Kommentar
Die Familie soll nicht für PR herhalten
Am Donnerstag erklärte Sebastian Kurz, der ehemalige Kanzler Österreichs, bei einer Pressekonferenz seinen Rückzug aus der Politik. Als Grund gab er an, dass er sich mehr auf die Familie konzentrieren wolle. Bei der Geburt seines Kindes sei ihm bewusst geworden, dass es auch Schönes außerhalb der Politik gebe. Dabei sollten Politiker:innen ihre Familien nicht für ihre Interessen instrumentalisieren. Ein Kommentar von Kim Fischer.
Im ersten Moment hört sich Kurz’ Aussage nach einem liebevollen Vater an, der selbstlos seine Prioritäten verschiebt. Wäre da nicht der Korruptionsskandal, der wie ein Schatten über seinen Worten hängt.
Korruptionsvorwürfe gegen Kurz
Anfang Oktober diesen Jahres gab es eine Razzia unter anderem im Kanzleramt, Finanzministerium und der Parteizentrale der „ÖVP“, der Partei von Kurz. Dabei stellten die Fahnder:innen Datenträger sicher, die als Beweismittel für eine Ermittlung gegen Kurz und sein politisches Umfeld herhalten. Kurz soll 2016 Steuergelder für gefälschte Umfragen und Bestechung verwendet haben, damit Zeitungen gut über ihn berichten. Kurz streitet die Vorwürfe ab und lehnte den ersten Aufruf zum Rücktritt ab.
Familie erzeugt “Heile Welt-Fantasie”
Ein:e Politiker:in ist öffentlichkeitswirksam in einer anderen Position, wenn er:sie als Grund des Rücktritts die Familie benennt. Dieser Schritt wirkt nahbar, sympathisch und demütig. Er:sie heiligt schließlich damit die soziale Institution der Familie, der unsere Gesellschaft eine hohe Bedeutung zuspricht. Daran ist auch erst einmal nichts auszusetzen. Es ist aber ein Problem, wenn die Familie zu PR-Zwecken herhalten muss und den Fokus von den Problemen hin zu einer “Heilen Welt-Fantasie” verschiebt. Das Bild des sorgenden Familienvaters ist schließlich angesehen. Auf jeden Fall besser als ein womöglich korrupter Politiker, der Steuergelder veruntreut und die Öffentlichkeit manipuliert. Nun könnte man den ehemaligen Kanzler verteidigen. Vielleicht ist ja wirklich demütig geworden. Er kann ja wirklich für sich beschlossen haben, dass Familie wichtiger sei als Karriere und politische Macht.
Instrumentalisierung und Manipulation
Kurz seine Vaterliebe abzusprechen ist auch als Außenstehende:r nicht möglich und soll hier auch nicht das Thema sein. Vielmehr ist Kurz’ Rücktritt ein aktuelles Beispiel dafür, dass der private Bereich der Familie in der Politik zu oft instrumentalisiert wird. Politiker:innen können mit ihrer Familie der Öffentlichkeit zeigen, dass sie doch auch nur Menschen wie Du und Ich sind. Dass sie sich um die Belange von Staatsbürger:innen kümmern können, denn sie haben ja auch schon Care-Erfahrung im Privaten. Nur sagt das schlichte Gründen einer Familie nichts über die Qualitäten einer Person als Politiker:in aus und gehört somit auch nicht in den öffentlichen Diskurs darüber.
Sexismus in der Politik
Ein weiteres Beispiel für diese Verwendung der Familie bringt der CDU-Politiker Friedrich Merz. In seiner Bewerbungsrede zum Parteivorsitz im Januar 2021 behauptete er, dass er kein “Frauenproblem” habe. Er habe zwei Töchter und eine Frau, er könne also nicht sexistisch sein. Dass diese Argumentation in sich nicht schlüssig ist, zeigt erst recht seinen offensichtlichen Sexismus. Doch vor allem benutzt auch er seine Familie als Werkzeug für einen vermeintlich positiven, öffentlichen Auftritt. Die Familie dient in seiner Rede als Rechtfertigung und Schutz vor Anklagen. In den USA ist die Inszenierung als vertrauenswürdiger Familienmensch schon lange Teil des Wahlkampfes. Egal ob Joe Biden oder Donald Trump – die Familie ist vor allem bei öffentlichen Auftritten harmonisch inszeniert.
Das Bild des sorgenden Vaters
Dass Politiker:innen ihre Familien pauschal ausnutzen würden, ist eine grobe Unterstellung. Aber das Beispiel von Sebastian Kurz zeigt, wie wirksam die Instrumentalisierung sein kann. Egal wie die Korruptionsvorwürfe ausgehen, er wird auch durch diesen PR-Streich in Erinnerung bleiben. Wenn er in ein paar Jahren sein Comeback in die Politik feiert, werden bestimmt einige Stimmen sagen: “Er ist ja damals wegen der Familie zurückgetreten. Was für ein guter Vater.” Die Vorwürfe der Bestechung und Untreue sind dann schnell vergessen.