Missbrauchsgutachten
“Die Kirche kann es nicht selbst tun”
Als Kind hat Richard Kick sexualisierte Gewalt durch einen katholischen Priester erfahren. Heute engagiert er sich im Betroffenenrat der Erzdiözese München-Freising. Im Interview erklärt er, was er von den Reaktionen der Kirche auf das neueste Missbrauchsgutachten hält und was sich ändern müsste.
Herr Kick, Reinhard Kardinal Marx hat nach dem Gutachten immer wieder gesagt, wie erschüttert er über die Erkenntnisse ist. Nach den vielen Jahren der Aufarbeitung und Forderungen. Fühlt sich das für Sie nach Heuchelei an?
Ich würde nicht das harte Wort Heuchelei benutzen. Aber Sie haben Recht: Es ist immer noch sehr vage ausgedrückt. Wir haben Probleme damit, das zu glauben.
Glauben Sie, dass Kardinal Marx jetzt die Perspektive der Betroffenen ernster nimmt? Auf der Pressekonferenz hat er eingeräumt, das bisher zu wenig getan zu haben.
Er sagt das deshalb, weil er im gesamten Zeitraum, von 2010 bis 2022, nie auf die Betroffenen zugegangen ist. Und jetzt plötzlich sollte dieser Sinneswandel eintreten? Ist er glaubwürdig? Das werden wir erst in den kommenden Tagen und Monaten an seinen Taten sehen.
In einem offenen Brief haben Sie die Entschädigungszahlungen der Kirche als “Almosen” bezeichnet. Was fordern Sie konkret?
Es gab bereits – von der deutschen Bischofskonferenz im Jahr 2020 einberufen – eine Arbeitsgruppe. Da standen schon Zahlen im Raum, 300.000 bis 400.000 Euro Entschädigung. Dann hat die Bischofskonferenz entschieden, dass sie maximal 50.000 Euro bezahlt. Ich kenne aber niemanden, der tatsächlich 50.000 Euro bekommen hat. Es sind 2.000 Euro, 7.000 Euro, 15.000 Euro. Vielleicht geht es mal hoch bis 45.000 Euro. Aber das war’s.
Aber mal abgesehen von den Zahlungen: Was muss die Kirche tun, damit die Reaktion des Kardinals glaubwürdiger wirkt?
Man sollte endlich mal auf Betroffene zugehen. Das war ja Inhalt meines offenen Briefes. Wirklich die Arme ausbreiten und sagen “Ihr könnt kommen”. Das ist bisher nie passiert! Betroffene haben an die Kirchentür geklopft und gebettelt, die Kirche um Hilfe und Unterstützung angefleht. Gekommen sind die “Almosen”, von denen ich spreche: Man wird mit ein paar Euro abgespeist und das war’s dann.
Unter anderem deshalb sind ja viele der Meinung, dass die Kirche als “Täterorganisation” die sexuelle Gewalt nicht selbst aufarbeiten kann. Muss der Staat eingreifen?
Es ist wohl tatsächlich nötig. Die Stimmen werden immer lauter und sie sind auch richtig. Die Kirche kann es nicht selbst tun. Wenn ein Theologe wie Kardinal Marx so unbeholfen ist in der Wahrnehmung der Betroffenen und dem, was geschehen muss, muss jemand von außen drauf schauen. Wir versuchen, im Betroffenenrat Druck zu machen und konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Ich bin sehr gespannt, was jetzt in den nächsten Tagen passiert.
Wie sehen diese Vorschläge aus?
Ich fordere, dass er Dr. Lorenz Wolf (ein Kirchenrichter im Erzbistum, dem im Gutachten Fehlverhalten vorgeworfen wird; Anm. d. Redaktion) vor die Tür setzt. Dass er ihm kündigt und aus allen Ämtern entlässt. Wolf hat ja von sich aus gesagt hat, dass er die Ämter ruhen lässt – das geht gar nicht. Dieser Mann hat so vielen Menschen, so vielen Betroffenen Leid zugefügt. Durch die Maßnahmen, durch die Verhöre. Ich war selbst 2010 bei ihm, das waren wirklich Verhöre. Das ist unglaublich.