Filmklassiker der Woche

Die fabelhafte Welt der Amélie

/ / Bild: Screenshot/ Prokino (Fox)

Amélie lebt in ihrer eigenen kleinen Welt, welche sich im schönen Pariser Stadtteil Montmartre in all ihre realen und fiktiven Fassetten entfaltet. Fantasievoll träumt sich die junge, introvertierte Frau durch ihren tristen Alltag und erschafft ein romantisches Paris, in welches sie ihre Beobachter*innen für zwei Stunden eintauchen lässt. Besonders in der jetzigen Situation ein wohltuender Ausflug in eine wunderliche, bunte und fabelhafte Welt, welche zum Träumen einlädt und zwischen Melancholie und Pessimismus, Hoffnung in das Gute im Menschen setzt. 

Das von Jean-Pierre Jeunet moderne französische Märchen, veröffentlicht 2002, stellt eine selbstlose und verträumte Heldin in den Mittelpunkt des Geschehens. Amélie, Anfang 20, ist Kellnerin in einem kleinen Bistro in Montmartre, lebt zurückgezogen, spricht kaum und verbringt ihre Freizeit gerne damit Menschen zu beobachten und sich Traumszenarien auszumalen. Als Kind stark vereinsamt, eingeschüchtert und von der Welt abgeschirmt, lebt sie weltabgewandt vor sich hin, bis sie eine alte Blechdose mit Erinnerungen eines kleinen Jungen findet.

Amélie findet die Blechdose mit Erinnerungen. (Bild: Screenshot/M94.5)

Sie macht sich zur Mission, diese Erinnerungen dem Besitzer zurückzubringen und kann ihn bald ausfindig machen. Aufgrund ihrer Schüchternheit beobachtet sie den älteren Herrn mit genügend Abstand aus der Entfernung, wie er sentimental auf seine Kindheitserinnerungen in der Dose zurückblickt. Sie beschließt, weiterhin aus dem Verborgenen Menschen zu ihrem Glück zu verhelfen. So verkuppelt sie insgeheim ihre hypochondrische Kollegin, tröstet ihre verwitwete Vermieterin mit gefälschten Liebesbriefen, schickt den Gartenzwerg ihres Vaters auf Weltreise und übt Gerechtigkeit für einen ungerecht behandelten Gemüseverkäufer. Erfüllt durch das Glück der Anderen, findet Amélie sich ganz unerwartet selbst in ihrer eigenen Liebesgeschichte, die sie aus ihrer Anonymität und Traumwelt in die reale Welt ihrer Umgebung zieht.

Mit Liebe zum Detail

Mit besonderer Liebe zum Detail erschafft Regisseur Jean-Pierre Jeunet eine Welt, welche durch die Augen der Protagonistin Amélie Poulain ein farbenfrohes Feuerwerk an Filmkunst hervorbringt. Lebhafte und intensive Bildfarben, schnelle Szenenabfolgen und -sprünge, Rückblenden, Zeitraffer, sowie mehrfache Wechsel von überdimensionalen Einstellungsgrößen innerhalb einer Einstellung, um nur einige stilistische Mittel zu nennen, schaffen einen bewegungsstarken Film, der keinen Moment zur Langeweile oder Unaufmerksamkeit zulässt. Durch die Geschwindigkeit mögen die vielen Szenen und Bilder in der Summe vielleicht überwältigend und zu viel wirken, im Detail betrachtet sind sie jedoch essentiell um die Nähe und das Verständnis für alle Charaktere im Film so intensiv und persönlich zu zeichnen, wie Jean-Pierre Jeunet es tut.

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Trailer: Die fabelhafte Welt der Amélie (YouTube)

Große Aufnahmen von Objekten wie dem Gartenzwerk, die Oberfläche der knackenden Crème Brulé oder der Steine, die Amélie immer wieder über das Wasser springen lässt, sind alle mit tieferen Interpretationen versehen, welche Aufschluss über sie selbst geben. So ziehen die übers Wasser springenden Steine von Amélie immer größere Wellen, wie auch ihre heimlich guten Taten, welche sie im Verlauf des Films immer wieder in Bewegung setzt. Genauso die intensiven Nahaufnahmen der Nebendarsteller sowie ausgiebigen Rückblenden, erlauben in kürzester Zeit einen tiefen Einblick in das Seelenleben der Charaktere und zieht die Zuschauer*innen tief in die fabelhafte Welt der Amélie. 

Amélies Taten ziehen weite Kreise, wie ihre Steine im Wasser. (Bild: Screenshot/M94.5)

Zwischen Traum, Realität und Fantasie

Gespickt mit einem typisch markanten französischen Humor, springt die Geschichte zwischen Traum, Fantasie und realem Alltag hin und her. Der Film besteht aus einer äußeren Handlung, begleitet von einem allwissenden Erzähler und einer inneren Handlung, Amélie’s Innenleben, ihrer Phantasiewelt und inneren Konflikten. In Amélie’s Welt wirken die Bilder im Film oft sehr künstlerisch, wie gemalt. Ein roter Schimmer ziert ihre Bilder, Gemälde beginnen zu sprechen und Filme in ihrem TV fangen an über ihr Leben zu berichten.

Der Erzähler bildet den Rahmen der Geschichte über Amélie, er zeigt die Perspektive von oben, schaut auf Amélie’s Leben aus einer realistischen Sicht, setzt es in eine chronologische Reihenfolge und schafft damit die Relation zu ihrer Fantasiewelt. Interessant ist es zu beobachten, dass sich Amélies Fantasiewelt im Verlauf des Films immer mehr an die Realität annähert. Je näher sie Nino, ihrem Schwarm und somit ihrer eigenen Liebesgeschichte kommt, desto realer werden ihre Träume. Während Sie zu Beginn von ihm in ihrem Leben träumt, verbindet sich ihre Traumwelt und Realität in dem Moment, in dem Nino in der realen Welt letztendlich vor ihrer Haustür steht und klingelt.

Mehr als nur eine Lovestory

Obgleich Amélies Geschichte als klassische Liebesgeschichte betrachtet werden kann, so geht es weniger um ihre eigene Romanze, sondern viel mehr um die Liebe und das Glück der anderen Menschen in ihrer Nähe. Denn Amélie ist während des ganzen Films nicht auf der Suche nach ihrem eigenen Glück, sondern nach dem der anderen Menschen, welches unmittelbar ihr selbst das größte Glück am Ende beschert. Es sind die kleinen Beobachtungen und die selbstlosen Taten in ihrem Leben, welche ihr aus der Distanz Freude bereiten und welche sie zu einem sonderbaren aber zugleich wunderbar liebenswerten Charakter formen und die fabelhafte Welt der Amélie ausmachen.