Ausflug

Der Tag, an dem ich Deutscher Meister wurde

/ / Bild: M94.5/Adam Lehocky

Bayer 04 Leverkusen wird zum ersten Mal Deutscher Fußballmeister. Für einen Studenten aus München erfüllt sich damit ein Lebenstraum. Adam Lehocky (21) gibt einen Einblick in seine Geschichte und die rational nicht zu erklärende Verbundenheit von Fans zu ihren Vereinen.

14. April 2024, 17:30 Uhr. Leverkusen, eine Stadt, in der ich nie gelebt habe. 30.210 Menschen sitzen mit mir in der BayArena. Keinen davon kenne ich persönlich. Elf Millionäre wollen gleich ein Fußballspiel gewinnen. Dass ich existiere, weiß keiner von ihnen. Es könnte der schönste Tag meines Lebens werden.

Als Leverkusen-Fan in München bist du vor allem eines, auf dich alleine gestellt. Die Frage, die einen begleitet: Wieso? Eine berechtigte Frage. Wie kommt jemand, geboren in München, kein familiärer Bezug zum Rheinland, in diese Situation?

Das Sommermärchen legt den Grundstein

WM 2006. Deutschland feiert das Sommermärchen und ich verliebe mich in die Spielweise von Mittelfeld-Zauberer Bernd Schneider. Ein paar Monate später erkundete ich die Straßen von München in einem Leverkusen-Trikot mit der 25 auf dem Rücken. Der Nummer von Schneider. So schnell kann es gehen.

Der Autor, Adam Lehocky, auf dem Weg zur 0:1-Heimniederlage gegen Mainz 05 – 01. März 2014

Eine Beziehung auf Lebenszeit

Seinen Verein sucht man sich nicht aus. Er ist auf einmal einfach da. Mit im Gepäck: Unerschütterliche Treue und Verbundenheit. Die Geschichte des Clubs wird zur eigenen Geschichte. Ich (Jahrgang 2003) nenne Spieler Legenden, die ihre Karrieren vor meiner Geburt beendet haben und zucke zusammen, wenn jemand die “Neverkusen-Saison” 2001/02 anspricht.

Die Sinnhaftigkeit der eigenen Unterstützung wird nicht hinterfragt. Auch sportlicher Erfolg ist nicht nötig. Zwar gehört Leverkusen meist zu den besseren Teams in Deutschland, in den 21 Jahren nach meiner Geburt gewinnt der Verein allerdings keinen einzigen Titel. Zwei Mal stehen “wir” im Pokalfinale. Beide Spiele gehen verloren.

Schule, Studium, Arbeit, Meisterschaft

In der Enklave München bin ich gefühlt der einzige Vertreter meiner “Art”. Doch es gibt sie auch, die Ausflüge in die Parallelwelt. Ab dem Bahnhof Leverkusen Mitte habe ich auf einmal Gleichgesinnte. Im März 2011 stehe ich erstmals in der “Bayarena”. Vor Aufregung verbringe ich den Großteil der Partie zitternd in den Stadiongängen. Ich sehe kein Tor des 3:0-Heimsiegs live. Trotzdem bin ich wunschlos glücklich.

Mein Team begleitet mich durchs Leben. Ich rechne Jahre in Platzierungen und Stadionbesuchen, hafte wichtige Ereignisse an Trainer und Transfers. Die Trikots in meiner Schublade wachsen im Gleichschritt mit mir. Schule, Studium, Arbeit, Meisterschaft. Oder so.

Leverkusen ist meine Konstante. Werte, Normen, Ziele und Vorstellungen entwickeln und verändern sich. Der Verein ist nicht der wichtigste Bestandteil meines Lebens, aber der Teil, bei dem ich mir am sichersten bin. Wie der eine Jugendfreund, der zum Familienmitglied geworden ist.

Irgendwann beginnt das Berufsleben und aus dem Hobby Fußball wird mehr. Fan sein und Sportjournalismus, geht das zusammen? Klar! Die ganze Branche besteht aus Fans, einzige Bedingung: Im Arbeitskontext müssen die persönlichen Sympathien ausgeblendet werden. So sehr wie am Sonntag sind diese Welten für mich noch nie miteinander verschwommen.

Adam Lehocky beobachtet den damaligen Leverkusen-Trainer Sami Hyypiä ganz genau beim Interview. Damals noch ohne Mikrofon und Kamera – 02. März 2014

Die Geduld zahlt sich aus

Triumph und Tragödie, das macht den Sport aus. In dieser Saison spielt mein Verein so erfolgreich, wie ich es ihm nie zugetraut hätte. Die ganze Welt spricht über meinen Verein, der sonst im großen Fußballkosmos gerne mal unter dem Radar läuft. Es braucht keine Erfolge, um Fan zu sein, aber Träumen gehört dazu. Ich habe immer gesagt: Einen Titel möchte ich in meinem Leben miterleben. Und dann?

Spieler und Trainer werden gehen, neue kommen. Spiele werden gewonnen, Spiele gehen verloren. Vielleicht werden wir nie wieder Meister, egal, dann war ich bei diesem einen Mal dabei.

14. April 2024, 19:22 Uhr, Leverkusen. Victor Boniface trifft, Granit Xhaka trifft, Florian Wirtz vollendet dreifach. Meister! 30.209 Menschen stürmen aufs Feld, jeder von ihnen mit seiner eigenen Geschichte, doch der Verbundenheit zum gleichen Verein. Ich sitze auf der Pressetribüne.

Es ist der schönste Tag meines Lebens.