Notre Dame
Denkmalschutz oder moderne Architektur?
Verlassene Plätze, einsame Cafés und Straßen wie leergefegt – Auch in Paris wurde das öffentliche Leben weitgehend lahmgelegt. Ein Jahr nach dem verheerenden Brand steht nun auch die Kathedrale von Notre Dame mit ihrem verlassenen Baugerüst im Zeichen des globalen Shutdown. Sanierungs- und Renovierungsarbeiten wurden eingestellt, der Wiederaufbau auf unbestimmte Zeit verschoben. Wie soll es mit dem Pariser Wahrzeichen weitergehen?
Am Nachmittag des 15. April 2019 brach ein Feuer im Inneren des Dachstuhls aus, kurzzeitig drohte das Gebäude sogar einzustürzen. Die Feuerwehr hatte erst am Morgen des 16. April das Feuer unter Kontrolle. Die Brandursache war zunächst unklar. Auch ein Jahr danach gibt es nur Spekulationen, was den Brand ausgelöst haben könnte.
Ein Auslöser könnte eine Zigarette eines Bauarbeiters auf dem Dachstuhl gewesen sein, denn im April 2019 wurden einige Teile der Kirche restauriert und repariert. Zunächst wurden nach dem Brand sämtliche Reliquien in Sicherheit gebracht und das Bauwerk mit Hilfe verschiedener Konstruktionen gestützt, um zu verhindern, dass Notre Dame nach dem Brand auch noch einstürzen könnte.
Wo sind die Spenden hin?
Nach dem Großbrand kündigte der französische Präsident Emmanuel Macron den Wiederaufbau von Notre Dame an. Nach diesem Versprechen spendete die ganze Welt Geld an Frankreich, um das UNESCO Weltkulturerbe auch weiterhin zu erhalten. Am Morgen nach dem Brand wurden schon mehr als 700 Millionen Euro für den Wiederaufbau zugesagt. Zu den Spendern gehörten Milliardäre und große Konzerne wie der Öl-Konzern „Total“. Die Spendenaktion stieß jedoch auch auf Unverständnis. Kritiker hinterfragten die plötzliche Hilfsbereitschaft und zweifelten an ihrer Umsetzung. Und tatsächlich: Laut Frankreichs Kulturminister Franck Riester wurden bisher nicht einmal zehn Prozent der zugesagten Beträge ausgezahlt. Dies sei aber laut Experten zu erwarten gewesen, denn das Geld könne nur Stück für Stück bereitgestellt werden. Zunächst müsse weiter das Gebäude gesichert werden, erst dann könne an den Wiederaufbau und die Nutzung der Spenden gedacht werden.
Schöner, besser, moderner?
Bereits zwei Tage nach dem Brand kündigte Macron den Wiederaufbau in einem Zeitraum von nur fünf Jahren an und nutzte die Gelegenheit für die Ausschreibung eines internationalen Architekturwettbewerbs. Ziel ist eine Rekonstruktion des verbrannten Spitzturms. Der Wettbewerb war erfoglreich: Architekten übertreffen sich gegenseitig mit Vorschlägen voll von Erfindungsreichtum und Experimentierfreude: Eine begehbare Dachterasse, ein bepflanzter Dachgarten, eine Glaskuppel oder sogar ein Dachschwimmbad.
Obwohl Vorschläge wie diese wohl kaum ernst zu nehmen sind, werden Vorwürfe laut, Macron wolle sich durch die moderne Rekonstruktion des Spitzturms ein Denkmal schaffen, ganz ähnlich wie der ehemalige Präsident Francois Mitterand, dessen Denkmal noch heute in Form der gläsernen Louvre-Pyramide als Fotomotiv weltweit bekannt ist. Aber ein Gotteshaus im mittelalterlich-gotischen Stil mit kontemporärem Flair – geht das nicht ein bisschen zu weit?
Die Sanierung stagniert
Prof. Dr. Stefan Albrecht ist Professor für Kunstgeschichte an der Uni Bamberg. Im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte beschäftigt er sich bereits seit über zehn Jahren mit der französischen Kathedrale. Zwischen 2015 und 2018 war er deshalb unter anderem an einem der Projekte beteiligt, die 3D-Scans des Querhauses anfertigten und momentan als wesentliche Voraussetzung für den Wiederaufbau der französischen Regierung vorliegen.
Den aktuellen Zustand der Kathedrale vergleicht er mit dem eines Patienten, an dem zunächst eine Anamnese durchgeführt werden muss:
„Man muss zunächst mal gucken, woran leidet die Kathedrale, was ist überhaupt zerstört und in welchem Zustand ist sie und dann kann man eigentlich erst einen Sanierungsplan machen. An diesem Punkt sind wir noch nicht mal angekommen, weil im Moment ja noch das alte Gerüst drinsteht. Das muss rausgeholt werden, weil man sonst nicht an die einzelnen Wände rankommt und dann geht’s erst so richtig los.“
Denkmalschutz, Kulturerbe und Gesundheit
Im Hinblick auf den Stillstand durch die Corona-Krise sowie die Kontaminierung des Innenraums durch eine Bleivergiftung hält Dr. Albrecht einen Wiederaufbau der Kathedrale in dem von Macron angekündigten Zeitraum von fünf Jahren für eher unrealistisch. Die Rede müsse eher von einem Zeitraum von zehn Jahren sein, so Albrecht. Außerdem stelle sich weiterhin die Frage, wie, beziehungsweise in welchem Stil der Dachstuhl des Gebäudes zu renovieren sei. Eigentlich ist die Regelung hier klar: Die Charta von Venedig, eines der wichtigsten Dokumente des Denkmalschutzes aus dem Jahre 1964, schreibt den identischen Wiederaufbau historischer Bauten vor, insofern diese ausreichend dokumentiert wurde.
Kritiker argumentieren jedoch, dass eine identische Nachbildung des Dachstuhls aus den historischen, teils gesundheitsgefährdenden Materialien nicht im Sinne der Gesundheit sein könne und plädieren deshalb unter anderem für eine modernere Auslegung. Dadurch riskiert die Kathedrale jedoch, von der Liste der UNESCO-Weltkulturerbe gestrichen zu werden. Letztendlich, so Albrecht sei eine Abwägung von denkmalpflegerischen, kulturgeschichtlichen und naturwissenschaftlichen Aspekten, nicht zuletzt natürlich auch eine Frage des Materials.