M94.5 Theaterkritik

Indien

/ / Bild: Arno Declair

Wie steht es um unsere Welt 2020? Wie wollen wir in Zukunft leben? Diese Fragen möchte Simon Solberg in seiner Inszenierung von „Indien“ behandeln. Die Tragikkomödie ist aus dem gleichnamigen Film von 1995 von Josef Haber und Alfred Dorfer bekannt. Das Volkstheater hat sie jetzt neu aufgelegt und aktualisiert.

Das Leben ist eine U-Bahn und der Tod das Sendlinger Tor. Sein Leben lang hetzt man dann von einer U-Bahn zur nächsten, nur um sie knapp zu verpassen. So lautet Heinz Bösls Devise nach der rasenden Nummernrevue, die das Publikum in 90 Minuten im Volkstheater erlebt hat. Das mag etwas verwirrend klingen, ist es tatsächlich auch. Wie leider ein Großteil der Inszenierung von  „Indien“  von  Simon Solberg.

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Trailer zu Aufführung

Solberg orientiert sich zwar an der Filmvorlage, nimmt jedoch grundlegende Änderungen vor. Aus Kurt wird Sabine Fellner. Bösl und Fellner sind keine Inspekteure des niederösterreichischen Fremdenverkehrsamt mehr. Die beiden sind jetzt Mitarbeiter des Gesundheits- und Ordnungsamtes der Landeshauptstadt München, die für die Überwachung der Corona-Maßnahmen zuständig sind. Aktuell ist das Thema der Inszenierung auf jeden Fall. Auch sonst bemüht sich Solberg den Zeitgeist einzufangen: außer Corona greift er auch Themen wie Schlachthöfe,  Lufthansa, Rechtsruck der Justiz, Polizeigewalt und Umweltzerstörung auf. Außerdem wimmelt es von popkulturellen Referenzen.

Umgesetzt werden diese Themen in einer Art Sci-Fi-Zukunftsmuseum. Schaukästen in denen Gegenstände oder Schauspieler in Kostümen ausgestellt sind, tauchen am Anfang und zwischen den Szenen immer wieder im Hintergrund auf. Hier wird die verkommene Version des Homo sapiens ausgestellt, dessen Hauptlebensraum das Internet ist und die Frau alias Mensch mit Menstruationshintergrund. Sie ist ein Nutztier, dass neben Haushalt und Kindern in der Freizeit auch mal arbeiten geht. Eigentlich ein vielversprechender Einstieg, der aber nicht anhält.

Zu viel, zu schnell

Das große Problem der Inszenierung ist ihr Tempo und ihr Anspruch, einfach alles an Themen  mitzunehmen. „Indien“  streift alle Probleme schnell und oberflächlich, ohne tief zu graben und ohne, dass es auch mal unangenehm  wird. Die Zuschauer*innen können mitlachen, werden aber nicht herausgefordert. Die Inszenierung wird zu einer Aneinanderreihung von Sketches, mit  schnell eingeworfenen Gags. Manche treffen, manche davon nicht. Viel Zeit sich Gedanken zu machen bleibt auch nicht, denn es geht weiter mit dem nächsten Problem. Die Fragen über ein Leben mit und nach Corona, die Solberg mit diesem Stück aufwerfen wollte, bleiben verschwommen im Hintergrund zurück.

Spaß kann man am Bühnengeschehen trotzdem haben und wird als Zuschauer*in auch mit einbezogen. Besonders die Einhaltung der Corona Abstandsregeln löst das Stück sehr gut. Als es zu einer Kussszene kommt, wird die einfach an das Publikum abgegeben- natürlich nur an Paare aus dem selben Haushalt. Bei einem Mini-Rave dürfen alle im Publikum mittanzen. Getanzt und besonders Gesungen wird auch auf der Bühne viel. Die Musikeinlagen sind mal sehr lustig und beeindrucken, mal wirken sie aber fehl am Platz. 

Fellner und Bösl tanzen. Bild: Arno Leclair

Beeindruckender Einsatz

Das liegt aber nie am fehlenden Einsatz der beiden Schauspieler. Im Gegenteil: Caroline Hartmann und Jonathan Müller versuchen hartnäckig das Tempo zu halten. In ihren Rollen als Sabine Fellner, die Hobbyphilosophin mit allerlei Halbwissen, und Heinz Bösl, der ziemlich plumpe, prollige Macho, sind sie formidabel. Sie rennen vom Schlachtbetrieb in den Alpen, auf das Kreuzfahrtschiff bis ins Atomkraftwerk – das nimmt man zumindest an, denn so ganz versteht man auch nicht immer, wo sie eigentlich sind. Die beiden können aber nicht aus ihren klischeebeladenen Rollen ausbrechen und bleiben eher eindimensionale Charaktere.

In Indien…

Wieso das Stück eigentlich „Indien“ heißt, abgesehen von der Vorlage, ist auch nicht klar. Hier und da wird zwar indische, bzw. ja eigentlich hinduistische, Spiritualität thematisiert, aber nicht weiter ausgeführt. Das Land wird fetischisiert, aber auf eine Weise, bei der man sich leider nicht ganz sicher sein kann, ob das ernst gemeint ist oder nicht. Vor allem das Konzept der Reinkarnation wird von Böll immer wieder aufgegriffen, als Versuch die kranke Sabine zu trösten. Sie könnte ja schließlich wiedergeboren werden, als Erdbeere oder so.

Insgesamt ist „Indien“ ein seicht lustiges Stück, aber wenig stringent und viel zu gehetzt.  Das rasante Tempo wird erst gegen Ende jäh rausgenommen. Dann wird halb scherzhaft versucht, tiefgründig zu werden. Das alles verpackt in einem etwas wirren Monolog über den Tod, Reinkarnation und die U-Bahn, bei dem der Zuschauer danach zumindest ein bisschen nachzudenken hat: Ist der Tod einfach Umsteigen in eine andere U-Bahn? Oder wird man dann doch als Erdbeere wiedergeboren?

Indien hat am 14. August 2020 Premiere gefeiert und ist noch mindestens bis Oktober zu sehen.