Kommentar
Armutsgefährdet – ein Euphemismus
Knapp 15 Prozent der deutschen sind monetär armutsgefährdet, 21 Prozent sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Doch der Begriff beschreibt die Lebensrealität Betroffener unzureichend. Ein Kommentar.
Gefährdet, bedroht – dem Wortlaut entsprechend handelt es sich um eine auf die Zukunft gerichtete Gefahr. Also, dass Menschen in Zukunft in Armut geraten könnten. Armutsgefährdet sind nach Definition Menschen, die ein Nettoäquivalenzeinkommen von unter 60 Prozent des Medianeinkommens in Deutschland haben. Das bedeutet, sie haben monatlich weniger als die Hälfte von dem, was die meisten in Deutschland verdienen.
Was bedeutet es dann, von Armut tatsächlich betroffen, statt gefährdet zu sein?
Dafür hat das Statistische Bundesamt keine Definition, also keinen festgelegten Begriff. Mit anderen Worten ist der Begriff armutsgefährdet daher ein Euphemismus, welcher den prekären Zustand vieler Bürger:innen verschleiert. Die Definition, arm zu sein ist in der Politik neu geframed worden. Nun gibt es per Definition also keine von Armut betroffenen Menschen in Deutschland. Letzteres ist offensichtlich falsch, vielmehr werden die Augen vor einem Problem sozialer Ungleichheit verschlossen: Während viele hierzulande einen hohen Lebensstandard pflegen, öffnet sich die Schere zwischen arm und reich weit nach unten.
Der Schwellenwert, um monetär armutsgefährdet zu sein liegt bei monatlichen 1.250 Euro netto. Davon müssen Miete, Strom, Heizung, Internet, Versicherung, Bahnticket, Lebensmittel, usw. bezahlt werden. Das ist ohnehin schon eine sehr knappe Rechnung. Wenn dann der Laptop kaputt geht, reicht das Geld nicht mehr aus. In Deutschland liegen die durchschnittlichen Mietkosten bei knapp 800 Euro im Monat. Wer nun aufgrund seiner finanziellen Notlage umziehen muss, ist nicht von Armut bedroht, diese Menschen sind von Armut betroffen.
Die Politik sollte Armut in Deutschland nicht beschönigen
Trotz sinkender Arbeitslosenquote und einem hohen Lebensstandard im Land gibt es hier für viele Menschen keinen Grund zur Begeisterung. Denn die Zahl der Menschen, die arm bzw. armutsbedroht in Deutschland sind, stagniert seit drei Jahren bei um die 20 Prozent. Im Sinne der Politik sollte es daher sein, die Notlage dieser Menschen nicht weiter schönzureden.
In Deutschland waren im Jahr 2022 über 17 Millionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung – nach Worten des Bundesamtes – bedroht. Das sind mehr Menschen als in Bayern leben.
Man sollte in bundesweiten Jahresberichten wie dem Armutsbericht also keine Euphemismen wie armutsgefährdet oder -bedroht verwenden, sondern den Fakten direkt ins Auge blicken. Und dabei klar benennen, was all diese Zahlen im Endeffekt bedeuten: Jeder fünfte Mensch in Deutschland ist arm.