Buchkritik
Bevor ich jetzt gehe
Was tun, wenn das eigene Leben plötzlich zu Ende geht? Was bedeutet die Zukunft, wenn man sie selbst nicht mehr erleben wird? Über diese Fragen hat der US-amerikanische Neurochirurg Paul Kalanithi ein Buch geschrieben, als er selbst an Krebs erkrankt. Das Ergebnis ist eine bewegte Auseinandersetzung mit dem Tod, die trotz aller Tragik Mut macht.
Paul Kalanithi ist 36 Jahre alt, als er eine niederschmetternde Botschaft erhält: Lungenkrebs. Seine Karriere als Arzt, sein Privatleben, die Planung eines Kindes mit seiner Frau, all das bricht plötzlich in sich zusammen. Er beginnt zu schreiben um der Welt und besonders seiner kleinen Tochter etwas zu hinterlassen. Eindrucksvoll schildert Kalanithi auf 200 Seiten seine Erfahrungen mit dem Leben und mit dem Tod, mit dem er als Arzt täglich konfrontiert war.
Zwei Seiten des Systems
Kalanithi kennt beide Seiten der Medizin: Als Arzt und als Patient. Und so ist auch sein Buch zweigeteilt: Der erste Teil beschäftigt sich mit seinem Werdegang als Arzt und wie der Tod dort Teil des täglichen Geschäfts ist. Und wie das Gesundheitssystem seine Mitarbeitenden langsam aber sicher zermalmt. Er berichtet von durchgemachten Nächten und OP-Schichten von bis zu 36 Stunden Dauer. Innerhalb dieser gnadenlosen Maschinerie muss sich das Verhältnis zum Tod zwangsweise verändern. Und so ist es auch bei Kalanithi. Der Tod ist unausweichlich mit dem Leben verbunden.
Als er vom Arzt zum Patienten wird, verschieben sich bei Kalanithi die Prioritäten gewaltig. Statt der erstrebten Karriere als Chefarzt werden andere Fragen wichtig. “Wie viel Zeit bleibt mir noch? Was wird aus meiner Familie? Sollten wir wirklich ein Kind bekommen?”. Er kennt die Behandlungsmethoden selbst gut, macht selbst Vorschläge für seine Therapie. Er kämpft mit allen Mitteln um sein Leben und trotzdem weiß er, dass sein Tod immer unausweichlicher wird.
Was bleibt vom Leben?
Paul Kalanithi schafft es, trotz eines manchmal sehr kalten, medizinischen Sprachstils beim Lesenden sich selbst, sowie seine beschriebenen Personen als wirkliche Menschen erscheinen zu lassen. Sowohl die Tragik einer fehlgeschlagenen Operation, als auch das Glück, wenn ein Patient als vollständig genesen entlassen werden kann, machen die Lektüre zu einer Berg- und Talfahrt der Emotionen. Leben und Tod wirken nicht wie Gegensätze, sondern zwei Ereignisse, die oft näher beieinander liegen, als man es wahrhaben will.
“Bevor ich jetzt gehe” ist erdrückend. Erdrückend in der Gewissheit, dass der Autor die Veröffentlichung seines eigenen Buches nie erlebt hat. Erdrückend in der Tatsache, dass es wie ein Fenster in die Vergangenheit wirkt, zu einer Person, die nicht mehr existiert. Erdrückend in der Klarheit, dass wir alle den Tod irgendwann akzeptieren müssen. Doch genauso gibt das Buch Kraft. Denn es zeigt: Egal wie die äußeren Umstände sind, das Leben ist immer lebenswert und selbst wenn der eigenen Tod bereits erkennbar ist, kann er einem nicht die Lust am Leben nehmen.
Das Buch: Bevor ich jetzt gehe von Paul Kalanithi ist bei Penguin Randomhouse erschienen und kostet in der Taschenbuchausgabe 13 Euro.