Filmkritik
Beau Is Afraid
Ari Aster, einer der absoluten Shootingstars der Arthouse-Schmiede A24, meldet sich mit Beau Is Afraid nach fast vier Jahren Pause zurück. An seiner Seite: Niemand anderes als der Joker himself, Joaquin Phoenix als Protagonist, der nur seine Mutter besuchen möchte, was einfach nicht gelingen will. Ob der Genre-Wechsel von Horror zur surrealen Komödie gelingt?
Beau (Joaquin Phoenix) hat Angst – soviel ist klar… vor so ziemlich allem und insbesondere davor, seine Mutter zu besuchen. Nachdem er sich endlich dazu durchgerungen hat, ein Flugticket zu kaufen, werden ihm seine Schlüssel und sein Koffer geklaut – oder doch nicht? Denn Beau Is Afraid spielt immer wieder damit, was Realität und was Einbildung ist und mutet daher häufig surrealistisch an. Doch nach endlosen Strapazen macht sich Beau gezwungenermaßen doch noch auf den beschwerlichen Weg zu seiner Mutter. Was sollte da – ganz ohne Medikamente, die Beaus Psychosen lindern – schon groß Schlimmes passieren?
Eine Odyssee – aber von homerischem Ausmaß?
Egal, wie die Zuschauer:innen zu Beau Is Afraid stehen werden – denn die Meinungen in den Medien gehen bislang deutlich auseinander – eins werden wahrscheinlich alle sagen: Was für ein irrer Trip! Ganz so überraschend ist das aber nicht, sofern dem Publikum bekannt ist, wer das Produktionsstudio hinter dem Film ist: Der US-Independent A24 (Moonlight, Everything Everywhere All At Once). Denn eins ist bei dem Studio klar: Standardkost gibt es nicht – und das ist auch bei Beau Is Afraid von Anfang an klar. Als jüdische Version von Der Herr der Ringe beschreibt Regisseur Ari Aster (Hereditary) sein neues Epos, womit er natürlich hohe Versprechungen weckt – die er nicht wirklich halten kann. Denn im Grund hat der Film zu keinem Zeitpunkt so viel zu erzählen, als dass er einer Laufzeit von drei Stunden rechtfertigen könnte – was vielleicht auch einfach daran liegt, dass das Ziel von Beaus Reise nur das Haus seiner Mutter ist.
Beau is visually not afraid
Rein visuell macht Beau Is Afraid aber von Anfang an keine Gefangenen und ist mit das Kreativste, was die Filmindustrie in den letzten Jahren hervorgebracht hat: Von long takes, zu Kameraschwenks, zu Animationen, die auch von Disney stammen könnten und die beachtlichste Sequenz des gesamten Films bilden. Von Anfang bis Ende ist der Film ein visuelles Feuerwerk für die Sinne, das einen so schnell nicht loslässt.
Doch auch wenn er auf dieser Ebene überaus gelungen ist, so kann Asters Werk hinsichtlich der Story nicht mithalten, was an einem gleichzeitigen zu viel und zu wenig liegt. Einerseits ist Beau Is Afraid vollgestopft mit Themen. Von Angststörungen in Verbindung mit toxischen Beziehungen bis hin zu der Frage nach Macht ist so ungefähr alles dabei, was sich die Zuschauer:innen vorstellen können. Das bei so vielen Thematiken kaum Zeit bleibt, wirklich in die Tiefe zu gehen, erscheint dabei offensichtlich. Gerade hier wäre die Devise “Weniger ist mehr” angebracht gewesen, denn allein Beaus Beziehung zu seiner Mutter hätte die Laufzeit füllen können.
Wenn der Film dann mal auf diese zu sprechen kommt, macht er das mittels so offensichtlich geschriebener Dialoge, dass auch wirklich alle im Publikum verstehen, was gemeint ist. Dass Aster die Subtilität im Verlauf immer wieder über Bord werfen muss, liegt mit Sicherheit auch daran, dass Joaquin Phoenix als Beau charakterlich als auch mimisch nicht viel zu tun bekommt. Als was arbeitet Beau? Hat er überhaupt sozialen Kontakt? All diese Fragen werden nicht beantwortet, sodass die Figur viel eher als Stand-In für all die Einfälle fungiert, die dem Regisseur während dem Schreibprozess gekommen sind. Wirkliche charakterliche Tiefe, sodass Beau als ernstzunehmender Protagonist auftreten kann, bleibt da aber auf der Strecke.
The Lord of the Angst
Beau Is Afraid wird mit Sicherheit in einigen der Top 10-Listen der besten Filme des Jahres auftauchen – und allein schon der Mut, den Ari Aster hatte, mit seinem neuesten Werk eine dreistündige Therapiestunde abzuliefern, ist beachtlich und erschafft so einen absolut einzigartigen Film. Und auf visueller Ebene ist Beau Is Afraid eine absolute Augenweide, die förmlich danach bettelt, von Fans überall auf der Welt entschlüsselt und interpretiert zu werden, gerade weil er letztendlich so ambivalent ist. Doch die Beziehung zwischen Mutter und Sohn bekommt dafür zu wenig Spielraum und ist in ihrer Aussage so generisch, dass es nur schwer möglich ist, Asters neuestes Werk als Meistwerk zu feiern.
Beau Is Afraid ist mit Sicherheit nicht perfekt, einzigartig schräg aber in jedem Fall und allein dafür lohnt sich schon der Kinobesuch, der auch lange nach Vorstellungsende nachhallen wird.
Beau Is Afraid läuft ab dem 11.5 im Verleih von Leonine in den Kinos.