Musikrezensionen
Das perfekte Album
Der Traum eines jeden Musikers: Strahlende Bewertungen von der Presse. Viele Publikationen verteilen Noten, und da ist das Ziel natürlich die Bestnote. Weil die aber nur selten vergeben wird, stellt sich die Frage: Was macht eigentlich ein “perfektes” Album aus?
Zehn Jahre ist es her, dass Pitchfork einem Album eine perfekte Note gegeben hat. Zumindest bis Fiona Apple mit unserem letzten Album der Woche Fetch the Bolt Cutters eine glatte 10 abgeräumt hat. Wenn Pitchfork also eine 10 vergibt, horcht die Musikwelt auf.
Kanye Wests My Beautiful Dark Twisted Fantasy war das letzte Album, dass mit der vollen Punktzahl ausgezeichnet wurde. Und die Zeit hat Pitchfork recht gegeben. Das Album gilt immer noch als eines der besten Alben des Jahrtausends – vielleicht sogar aller Zeiten.
Mit solch guten Bewertungen sind Musikzeitschriften aber doch recht vorsichtig, denn: Ein Magazin muss sich mit ihren Kritiken einheitlich präsentieren. Das ist aber gar nicht so leicht, eine Redaktion besteht schließlich aus vielen Redakteuren und Meinungen. Eine perfekte Note ist für ein Magazin wie eine Waffe und sollte sparsam eingesetzt werden. Wenn zu viel perfekt ist, wird das gesamte Bewertungssystem geschwächt. Das scheint auch Pitchfork gelernt zu haben. Zwischen 1996 und 2002 vergab das Magazin zehn perfekte Noten. Seitdem waren es nur zwei.
Wenn ein Album dann aber doch mal die 10 bekommt, braucht das auch einen guten Grund. Was muss ein Album also bieten, um Kritiker dazu zu bewegen, die Bestnote zu verteilen?
Mehr als nur Musik
Ein Album muss offensichtlich mehr erreichen, als einfach nur gut klingen oder Spaß machen. Denn dann würde glattgebügelter Radiopop bei den Kritiken wohl besser abschneiden. Er tut es aber nicht. Ist das ein Zeichen des Elitarismus der Kritiker?
Musikkritiker bewerten mehr als nur Musik. Denn zu einem richtigen Kunstwerk gehört nicht nur die reine Ästhetik, sondern auch eine gewisse politische und soziale Relevanz. Deswegen ist es kaum überraschend, dass Alben mit stringenten Konzepten, politischer Attitüde und sozialer Reflexion meist besser abschneiden.
Trotzdem: Die härteste Kritik zeigt sich doch in den Verkaufszahlen eines Albums. Alben, die sich gut verkaufen, müssten demnach in irgendeiner Art und Weise auch gut sein. Und somit wäre meistverkaufte Album aller Zeiten wohl auch das perfekteste Album aller Zeiten.
Das erfolgreichste Album aller Zeiten
Mit Thriller hat Michael Jackson das bisher meistverkaufte Album veröffentlicht: Die Platte wurde 66 Millionen Mal weltweit verkauft und bekam gleichzeitig ausgezeichnete Kritiken. Die Zeitschrift Rolling Stones begründet ihre überragende Bewertung so:
Jackson’s new attitude gives Thriller a deeper, if less visceral, emotional urgency than any of his previous work, and marks another watershed in the creative development of this prodigiously talented performer.
Christopher Conelly, Rolling Stone vom 28.01.1983
Die Kritik nahm also auch Jacksons Fortschritt als Musiker in die Kritik auf. Thriller brachte frischen Wind in die Musikindustrie und war weder Disco, noch Rock oder Soul. Das Album war nicht nur ein musikalisches Ereignis, sonder schlug auch darüber hinaus Wellen. Deswegen ist es kaum verwunderlich, dass in vielen Kritiken, vor allem auch die erwachseneren, ernsteren Themen des Albums gelobt wurden
Auch Kritik ist nur eine Meinung
Thriller zeigt, dass Popmusik auch ambitioniert sein kann und dass Kritiken manchmal die Größe eines Albums voraussehen können. Das ist aber nicht immer so. Die New York Times zum Beispiel schrieb Elvis Presley anfangs in ihren Kritiken ab:
Mr. Presley has no discernible singing ability. For the ear, he is an unutterable bore.
Jack Gould, New York Times 1956
Damit traf die Kritik die Meinung vieler, die sich damals gegen die neue Rock ‘n’ Roll Bewegung wehrten – und zeigt, dass Kritiken oft von der Zeit widerlegt werden. Auch die Musikzeitschrift NME verschätzte sich beim Album Stone Roses der gleichnamigen Band ordentlich:
They are as inviting as a bathtub of purple jelly left over from the sixties.
Jack Barron, NME Mai 1989
Die Redakteure von NME sahen ihren Fehler aber schnell ein, schlussendlich wurde das Album zum zweitbesten Album des Jahres ernannt. 2006 wählte NME die Platte sogar zum besten britischen Album aller Zeiten.
Ob auch Fiona Apples neues Album dem Test der Zeit standhalten wird, wird sich erst noch zeigen. Es hat auf jeden Fall viele Eigenschaften, die ‘perfekte’ Alben oft haben: Mut, neue Klangfarben, ein besonderes Konzept. Und trotzdem zählt am Ende doch nur eine Meinung: Die der Hörer.