Filmkritik
Belfast
In Belfast (2022) verarbeitet Regisseur und Schauspieler Kenneth Branagh seine eigene Jugend während der Anfänge des blutigen Nordirlandkonflikts. Wird hier mit der Nostalgiekeule geschwungen oder rückt doch die Unbarmherzigkeit des Konflikts ins Zentrum?
Die Kamera schwebt über dem Stadtbild von Belfast. Fast wie in einem dieser vielen Reiseberichte, die aktuell zuhauf im linearen Fernsehen zu sehen sind. Doch schon bald soll klar werden, dass es hier nicht immer so friedlich war. Und schon fährt die Kamera entlang einer Mauer nach oben und sämtliche Farbe – abgesehen von Schwarz und Weiß – verschwindet. Die darauf folgende Einblendung macht es deutlich: Die Zuschauer:innen befinden sich nun im Belfast des Jahres 1969 – dem Jahr, in dem der Nordirlandkonflikt begonnen hat.
Kindheit und Kampf
Dass dieser prägend für die Kindheit von Regisseur Kenneth Branagh (Tod auf dem Nil, Tenet) war, zeigt sich bereits zu Beginn des Films. Der Protagonist ist der neunjährige Buddy, der wunderbar von Newcomer Jude Hill gespielt wird. Gerade noch hat er unbekümmert mit seinen Freund:innen Fußball gespielt, nun stapfen gewaltbereite Männer durch die Straßen von Belfast. Diesen kurzen Moment des Stillstands vor dem thematischen Umschwung – von der kindlichen Leichtigkeit und Naivität hin zur brutalen Realität – fängt die Kamera dabei in einer gefühlt endlos andauernden 360 Grad-Bewegung geradezu meisterhaft ein. Binnen weniger Minuten sind Scheiben in tausend Teile zertrümmert und Autos mittels überdramatischer Zeitlupen in die Luft gejagt. Wenn die ersten Momente des Films bereits so intensiv und interessant beginnen, wie wird dann erst der Rest?
Mehr Schein als Sein?
Es ist diese Anfangssequenz die Belfast am Ende teuer zu stehen kommt. Denn das, was hier angedeutet wird, nimmt im Film nur eine sekundäre Rolle ein. Viel eher geht es um Buddys Kindheit, die von Momenten nur so wimmelt, die bereits aus zahlreichen anderen Coming-of-age-Filmen bekannt sind: Die erste Liebe, Stress mit den Eltern, der Verlust der kindlichen Unschuld – so weit so bekannt. Doch was hat das alles mit Belfast und dem Nordirlandkonflikt zu tun? Das weiß Branagh auch nicht so richtig, weshalb er sich viel lieber auf sein semi-fiktionales Alter Ego Buddy und dessen Familie und Freund:innen konzentriert.
Zwar ist das Ganze schön anzusehen, da die Kameraarbeit sowie die Bildgestaltung brillant sind. Von anderen Genre-Vertretern hebt sich der Film aber dann meistes doch nicht ab. Auch dass die Geschichte in Belfast spielt,macht sich eigentlich nur am schwer verständlichen irischen Akzent bemerkbar. Ob Buddys Großeltern, oscarreif gespielt von Ciarán Hinds und Judi Dench, ihm ihre Lebensweisheiten in Belfast oder einer anderen Stadt erzählen, ist vollkommen egal. Gerade weil Kameramann Haris Zambarloukos so oft mit Nahaufnahmen arbeitet, dass die Zuschauer:innen sowieso nicht viel von der Stadt selbst sehen.
Nordirlandkonflikt für Anfänger:innen
Ab und an möchte sich der Film dann aber scheinbar doch auf seine ernsteren Themen konzentrieren. Dabei geht er diese reichlich unsubtil und vereinfachend mit der wortwörtlichen Brechstange an. Beispielsweise wenn der beleibtere Pfarrer schwitzend und geifernd in der Nahaufnahme gezeigt wird oder Buddys Vater (Jamie Dornan) diesem mit auf den Weg gibt, dass Liebe keine Konfession kennt. Dass die Zuschauer:innen dies bereits nach den ersten Szenen des Films verstanden haben, realisiert Branagh dabei scheinbar nicht. Doch das ist eines der Hauptprobleme des Films: Er zeigt den Nordirlandkonflikt fast gar nicht, denn das würde ja die vorherrschende kindliche Unbeschwertheit stören. Zeigt er ihn doch, dann wirkt das Ganze reichlich forciert. Gerade deshalb entsteht der Eindruck, als ob der Regisseur nicht wüsste, wann genau er denn jetzt mal wieder die Hooligans auf den Plan treten lassen sollte.
Auch macht es sich Branagh in vielen Momenten zu leicht. Der Nordirlandkonflikt dauerte nicht fast 30 Jahre, nur weil sich die Protestant:innen und Katholik:innen im Land gegenseitig nicht ausstehen konnten. Nicht jede historisch komplexe Situation lässt sich ohne Weiteres mit dem kindlichen Blick Buddys erklären. Denn in knapp 90 Minuten die Anfänge eines langjährigen Konflikts in Verbindung mit einer Coming-of-age-Geschichte darzustellen, ist eigentlich nur mittels drastischer Kürzungen möglich. Wenn der Abspann läuft, besteht gerade deshalb der Wunsch, noch mehr zu erfahren. Mehr von der Welt, den Figuren und der Geschichte, die zwar alle vorhanden sind, aber oftmals lediglich angerissen werden.
Oscarpotenzial oder Gewohntes?
So bleibt am Ende ein gemischter Gesamteindruck zurück: Das Schauspiel ist fantastisch und die Kameraarbeit oftmals beeindruckend. Auch der zeitweilige Verzicht auf Musik, damit die Dialoge noch mehr Gewicht bekommen, ist durchaus gelungen. Obwohl sich Buddys Geschichte in vielen Momenten wie Genre-Malen-nach-Zahlen anfühlt, kann sie teilweise doch mitreißen und für den ein oder anderen Lacher sorgen. Doch durch die tonalen Schwierigkeiten, einige forcierte Momente innerhalb des Drehbuchs und die fehlende Subtilität, bleibt ein fader Beigeschmack zurück.
Belfast ist ab dem 24. Februar 2022 in den Kinos zu sehen.