Postings am Tag und das spült ja den Leuten die Timeline mit mir voll. Plötzlich habe ich dann in der Realität das aushalten müssen, was die Leute online aufgrund meiner Postings auf mich projizieren. Das war irre anstrengend. Das habe ich abgebrochen nach acht Monaten, aber da habe ich auch einfach krasse Sachen mitgekriegt. Wie die Leute denken, das wäre man selbst, was da stattfindet.
Weil die Menschen vergessen, dass Social Media nur eine Projektionsplattform ist?
Total, ich vergesse es ja auch immer wieder. Aber mir gefällt der direkte Ausdruck halt, gerade auf Instagram. Ich hatte Ende 2016 noch keine Galerie, als mein Account entstanden ist, hab noch Kunsttherapie studiert. Da dachte ich auch nicht, dass ich nochmal so richtig Künstlerin werde und davon leben kann. Da habe ich irgendwie angefangen, Bilder zu posten. Ich habe positives Feedback bekommen und das ist natürlich auch das, was mich anspornt. Das ist wie ein Ausstellungsraum, den man plötzlich hat. Ich glaube, dass es heutzutage unabdingbar ist – von der unternehmerischen Seite aus – Social-Media-Kanäle zu nutzen, aber das ist kein Ersatz. Das ist eher nervig und Overload.
Ab dem 30. März ist Sophia Süßmilch eine Woche lang im Schaufenster des Café Kosmos zu sehen, wo sie sich künstlerisch mit dem Thema “Schäfflerize” auseinandersetzt. Ein Spaziergang (natürlich alleine) lohnt sich.