Oscars 2019
Die “Besten Filme” für Eilige
Unser handlicher Spickzettel für alle, die sich mit den diesjährigen Nominierten nicht auskennen, aber trotzdem mitreden möchten.
Es ist die mit Abstand wichtigste Kategorie bei den Academy Awards, verbunden mit viel Prestige und Glamour: der “beste Film”. Auch dieses Jahr gehen wieder acht Kandidaten ins Rennen, und auch dieses Jahr hat sich unsere Kulturredaktion geopfert und fleißig Filme geschaut, damit ihr die Hard Facts kennt, ohne eine Woche im Kino verbringen zu müssen. Hier also alles Wissenswerte zur durchwachsenen Auswahl der Besten Filme 2019. Noch mehr Expertenwissen gibt’s in der M94.5 Oscar-Nacht, vom 24. auf den 25. Februar ab 23 Uhr, denn wir bleiben für euch wach und begleiten die Verleihung live – kritische Berichterstattung inklusive.
Black Panther
Obwohl es schon vor Jahren von der Kritik hochgelobte Superheldenfilme gab (The Dark Knight nur als prominentestes Beispiel), hat bislang noch kein Film dieses Genres eine Oscar-Nominierung als Bester Film erhalten. Warum durchbricht jetzt ausgerechnet Black Panther diese Schallmauer?
Das Drehbuch kann es nicht sein, es erzählt eine übliche Superheldengeschichte. Stattdessen geht’s bei Black Panther vor allem um eins: den kulturellen Impact. Kein anderer Film jemals zuvor hatte so eine Wirkung auf die afro-amerikanische Gesellschaft. Moderne Beats und Tracks von Hip-Hop-Superstar Kendrick Lamar verschmelzen mit afrikanischer Musik zu einem einzigartigen Soundtrack. Die Kostüme des Films geben die ganze vielfältige Farbenpalette des afrikanischen Kontinents wieder. Black Panther ist dem aktuellen Zeitgeist viel näher als jeder andere Marvel-Streifen zuvor. Und am allerwichtigsten: Dank des größtenteils afro-amerikanischen Casts und vielen starken Frauenrollen haben alle afro-amerikanischen Kinder und Jugendlichen endlich Helden und Heldinnen, die sie auf der großen Leinwand repräsentieren.
Zwischenzeitlich hatte die Academy sogar überlegt, die neue Kategorie “Best Popular Film” einzuführen (mehr dazu hier). In dieser wäre Black Panther wohl todsicherer Sieger gewesen. Nachdem aber die Proteststimmen gegen die Neuerung immer lauter wurden, wurde auf diese verzichtet. So fühlt sich die Nominierung von Black Panther als Bester Film ein wenig wie eine Kompromisslösung an. Dass Black Panther gewinnt, ist also eher unwahrscheinlich. Vielleicht besteht der Gewinn aber auch schon darin, dass endlich mal ein Film über afro-amerikanische Protagonisten nominiert ist, der nicht in erster Linie von Rassismus oder Sklaverei handelt. apo
Blackkklansman
„Der Shit ist echt passiert“ – mit dieser Tagline warb BlacKkKlansman schon im Trailer. Und es ist gut, dass man als Zuschauer diesen Hinweis schon vor Beginn des Films bekommt, die Handlung wäre ausgedacht einfach zu absurd: Ein afro-amerikanischer Polizist tritt dem rassistischen Ku Klux Klan bei, um ihn von innen zu unterwandern. Das klingt nicht nur unvorstellbar, sondern führt auch zu erstaunlich viel Situationskomik.
So unterhaltsam die Geschichte aber auch ist, Regisseur Spike Lee verliert nie seine wichtigste Message aus den Augen: „Dieser Shit passiert auch heute noch.“ Dieser Shit – damit ist Rassenhass in Amerika gemeint. Immer wieder baut er meist weniger subtile Verweise auf den aktuellen Präsidenten Donald Trump in seinen Film ein. So haut beispielsweise der Großmeister des Klans, David Duke, Parolen wie „America first“ raus. Dieser Aktualitätsbezug ist das, was BlacKkKlansman auszeichnet.
Die Geschichte wird niemals langweilig, verbindet geschickt Humor mit dem Ernst einer Rassenauseinandersetzung und hinterlässt vor allem mit seiner grandiosen Schlussszene das Gefühl, dass der politische Diskurs diesen Film braucht. Zudem machen sehr gute Schauspielleistungen, ein dynamischer Schnitt und ein klasse Soundtrack BlacKkKlansman zu einem runden Gesamtwerk, das verdient in gleich sechs Kategorien für einen Oscar nominiert wurde. Nur dürfte einigen Academy-Mitgliedern seine mangelnde Subtilität und klare politische Message nicht schmecken. Wahrscheinlicher als der Beste Film ist da eine Auszeichnung in der Kategorie Bestes Adaptiertes Drehbuch. apo
Bohemian Rhapsody
Irgendwie kennt sie doch jeder, die Geschichte von Queen, oder besser die von Freddie Mercury. Die meisten von uns haben zwar noch nicht gelebt, als sie geschrieben wurde, aber um Songs wie „Bohemian Rapsody“, “We will rock you“ und „Don’t stop me now“ kamen wir wohl alle nicht rum. Und so haben auch wir spätestens mit 14 „We are the Champions“ auf dem lokalen Sportplatz gegrölt. Dass das Biopic Bohemian Rhapsody also einschlug wie eine Bombe und tausende in die Kinos zog, ist kaum überraschend.
Queen-Gründungsmitglied Brian May hatte bereits 2006 den Plan eines Biopics, doch das Produktionsmartyrium zog sich etliche Jahre. Lange ließ sich kein passender Kandidat für die schillernde Hauptfigur finden. Am Ende wurde es Mr. Robot-Star Rami Malek, der den Queen-Frontmann sensibel und vielschichtig spielt.
Die Produktion: fast genauso turbulent wie die Geschichte. Knapp drei Wochen vor Ende der Dreharbeiten wurde X-Men-Regisseur Bryan Singer gefeuert. Der Grund: interne Streitigkeiten. Dexter Fletcher vollendete das Werk, doch in den Regie-Credits wird er nicht genannt. Wahrscheinlich ging es um das, was auch viele Fans bewegt: der Erzählton des Films. Denn oft wird kritisiert, er sei zu handzahm, Mercurys ausschweifendes Wesen nur zu milde angedeutet, die schweren letzten Jahre vollkommen ausgeblendet. Am Ende ist es wohl der komplett nachgesellte 20-minütige Auftritt der Band beim Live-Aid-Konzert, der den Film zu einem versöhnlichen Abschluss bringt. Ein Film ohne Ecken und Kanten also, aber mit viel Nostalgie und großartiger Musik. apa
The Favourite
Bei den diesjährigen Nominierungen besonders gut weg gekommen ist The Favourite. Das Historiendrama hat ganze 10 Nominierungen abgestaubt – was kaum jemanden überraschen dürfte, der die Auswahl der Academy kennt, historische Filme kommen da schließlich immer gut an. The Favourite ist aber bei Weitem kein gewöhnlicher Historienfilm.
Manche Szenen sehen aus, als wären sie aus dem Winkel einer Überwachungskamera gedreht: Langsam schleicht der Blick des Zuschauers durch lange Korridore und über opulent gekleidete Menschen hinweg, und während der minimalistische Soundtrack unheilvoll anschwillt, fühlt sich der so riesige Palast seltsam klaustrophobisch an. Das ist das Setting von The Favourite: so skurril wie seine Figuren, seine Dialoge, der ganze Film. Zwischen spitzen Dialogen und unfassbaren Kostümen entspinnt sich eine Dreiecksbeziehung am britischen Hof des 18. Jahrhunderts. Denn Königin Anne ist krank und gebrechlich – und so buhlen gleich zwei Frauen um ihre Anerkennung – und ihre Macht.
Regisseur Yorgos Lanthimos erzählt diese Geschichte völlig befreit von dem Anspruch, historisch akkurat zu bleiben: Zwar ist The Favourite inspiriert von der echten Queen Anne, aber große Teile der Intrigen und Affären sind erfunden. Statt so zu tun, als könnte man nach all der Zeit überhaupt noch wissen, was wirklich geschehen ist, hat Lanthimos einfach einen riesigen Spaß mit seinen großartigen Hauptdarstellerinnen, Olivia Colman, Rachel Weisz und Emma Stone (allesamt für ihre Leistung nominiert). Wer so leichtfüßig und humorvoll mit Genre-Grenzen spielt, hat jeden Preis verdient. nc
Green Book
New York, 1962. Eine Großstadt voll mit Menschen, die in der gleichen Stadt leben, aber doch in anderen Welten: In der Bronx lebt Tony, ein italo-amerikanischer Nachtclub-Türsteher, der zusammen mit seiner Familie ein glückliches Leben führt. In Midtown lebt Don Shirley, ein kultivierter, etwas snobistischer Konzertpianist, der hohen Wert auf korrektes Benehmen legt und zwar erfolgreich, aber einsam ist.
Green Book erzählt die Geschichte einer Freundschaft von zwei Menschen, die eigentlich nicht unterschiedlicher sein könnten. Don stellt Tony als Fahrer für seine Konzerttour durch die Südstaaten der USA ein. In den 60er Jahren kein einfaches oder angenehmes Unterfangen für den schwarzen Don. Green Book nimmt die Stereotypen seiner Charaktere auseinander und zeigt die Motivationen und Beweggründe von Tony und Don.
Viggo Mortensen stellt die Charakterentwicklung des anfangs eher voreingenommen rassistischen Tony nachvollziehbar dar. Mahershala Ali zeigt Dons Einsamkeit und seinen inneren Kampf, gefangen zwischen zwei Welten, aber nirgendwo zugehörig. Der offene Rassismus in den Südstaaten, mit dem Don in seinem Alltag konfrontiert ist, wird auf einer ganz persönlichen Ebene gezeigt: Seien es die diskriminierenden Polizisten, der intolerante Hotelier oder der engstirnige Verkäufer. Green Book macht in solchen Momenten wütend und traurig, ist aber auch lustig, ernst und schön. Das ist stellenweise vorhersehbar und filmisch sicher nicht sonderlich innovativ, funktioniert aber eben trotzdem; und zeigt, wie aus Diskriminierung Freundschaft entstehen kann. jm
Roma
Mexiko-Stadt, 1970. Cleo arbeitet als Kindermädchen und Haushaltshilfe für die Familie Antonio. Putzt still und unauffällig das Haus, kümmert sich um den Hund, liebt die vier Kinder wie ihre eigenen. Cleo gehört zur Familie. Steht mit ihr schwere Zeiten durch, wie die Trennung der Eltern, und erfährt umgekehrt Unterstützung und Trost bei der Totgeburt ihres eigenen Kindes. Mit seinem Film Roma versucht Regisseur Alfonso Cuarón (bereits ausgezeichnet für Gravity), die Geschichte einer Familie in einem aufgewühlten Mexiko zu erzählen, voller Gewalt, politischer Umbrüche und gleichzeitig voller Liebe.
Aber Alfonso Cuarón erzählt nicht irgendeine Geschichte; er erzählt seine eigene. Cleo heißt eigentlich Libo und hat Cuarón großgezogen, seine gesamte Kindheit über begleitet. Und genau diese Kindheit möchte der Regisseur in Roma rekonstruieren. Die Schauplätze sind seine alte Straße, das ehemalige Haus seiner Eltern, die Möbel aus seinem Kinderzimmer und das Stadtviertel Roma in den 70er Jahren. In schwarz-weiß und völlig ohne Filmmusik gelingt es ihm, ein Mexiko einzufangen, wie es in seiner Erinnerung verankert ist. Dazu gehören die Hundescheiße in der Einfahrt, die Geräusche von Autos, Fahrrädern und Vögeln in der Stadt und eben auch Ereignisse wie das Fronleichnammassaker während den Studentenprotesten 1971.
Cuarón beobachtet in Roma, kommentiert das Geschehene nicht, sondern gibt einfach wieder. Er versucht, seine Vergangenheit aus der Gegenwart darzustellen, und schafft als Regisseur, Kameramann und Drehbuchautor, gewaltige und perfekt inszenierte Bilder einzufangen und seine persönliche Geschichte zu erzählen. Für diese Leistung ist Roma für insgesamt 10 Oscars nominiert. nm
A Star Is Born
A Star is Born ist mittlerweile schon das dritte Remake des Originalfilms aus dem Jahr 1937. Der Streifen konnte damals einen Oscar gewinnen – ob das Remake das auch schafft?
Bradley Cooper gelingt es jedenfalls, das Ausgangsmaterial auf die aktuelle Zeit zu adaptieren. Er selbst spielt einen Rockstar, der sich in eine aufstrebende Sängerin verliebt, verkörpert von Lady Gaga in ihrer ersten großen Kinorolle. Er gibt ihr die Chance, mit ihrem selbstverfassten Song „Shallow“ bei einem seiner Konzerte aufzutreten.
„Shallow“ ist aber nicht nur der Song, der sie zum Superstar macht, ein wenig shallow fühlt sich auch die Lovestory der beiden an. In einem rasanten Tempo verlieben sie sich, erst in der zweiten Hälfte des Films nimmt man den Hauptdarstellern die emotionale Geschichte ab. Jedoch nicht nur Bradley Cooper und Lady Gaga scheinen in ihren Rollen, völlig zurecht wurde auch Sam Elliott, der den Bruder und Manager von Jackson Maine spielt, als bester Nebendarsteller nominiert. Neben den Darstellern ist aber ganz klar die Musik der Star des Films. Das Drama wird durch sehr viele gute Songs abgerundet, die sich aber alle letztlich hinter „Shallow“ anstellen müssen. Filmisch hat A Star Is Born bisher kaum Auszeichnungen abstauben können; Preise bekommt viel eher die Musik. So stehen auch die Chancen für Bester Song deutlich besser als für den Besten Film. apo
Vice
Erzählt wird die Biographie von Richard „Dick“ Cheney, der Anfang der 2000er Jahre der 46. Vizepräsident unter George W. Bush war. Was erstmal verstaubt und öde klingt, macht Vice zu einem überraschend verpackten Polit-Thriller.
Politik wird plötzlich unfassbar spannend erzählt, als der Zuschauer Cheney folgt und merkt, wie andere, weitaus bekanntere Politiker zu seinen Marionetten werden. Dabei ist über Cheney wenig bekannt – und so mussten die Filmemacher kreativ werden. Es werden Stilmittel wie ein verspätetes Intro, ein vorgezogener Abspann oder das Wiederholen von Szenen mit verschiedenen Darstellungsweisen genutzt, um einen im besten Sinne abgefuckten Film auf die Leinwand zu bringen. So ist die Handschrift von The Big Short-Regisseur Adam McKay ganz klar erkennbar.
So faszinierend wie der visuelle Stil ist auch die Performance von Christian Bale: Um Cheney zu verkörpern, hat er 20 Kilo zugenommen und saß täglich bis zu vier Stunden im Makeup-Stuhl. All diese harte Arbeit macht Vice nicht nur zu einer unterhaltsamen Auslegung amerikanischer Geschichte, sondern auch zu einem kleinen Meisterwerk. jr