Nachruf auf den Tante-Emma-Laden
Aus Tante Emma wird Tante Moët
Nach Weihnachten warst du auf einmal weg. Du, mein kleiner Laden um die Ecke. Eingerahmt von Austernrestaurant und Luxusboutique warst du ein letztes Stück Normalität in einer Gegend, wo Luxusschlitten am Straßenrand parken und die Uhren im Schaufenster mehr als ein Kleinwagen kosten. Nun bist du weg, ohne großes „Servus“, ohne Ankündigung, mein unscheinbarer kleiner Tante-Emma-Laden in der Stollbergstraße direkt an der Münchner Maximilianstraße.
Bei dir gab es alles was man gerade hätte brauchen können: Käsesemmeln, Leberkässemmeln und hausgemachte Salate. Bei dir gab es aber auch noch Brandt-Zwieback und die Mini-Rittersport-Tafeln. Bei dir gab es frisches Obst, Joghurt und italienische Kekse. Und es gab Spezi für EINEN Euro.
Klar, unser Start war nicht einfach. Ein Fähnchen mit „Feinkost“ hing vor deiner Türe. Das hatte mich abgeschreckt. Feinkost direkt an der Maximilianstraße? Das muss teuer sein! Aber nein. Einmal war ich bei dir und schon war ich verliebt. In dich und deinen Besitzer, den guten älteren Mann, mit dem Lächeln auf dem Mund, seinem bayrischen Dialekt und dem etwas zu hoch klingendem „Servus, Griasdi“. Es war immer wie eine kleine Zeitreise dahin, wo das Zehnerl-Eis wirklich noch 10 Pfenning gekostet hat.
Ich habe mir immer vorgestellt wie der gutherzige Mann morgens die Salate macht und den Kaffee kocht. Dann sperrt er den Laden auf und freut sich auf jeden Bauarbeiter, auf jeden Tourist, auf jeden der zufällig an seinem Laden vorbeikommt. Und auf seine Stammkundschaft, die seine warmherzige Art und seine Auswahl in der Vitrine schätzten. Er hat sich alle Zeit der Welt gelassen. Immer. Lieber noch ein Plausch mehr, als die Kunden abarbeiten wie an den Supermarktkassen. Leider habe ich nie nach seinem Namen gefragt. Aber er kannte mich, er wusste nach dem zweiten Mal einkaufen: „Der Junge will ne Fleischpflanzerlsemmel und ein Spezi.“ Für DREI EURO FÜNFZIG!
Bei ihm kostete auch das Ketchup keine 10 Cent Extra. Er hat die Wurstsemmel immer in Alufolie gepackt, aber das war mir hier egal. Es gehörte dazu. Einmal hat er mir mal einen Krapfen geschenkt, weil er ihn an dem Tag nicht mehr verkauft hätte. Du warst mein Lieblingsimbiss.
Und jetzt? Jetzt bist du weg. Einfach weg. Du fehlst. Deine Nachfolgerin räumt nun den Laden ein. Jetzt gibt es neben den Wurstsemmeln, Acai-Bowls und Panini-Brötchen. Im Regal steht Luxus-Champagner statt Brandt-Zwieback. Ein Spezi und eine Fleischpflanzerlsemmel kostet jetzt FÜNF Euro. Für die Lage angemessen, aber die Geschichte, die Ruhe und die Gemütlichkeit, die fehlt.
Was bleibt sind Erinnerungen an dich, mein kleiner Tante-Emma-Laden, an 1-Euro-Spezi und Obatzter ohne EU-Rezept. In tiefer Trauer sage ich ein letztes, etwas zu hohes „Servus“. Mach’s gut, mein Lieblingsladen.