Theaterkritik
BLUES IN SCHWARZ WEISS – POETISCH UND ATMOSPHÄRISCH
Blues in Schwarz Weiss – das ist der Titel einer Sammlung von Gedichten der afrodeutschen Dichterin May Ayim. Aufbauend auf ihrer wegweisenden Poesie entwickeln Regisseurin Miriam Ibrahim und Autorin Julienne De Muirier ein überwältigendes Stück, dass die psychischen Manifestationen von systemischer Unterdrückung beleuchtet und zur eigenen Reflektion anregt.
Die Bühne ist minimalistisch gehalten: ein dutzend kahler und dünner Birkenstämme, eine Leinwand, ein Beamer. Mehr braucht Blues in Schwarz Weiss nicht, denn das Stück thematisiert nichts Materielles: Es geht um unterdrückte Emotionen von unterdrückten Menschen. Für 70 Minuten lassen die zwei Protagonist:innen, gespielt von Patrick Bimazubute und Isabell Antonia Höckel, ihrer rohen, ungefilterten Frustration freien Lauf.
POETISCH UND ATMOSPHÄRISCH
Text ist in dem Stück lediglich ein Element unter vielen. Er wird betont rhythmisch und mit vielen Wiederholungen vorgetragen und thematisiert vor allem systemische Diskriminierung in Deutschland und das daraus resultierende psychische Trauma der Opfer. Ein weiteres zentrales Element sind mehrere non-verbale Parts, bestehend aus großen Projektionen, lauter Bluesmusik und wilden Tanz- und Kampfsporteinlagen der Darsteller:innen. So kreiert das Stück eine intensive Gefühlsatmosphäre, die sich direkt auf das Publikum überträgt.
AFRODEUTSCHE IDENTITÄT
Afrodeutsch – ein Begriff, der verdeutlicht, dass sich eine afrikanische und eine deutsche Identität nicht gegenseitig ausschließen. Mitbegründet und popularisiert wurde der Begriff von May Ayim. Die Dichterin war eine einflussreiche Figur der afrodeutschen Bewegung in den 80ern und 90er und thematisierte als eine der ersten Stimmen in Deutschland den hier existierenden Rassismus. Der Text des Theaterstücks basiert zum Großteil auf ihren Gedichten, in denen sie mit klaren und eindringlichen Worten auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam macht.
Blues in Schwarz Weiss ist ein sehr gelungenes Theaterstück, dass das Publikum auf viele verschiedene Weisen adressiert: Es erinnert, es mahnt und es fordert zu erhöhter Sensibilisierung und Widerstand gegen die herrschenden Machtstrukturen auf. Bei mir hat das einen großen Eindruck hinterlassen – auf inhaltlicher, aber auch auf dramaturgischer und ästhetischer Ebene.
Blues in Schwarz Weiss könnt ihr das nächste Mal am 02.07.2023 im Marstall Theater sehen. Tickets gibt es ab 8€ und sind zum Großteil bereits ausverkauft – ihr solltet also schnell sein.