Platte des Monats April 2017
Desperate Journalist – Grow Up
Dass wir alt werden, ist unumgänglich. Dass wir erwachsen werden, ist wohl aber eine größere Herausforderung für jeden von uns. Egal wie viele Vorteile Volljährigkeit und Unabhängigkeit haben mögen, es gilt auch, zahlreiche Hürden zu meistern. Und wie schwer das sein kann, bringen Desperate Journalist auf ihrem Album „Grow Up“ knallhart und mit hundertprozentiger Ehrlichkeit auf den Punkt.
„Desperate Journalist In Ongoing Meaninfgul Review Situation.“ Mit diesem Song haben The Cure im Jahr 1979 gegen den NME Journalisten Paul Morley gestachelt. Grund war eine negative Rezension ihrer damaligen LP „Three Imaginary Boys.“ Was das mit Desperate Journalist zu tun hat? Der Song war ausschlaggebend für ihren Bandnamen. Und nicht nur für den nahmen sich die vier Engländer der Band Desperate Journalist Inspiration von einer der wohl größten Post-Punk Bands der Geschichte. Auch musikalisch erinnern sie teilweise an The Cure oder The Smiths. Was schon viele vergeblich versucht haben, gelingt dem Quartett erstaunlich gut. Sie treten nicht nur in die Fußstapfen von Morrissey, Robert Smith und Co., sondern hinterlassen neue Fußabdrücke auf dem Boden der Post-Rock und DIY Szene.
Sanft trifft lebendig
Ganz nach dem Motto „Grow Up“ ist die Band um Frontfrau Jo Bevan in den letzten drei Jahren nicht nur privat, sondern auch musikalisch erwachsener und reifer geworden. Sie scheinen ihre eigene Identität gefunden zu haben. In nur eine Schublade lassen sie sich allerdings nicht stecken. Im Gegensatz zum selbstbetitelten Debütalbum, das 2014 erschien, strotzt der Nachfolger von Diversität und unterschiedlichsten Facetten. Da entdeckt man mitreißende klirrende Gitarrenriffs im Opener „Hollow“ und fast schon einen hymnischen Chorus im zweiten Track „Resolution.“ Aber auch Wave und Gothic finden ihren Platz in „Lacking in your love.“ Mit „Radiating,“ dem letzten Song des Albums, überraschen sie dann am Ende auch noch mit einer ruhigen Klavierballade. Sich zwischen verschiedenen Genres zu bewegen – das können Desperate Journalist.
“Fade in the atmosphere” (“Resolution”)
Was Desperate Journalist von anderen Bands hervorhebt, ist das harmonische Zusammenspiel. Klar, die Stimme von Jo Bevan steht meistens im Vordergrund. Geprägt von Leidenschaft bringt ihre sensible, teilweise gebrochene, aber auch vielseitige Stimme immer genau ihre Gefühle zum Ausdruck. Man glaubt ihr aufs Wort. Ehrlich und verletzlich – allein nur an der Stimme ist die unglaubliche Emotionalität der Songs schon erkennbar. Aber die anderen drei Mitglieder der Band dürfen auf keinen Fall außen vorgelassen werden. Rob Hardys virtuose Gitarrenriffs ziehen sich durchs komplette Album. Die Drummerin Caz Hellbent gibt robuste Rhythmen zum Besten. „Grow Up“ ist getrieben von Simon Drowners Basslines. Damit schaffen sie genau das, was das Album ausmacht: Jeder der vier Londoner bringt seine eigene Note in die Musik mit ein. Ganz individuell. Gleichzeitig blendet alles ineinander über und vermischt sich zu einem harmonischen Gesamtkonstrukt. Die sogenannte „teenage angst“, also all die Ängste, die mit dem Erwachsenwerden auf einen zukommen, beschreiben die Vier auf ihre komplett eigene Weise. Die Kombination aller Bandmitglieder macht dann aber letztendlich die Ehrlichkeit aus, die einen direkt mitten ins Herz trifft, sobald der erste Ton erklingt.
Lyrische Raffinesse und 100% Ehrlichkeit
Zukunft. Versagensängste. Furcht vor Neuanfang. Nachvollziehen kann das vermutlich jeder. Allein durch die musikalische Untermalung vermitteln Desperate Journalist sämtliche Emotionen. Wer dann aber noch genau auf die Lyrics von Sängerin Jo Bevan achtet, fühlt sich direkt mit ihr verbunden. Schließlich wird jeder von uns erwachsen und muss irgendwie lernen, mit all den Pflichten und der Verantwortung, aber auch der Unsicherheit umzugehen. Laut Jo Bevan heißt das Album deshalb „Grow Up“, weil jeder der Songs inhaltlich zu genau diesem Thema passt.
„Each song is about figuring out what being an adult is supposed to mean.“
Anstatt die Schwierigkeiten und Probleme zu abstrahieren und künstlerisch zu umschreiben, bringen Desperate Journalist es direkt auf den Punkt. Da geht es um überzogene und übertriebene Feierlichkeiten in „Resolution“, um Selbstüberschätzung in „Your Genius“ oder um langweilige Liebhaber in „Why are you so boring.“ Die Texte könnten aus dem Tagebuch eines typischen jungen Erwachsenen stammen. Jo Bevan schreibt so ehrlich und dabei so raffiniert.
„The wine helped me kiss you but I just couldn’t ask. I still never asked. I’ll just keep radiating as your interest’s fading.“
Angst vor Ablehnung. Darum geht es in Radiating, dem finalen Song der Platte. So unverhüllt, so nachvollziehbar, so wahr. Erwachsen werden ist definitiv nicht einfach. Der Weg dorthin ist aber auch irgendwie wunderbar.
“Grow Up” von Desperate Journalist ist am 24.03.2017 bei Fierce Panda Records erschienen.