Kommentar
Die gewaltsame Romantik Hollywoods
In nahezu jedem Hollywoodfilm gibt es auch eine Liebesgeschichte. Viele unserer Vorstellungen von romantischen Gesten und Verhalten können besonders auch von Liebesfilmen beeinflusst werden.
Ein Kommentar von Lorenz Peither.
Das Verhältnis von Männern und Frauen und insbesondere das Verhalten von Männern gegenüber Frauen, das in manchen Filmen dargestellt wird, ist häufig allerdings weder romantisch noch – wie in manchen krassen Fällen – überhaupt legal. Das teilweise übergriffige Verhalten vieler Filmhelden wird romantisiert und verharmlost – und verzerrt so die Wirklichkeit. Als Vorbild für die Jugend und Orientierung für erste große Liebe ist das ein filmischer Schlag ins Gesicht.
Um zu bemerken, wie häufig übergriffige Gewalt in Filmen vorkommt, muss man zunächst erst einmal verstehen, was eigentlich alles als Gewalt definiert ist. Das Offensichtlichste ist die körperliche Gewalt, also eindeutig gewaltsame Taten wie Vergewaltigung oder Schläge. Aber auch die Androhung von Gewalt reicht aus und ist per Definition schon übergriffig. Stalking ist eine weitere Form der Gewalt oder der Missachtung von Grenzen, die häufig in Filmen verharmlost wird, aber in der Realität eine sehr reale Gefahr für viele Frauen und andere Betroffene darstellt.
In einer Befragung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gab jede Dritte Frau an, schon einmal Opfer physischer Gewalt geworden zu sein. 2018 waren laut des Bundeskriminalamts gut vier von fünf Opfer von häuslicher Gewalt Frauen. Bei Stalking und Bedrohung 88,5 Prozent und bei körperlicher Gewalt waren es sogar 98,4 Prozent.
Ein klassisch erschreckendes Beispiel
„Vom Winde verweht“ aus dem Jahr 1939 ist als Klassiker in die Filmgeschichte eingegangen – und gleichzeitig ein erschreckendes Beispiel für die Verharmlosung von sexueller Gewalt. In einer berühmten Szene wird die Protagonistin Scarlett O’Hara vom betrunkenen Rhett Butler, ihrem Noch-Ehemann erst aufs Heftigste bedroht und dann, so suggeriert es der Film, vergewaltigt.
Scarlett O’Hara versucht mehrfach, sich von ihm zu lösen und drückt ihn von sich weg. Er verfolgt sie aber und fängt an, sie gewaltsam zu küssen, während sie sich vergebens wehrt. Dann packt er sie und trägt sie eine Treppe nach oben. Hier endet die Szene.
Am nächsten Morgen sehen Zuschauer*innen Scarlett O’Hara im Bett liegen, mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht. Hier gibt es zwei grundlegende Probleme.
Das Lächeln scheint Rhetts Taten zu rechtfertigen, weil Scarlett O’Hara sichtlich zufrieden mit seinem Vorgehen zu sein scheint, obwohl das am Abend zuvor noch ganz anders aussah. Und die Szene gibt zu verstehen, dass es etwas wie Vergewaltigung in der Ehe anscheinend nicht gibt und der Mann sich nehmen kann, was er möchte.
Auch Frauen bekommen hiermit suggeriert, dass es in Ordnung ist, wenn ihre Partner so agieren, als wäre es nur eine Art Zuneigung auszudrücken, obwohl es schlicht und ergreifend eine Straftat ist. Bei aller Fiktion und filmischen Mitteln, Szenen und Dinge auszublenden: Eine solche Darstellung unterstreicht eine Darstellung und Duldung von Gewalt, die es so in der Realität nie geben dürfte.
Und obwohl der Film aus dem Jahr 1939 ist, kann er als eine Art Ursprungserscheinung gesehen werden, denn die Romantisierung von Übergriffigkeit gegen Frauen zieht sich durch die gesamte Filmgeschichte. Heute ist es aber keine explizit körperliche Gewalt, die zu sehen ist, sondern oft eine Form von Stalking und Missachtung der Privatsphäre und der Grenzen von Frauen.
Die „neue“ bedrohende Gewalt
Ein Beispiel ist „Twilight“ aus dem Jahr 2008. An einer Stelle beobachtet Edward seine Herzensdame Bella unbemerkt beim Schlafen. Sie wacht daraufhin aber auf, er erklärt sich und sie fühlt sich geschmeichelt.
Hier sieht es für sie so aus als würde sie ihn sich einbilden, aber die Zuschauer*innen wissen, dass er wirklich in ihrem Zimmer steht.
Ein 107 Jahre alter Vampir bricht in das Zimmer einer Highschool-Schülerin ein, um ihr beim Schlafen zuzusehen. Das ist kein Satz der eine „romantische“ Szene beschreiben sollte. Es ist ganz einfach Einbruch und Stalking und Bella wäre im realen Leben gut damit beraten, die Polizei zu rufen.
Auch in den letzten zehn Jahren gab es einige neue Filme, die immer noch wenig Empathie mit sensiblen Situationen und Machtverhältnissen zeigen. Wie zum Beispiel “Passengers” von 2016, der damals als Sci-Fi Liebesgeschichte vermarktet wurde, im Aufbau aber mehr einem Thriller entspricht.
Auch in “50 Shades of Grey” ist kein Verhalten von Christian Grey sexy oder verführerisch, auch nicht im BDSM Kontext, wo es besonders stark um Vertrauen geht. Und seine Besessenheit mit Anastasia kann auch mit Stalking gleichgesetzt werden. Christian Grey ist zudem sehr besitzergreifend und nimmt Anastasia Steele teilweise ihre eigene Entscheidungsgewalt. In der Szene ist Anastasia Steele auch eindeutig unwohl dabei, dass Christian einfach an ihrem Arbeitsplatz auftaucht.
Fazit
Man kann der Filmindustrie nicht grundsätzlich vorwerfen, dass sie durch die Romantisierung von Gewalt gegen Frauen diese Gewalt rechtfertigen will. Der Blick auf solche Gewalttaten, als das was sie sind, egal in welchem Kontext, fehlt allerdings häufig.
Fiktionale Geschichten sollen und dürfen natürlich fiktional mit aller gestalterischer Freiheit erzählt werden. Die Rolle von Filmen als Abbild der Realität und Vorlage zur Nachahmung wird dabei allerdings zusehends vergessen oder übersehen.
Und wenn in den Medien verschiedener Art vorgelebt wird, dass die Missachtung von Grenzen oder das Ignorieren eines eindeutigen „Nein, ich möchte das nicht!“ ok sind, weil Frauen „erobert“ werden müssen, werden wir nie zu einem Punkt kommen, an dem in der Gesellschaft der Konsens beider Parteien das Wichtigste für eine gesunde sexuelle Begegnung oder auch eine gesunde Partnerschaft ist.
Wenn ihr selbst von häuslicher oder sexueller Gewalt betroffen seid oder jemanden kennt, der vielleicht betroffen ist: Das “Hilfetelefon für Frauen” ist 24h erreichbar: 08000 116 016. Der Anruf ist kostenlos, anonym und streng vertraulich.