SPIELART
“As far as my fingertips take me”
Zwei Menschen, eine Wand, ein Lied und schwarze Farbe auf einem Arm. Tania El Khourys Performance erzählt schlicht und berührend die Geschichte einer Flucht.
Durch die hohen Fenster im Gasteig fällt schräg die Nachmittagssonne. Es herrscht eine angenehme Ruhe. Oben im Foyer des Carl-Orff-Saals steht ein Kleiderständer mit weißen Kitteln und ein Tisch mit einer Schale Wasser und Handtüchern. Hier nehme ich heute an der Performance “As far as my fingertips take me” teil.
Getrennt und doch verbunden
Nachdem ich einen der weißen Kittel, denen auf der linken Seite der Ärmel fehlt, angezogen habe, werde ich zu einem Stuhl geführt, der neben einer Wand steht. Ich setze mich, bekomme Kopfhörer aufgesetzt und werde dann gebeten, meinen linken Arm durch das Loch in der Wand zu strecken. Aus dem Kopfhörer spricht jetzt der syrische Künstler Basel Zaraa zu mir, der zur gleichen Zeit auf der anderen Seite der Wand steht und mit dem ich nur über meinen Arm verbunden bin. Während er auf deutsch erzählt, wie er im Yarmouk Camp für palästinensische Geflüchtete geboren wurde und Jahre später mit seiner Familie erneut fliehen musste, nimmt Zaraa behutsam meine Hand und beginnt sie zu bemalen.
Wellenrauschen und Wassertropfen
Während Basel Zaraa spricht, ist im Hintergrund Wellenrauschen zu hören. Gleichzeitig tropft etwas Wasser auf meinen Arm. Meerwasser? Tränen? Sofort ist da ein Bild in meinem Kopf von einem riesigen Ozean und kleinen, überfüllten Booten, die versuchen, über das Mittelmeer in ein besseres Leben zu flüchten. Aus den Kopfhörern erklingt jetzt ein arabisches Rap-Lied von Zaraa:
“Sag was du willst, mehr als 1000$ kostet dich das alles nicht/ Frag mich nicht warum oder wozu/ Die Hälfte ist Schmiergeld für die Armee und die Polizei in der Türkei/ Und der Rest ist zum Weiterleben und damit die Jungs einen heben können/ Dann ist es Glückssache mit dem Meer/ Kurz gesagt, entweder besiegt es dich, oder du besiegst es/ Dieser Teil kostet dich auch 1000§/ In den Booten sind alle Gesichter gestresst/ Halten den Atem an/ Pressen ihre Wunden ab/ Sie haben so viel Gewehrfeuer gehört/ Sie fühlen nichts mehr/ Sie fühlen nichts mehr”
Raptext von Basel Zaraa
In dem Song erzählt er die Geschichte seiner Schwestern, die vom Camp in Damaskus bis nach Schweden geflohen sind. Es ist ein Text mit harten Fakten und persönlichen Wünschen. “Wir wollen nur, was jeder will”, heißt es in einer Zeile, die immer wieder wiederholt wird. Als der Song zu Ende ist, schiebt Zaraa sanft meinen Arm zurück zu mir. In meiner Handfläche genau in der Mitte ist ein kleines Boot mit Menschen gezeichnet. Ich möchte instinktiv schützend meine Hand darum schließen. Auf meinem Unterarm laufen Erwachsene und Kinder, alle mit Gepäck in Richtung meiner Armbeuge, nur um dort von einem senkrechten durchgezogenen Strich empfangen zu werden. Ich muss schlucken.
Auf der Haut und im Bewusstsein
Am Ende der Performance tritt Basel Zaraa dann doch noch hinter der Wand hervor. Es ist interessant plötzlich der Person gegenüber zu stehen, der man gerade durch Berührung scheinbar nah gekommen ist und die man doch gar nicht kennt. Ich würde gerne etwas sagen, aber lächle dann nur und bedanke mich. Zaraa meint, dass ich seine Zeichnung gerne abwaschen könne. Ich denke, ich behalte sie, sage ich. Auf dem Heimweg muss ich immer wieder auf die schwarzen Figuren auf meinem Arm schauen, auf das kleine Boot, das da verloren in meiner Handmitte schwimmt. Ich frage mich, wer diese Menschen wohl sind, ob sie sicher an einem Ort angekommen sind, ob ihnen jemand geholfen hat. Ihre Geschichte ist jetzt irgendwie auch meine, ich trage sie auf meinem Arm und in meinem Bewusstsein.
Tania El Khoury und Basel Zaraa ist es gelungen in einer nur zehnminütigen Performance, eine berührende und nachwirkende Geschichte zu erzählen, die einen auch noch Tage danach begleitet.