M94.5 Filmkritik

Beautiful Boy

/ / Bild: © 2018 AMAZON CONTENT SERVICES LLC. François Duhamel

Kaum eine Industrienation hat derart mit ihrem Gesundheitssystem zu kämpfen wie die USA. Nur ein Problem von vielen: die Opiatkrise, die sich seit Jahren nur zunehmend zu verschärfen scheint. Die Statistiken sind schockierend: Täglich sterben im Schnitt 170 Amerikaner an den Folgen einer Drogensucht, es trifft die breite Bevölkerung, vom Arzt über den College-Studenten bis hin zur Familienmutter. Die Situation scheint völlig aus dem Ruder gelaufen. Und wenn die Politik schon resigniert, was bleibt dann Hollywood anderes übrig, als einen Film zu drehen, um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. So argumentiert zumindest Regisseur Felix Van Groeningen und präsentiert damit seinen ersten englischsprachigen Spielfilm: Beautiful Boy.

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Ganz viel Familiendrama im Trailer zu Beautiful Boy.

Gut gemeint ist halb verloren

Die zugrundeliegende Message, auf der der Film aufbaut, ist also durchaus lobenswert: Beautiful Boy soll mithilfe einer persönlichen Geschichte aufzeigen, dass es wirklich jeden erwischen kann – und dass das Thema deshalb auch jeden etwas angeht. So weit, so gut. Auch dass das Drehbuch auf den Memoiren von zwei Betroffenen basiert, verspricht Realismus: Im Zentrum steht die Vater-Sohn-Beziehung zwischen Nic und David Scheff, der eine ist Methamphetamin-süchtig, der andere Journalist und Bestseller-Autor. Beide haben die Story literarisch verarbeitet. Der Film – und das ist leider seine größte Schwäche – scheint allerdings fast ausschließlich auf den Erfahrungen des Vaters zu basieren.

Zu viel der Moral

Aus der väterlichen Perspektive ergibt sich ein verzerrter, seltsam distanzierter Blick auf das, was der Sohn durchmacht. Auch nach zwei Stunden Laufzeit bleibt Nic Scheff (Timothée Chalamet) nur der „Beautiful Boy“, der vielversprechende Sohn, der so völlig plötzlich in eine Sucht abstürzt, die der Vater (Steve Carell) – und damit auch der Zuschauer – nicht nachvollziehen kann. Das reduziert den Sohn nicht nur auf eine eindimensionale Figur, sondern lässt beim Zuschauer auch einen unheimlich schalen Beigeschmack zurück. Soll das der knallhart ehrliche Blick auf Drogensucht sein? Ein Film, der ständig dem Potential des guten Sohnes nachtrauert, ohne diesen jemals in ähnlich ehrlicher Weise zu Wort kommen zu lassen? Sein Verhalten wirkt dadurch umso irrationaler und rücksichtsloser und die Empathie hält sich in Grenzen.

Noch dazu spielt der Film in einem Milieu, das geradezu schreit: „Wir sind zu gut für solche Probleme“. Es geht um wohlhabende, privilegierte Menschen, in deren Leben kein Platz ist für Drama, weil es per Definition einfach nicht existiert; als wäre eine solche Geschichte nicht berührend, wenn sie nicht inmitten restlos sorgloser Umstände geschieht.

In den Armen der fürsorglichen Familie: Timothée Chalamet als Nic Scheff.

Zu viel des Guten

Nun ist es nicht so, dass Beautiful Boy ein schlechter Film ist – rein technisch gesehen sind hier durchaus kompetente Menschen am Werk. Bildausschnitte wurden bewusst gewählt, viele der Perspektiven legen einen geschickten Fokus, und auch der Soundtrack wird als zusätzliches Storytelling-Element genutzt. Die Kombination aus alledem wirkt allerdings zeitweise nicht nur wie bewusstes Oscar-Bait, sondern auch wenig subtil: Spätestens als der Vater das Notizbuch des Sohnes findet, das mit düsteren Figuren und kaum lesbaren Junkie-Slogans bekritzelt ist, bleibt dem Zuschauer fast nichts anderes übrig, als mit den Augen zu rollen. Auch die nostalgischen Rückblenden in Nics unbeschwerte Kindheit, in passend warmen Tönen gehalten, tragen zu dem unangenehm moralisierenden Eindruck bei.

Die wenigen starken Dialogszenen, die als Versinnbildlichung der veränderten Vater-Sohn-Beziehung hervorstechen, werden ausschließlich von den zentralen Performances getragen. Steve Carell nimmt man den leidenden Vater ab, der daran scheitert, an seinen Sohn heran zu kommen, und dabei mit enttäuschten Erwartungen kämpft – und Timothée Chalamet spielt gewohnt souverän den Konflikt zwischen jugendlicher Selbstüberschätzung und apathischer Verzweiflung. Dennoch: Beide Figuren entziehen sich dem emotionalen Verständnis des Publikums und bleiben flache Symbolbilder.

Zu schnell verflogen

Ja, die Opiatkrise der USA ist schlimm und ein hochwertig produziertes Drama ist sie allemal wert. Beautiful Boy allerdings scheint sich an die eigentliche Substanz nicht so recht heran zu trauen. Statt einer unverblümten Konfrontation mit den Gründen, weshalb jemand augenscheinlich Angepasstes in die Drogensucht abrutschen kann, driftet der Film häufig ab in Klischees. Das ist zwar hübsch gemacht, aber verflüchtigt sich ähnlich schnell wie die Wirkung der Joints, die Nic raucht.

„Beautiful Boy“ ist ab dem 24. Januar 2019 in deutschen Kinos zu sehen.