Freie Journalisten
Nur bedingt frei!?
Wenn aus Datensätzen Geschichten werden: Studierende im Master Journalismus haben kommunikationswissenschaftliche Forschung der LMU München datenjournalistisch aufbereitet.
Freier Journalismus — das klingt nach Unabhängigkeit. Während sich ihre festangestellten Kollegen an Vorgaben von Chefredakteuren, Blattlinien oder gar an die Wünsche von Werbekunden halten müssen, können Freie schreiben, worüber sie wollen. Wann sie wollen. Wie sie wollen. „Ich fühle mich jetzt viel freier als zu der Zeit, in der ich noch fest in Redaktionen saß“, sagt Dirk Liesemer. Er ist hauptberuflich als freier Journalist für verschiedene überregionale Zeitungen und Magazine tätig und Mitglied des Berufsverbands freier Journalistinnen und Journalisten „Freischreiber e.V.“ Doch spricht er damit stellvertretend für seine freien Kollegen oder ist er eine glückliche Ausnahme?
Sind Freie wirklich freier?
Knapp 18 Prozent der hauptberuflichen Journalisten in Deutschland haben keine Festanstellung, das ergab die Studie Worlds of Journalism. Seit dem Jahr 2007 werden Journalisten aus verschiedenen Ländern befragt — und zwar nicht nur zu ihrem Anstellungsverhältnis, sondern unter anderem auch zu ihrer redaktionellen Autonomie und der Bedeutung verschiedener Einflussfaktoren im Berufsalltag: Auf einer Viererskala gaben sie an, wie frei sie bei der Wahl von Geschichten und Argumenten sind und wovon sie sich beeinflusst fühlen — ob von der Politik und dem Medienrecht, wirtschaftlichen Beschränkungen und Auftraggebern, von Kollegen oder dem Chefredakteur. In Deutschland haben Kommunikationswissenschaftler der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) zwischen 2012 und 2016 insgesamt 775 Journalisten befragt, teils online, teils telefonisch. Insgesamt zeigen die Daten, dass die Unterschiede zwischen festangestellten und freien Journalisten in vielen Kategorien eher gering ausfallen, wobei Festangestellte sich in einigen wichtigen Bereichen sich sogar unabhängiger fühlen als ihre freien Kollegen.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Weitere InformationenDie Blattlinie, die festangestellten Journalisten die politische Richtung ihres Artikels vorgibt? Ihr Chefredakteur, der den Artikel zerpflückt? Die Kollegen in der Redaktion, die einem prüfend über die Schulter schauen? Diese Klischees finden nur zum Teil Rückhalt in den Daten: Zwar geben je etwa ein Drittel der Freien und Festen an, dass Chefredakteure „sehr einflussreich“ seien – aber Feste halten sie häufiger für „extrem einflussreich“ (zehn Prozent) als Freie dies tun (vier Prozent). Dagegen empfinden Freie weniger Autonomie bei der Wahl ihrer Themen und der Schwerpunkte im Text: Lediglich 13 Prozent würden bei der Wahl von einer „kompletten Freiheit“ sprechen. Bei ihren festen Kollegen sind es da schon 30 Prozent.
Thomas Hanitzsch, Kommunikationswissenschaftler an der LMU und Initiator von Worlds of Journalism, sieht den Grund dafür im Arbeitsalltag vieler Freier, vor allem in Lokalredaktionen: Sogenannte Pauschalsten oder „feste Freie“ kämen morgens in die Redaktion, bekämen eine Pressemitteilung in die Hand und würden sich sodann auf den Weg zum veranschlagten Termin machen. Lehnten sie diese Aufträge ab, gäbe es kein Geld und sie liefen Gefahr, künftig nicht mehr gefragt zu werden. Feste Journalisten hingegen hätten innerhalb der Redaktion „eine gesicherte Position“, so Hanitzsch, „um stärker ihren eigenen Blickwinkel durchsetzen zu können.“
Einer dieser festen Journalisten ist Thomas Drendel, Redakteur bei der Lokalredaktion der „Sächsischen Zeitung“ in Radeberg. Die einzige Beschränkung, sagt er, sei der Ort. Manchmal sei es schon nervig, über alles schreiben zu müssen, was in der Kleinstadt passiert, ob es ihn nun interessiert oder nicht. „Aber bei mir ist noch nie ein Artikel in der Schublade gelandet“. Er wisse allerdings auch, fügt er nach kurzem Zögern an, „was zur Zeitung passt“.
„Bei mir ist noch nie ein Artikel in der Schublade gelandet.“
Thomas Drendel, festangestellter Journalist
Was Drendel auch weiß: Bei all seinen Online-Artikeln analysiert die „Sächsische Zeitung“ die Zugriffszahlen, bei Print-Stücken werden regelmäßig Leser mit einem Sensor ausgestattet, um den Lesewert eines Artikels zu messen. „Wenn ich jahrelang Sachen schreibe, die niemand liest, würde schon mal jemand mit mir reden.“ Dass der Artikel sich verkaufen muss, ja, auch das sei beim Schreiben relevant. Damit ist Drendel nicht allein: Nur 31 Prozent der Festangestellten geben an, nicht von Profiterwartungen beeinflusst zu sein, bei den Freien spielen sie immerhin für 40 Prozent keine Rolle. Freie denken auch seltener an potentielle Werbekunden — obwohl sie, auch das zeigtWorlds of Journalism, häufig weniger verdienen: Während gerade einmal 15 Prozent der Festangestellten weniger als 1.800 Euro pro Monat bekommen, trifft das mit 28 Prozent auf fast doppelt so viele Freie zu. Auch Dirk Liesemer sagt, dass er es sich schlicht nicht leisten könne, für bestimmte Zeitungen zu schreiben. Sie würden einfach zu wenig zahlen. Der wirtschaftliche Erfolg eines bestimmten Zeitungsunternehmens sei ihm dagegen relativ egal. Anders bei Thomas Drendel: Schließich hängt sein Arbeitsplatz am Wohl und Wehe der „Sächsischen Zeitung“. „Deswegen sind festangestellte Journalisten mehr von ökonomischen Erwägungen beeinflusst“, erklärt Kommunikationswissenschaftler Hanitzsch.
Anders sieht es beim Einfluss von Interessengruppen aus. 46 Prozent der Festangestellten empfinden diese als nicht oder kaum einflussreich, während nur 36 Prozent der freien Journalisten keinen Einfluss ausmachen können. Auch hier sieht Hanitzsch die Ursache in der Eingebundenheit fester Journalisten in die Redaktion: Sie seien seltener draußen unterwegs, hätten oft allein schon wegen der örtlichen Gebundenheit mit denselben Quellen zu tun. Wenn NGOs, Lobbygruppen oder Interessenverbände Einfluss nehmen wollten, werde das zudem durch die Redaktion abgefedert — während Freie direkt mit ihnen in Kontakt kommen. Das könne die externe Einflussnahme erleichtern. Hanitzsch betont aber auch: Der Einfluss von Interessengruppen sei bei deutschen Journalisten insgesamt „marginal“.
„Insgesamt ist der Einfluss von Interessensgruppen marginal.“
Prof. Thomas Hanitzsch
Das gilt wohl nicht nur für diesen Faktor — zumindest für Drendel und Liesemer. Beide betonen im Gespräch mehrfach, dass sie sich alles in allem nicht eingeengt fühlen würden. Der Freie, Liesemer, fühlt sich nicht nur beim Schreiben selbst, sondern auch bei der Organisation freier: keine Redaktionskonferenzen, keine festen Arbeitszeiten, kein Großraumbüro. Der Feste, Drendel, sieht diese Zwänge zwar — sie engten ihn aber nicht ein. Mit einem Freien zu tauschen, kann er sich überhaupt nicht vorstellen: viel mehr Ungewissheit, viel mehr Unsicherheit, viel mehr Arbeit. „Für mich ist das gut so, wie es ist.“ Damit scheint Drendel für viele seiner Kollegen zu sprechen. Für Feste und Freie.