Kommentar
Arbeite dich nicht krank – ungesundes Überstundenverhältnis
Keine Stelle, kein Job, kein Projekt der Welt ist es wert, krank zu werden – ein vermeintlicher Konsens in der Gesellschaft. Dennoch nehmen Unternehmen die Überstunden ihrer Mitarbeiter:innen gerne in Kauf, und fördern somit ein toxisches Arbeitsverhältnis sowie Gesundheitsschäden, findet Rose Heimig. Ein Kommentar.
Während sich immer mehr Länder an das Modell der sogenannten Vier-Tage-Woche wagen, fordert Bayerns Arbeits- und Sozialministerin Ulrike Scharf tägliche Arbeitszeiten von mehr als zehn Stunden. Der vermeintliche Grund: Mehr Flexibilität schaffen, um Familie und Beruf zu vereinbaren. Auch soll es Branchen unterstützen, die unter Fachkräftemangel leiden, wie den Tourismus, die Gastronomie und das Baugewerbe.
Gefahren für die Gesundheit
Im Jahr 2021 haben über 4,5 Millionen Arbeitnehmer:innen in Deutschland mehr Arbeit geleistet, als in ihren Arbeitsverträgen vereinbart war – davon 22 Prozent in Form unbezahlter Überstunden. Das hat das Statistische Bundesamt berichtet.
Die Auswirkungen dieser Arbeitskultur und unserer Arbeitswelt auf unsere psychische sowie physische Gesundheit sind unverhältnismäßig groß.
Eine Langzeitstudie der Universitäten Halle-Wittenberg und Erlangen-Nürnberg belegt etwa, dass sich bereits eine Stunde länger Arbeiten pro Woche negativ auf die Gesundheit auswirkt.
Besonders mit dem Beginn der Pandemie ist die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit immer stärker verschwommen. So ist eine ständige Erreichbarkeit mittlerweile fast die Norm und wird geradezu erwartet. Jedoch kann diese ständige Konfrontation mit der Arbeit zu Stress und Überlastung führen – im schlimmsten Fall sogar zum Burnout. Das Phänomen hat in den letzten Jahren stark zugenommen.
Weitere mögliche Erkrankungen durch Überarbeitung sind zudem Angststörungen und Depressionen. Die Mitarbeitenden sind ausgebrannt, leer, erschöpft. Sie sind häufiger krank, machen häufiger Fehler, sind weniger motiviert, innovativ oder produktiv. Die negativen Auswirkungen von Überlastung in der Arbeit sind zudem keine neuen Phänomene, sondern seit Jahren bekannt.
Stress schadet allerdings nicht nur den Mitarbeiter:innen, sondern auch den Arbeitgeber:innen. Aus einer rein unternehmerischen Sicht lohnen sich zum Beispiel Maßnahmen zur Burnout-Prävention als Investition für bessere Leistung. Denn es ist günstiger, ein oder mehrere Mental-Health Seminare anzubieten, als dass ein Viertel des Unternehmens an Burnout erkrankt und ausfällt. Aber es sollte nicht nur am Finanziellen hängen. Ein echtes Interesse am Wohlbefinden der Mitarbeiter:innen ist notwendig und sollte vorausgesetzt sein.
Inzwischen ist Überarbeitung die häufigste Ursache für Gesundheitsschäden am Arbeitsplatz. Laut einer WHO-Studie steigt bereits ab 55 Wochenstunden das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen stark an. Im schlimmsten Fall kann Überarbeitung sogar zum Tod führen, nach Angaben der WHO sind im Jahr 2021 weltweit 745.000 Menschen gestorben.
Rolle der Unternehmen
Es stellt sich die Frage, warum Unternehmen bei solch erheblichen Auswirkungen trotzdem so sehr auf Überstunden zählen.
Wenn ein Unternehmen immer wieder auf die Mehrarbeit und Überstunden seiner Arbeitnehmer:innen zurückgreifen muss, weil diese notwendig für die Funktionsweise der Firma sind, dann handelt es sich weniger um mangelnde Expertise der Mitarbeiter:innen, sondern eher um Management-Probleme.
Zudem ist die Trennung von Privatem und Beruflichem notwendig für das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen. Arbeitgeber:innen sollten viel mehr von sich aus ein Interesse daran haben, ihre Angestellten zu schützen – und nicht mit Promotionen und Führungspositionen als Belohnung für wöchentlich zehn Überstunden zu locken. Genau so entsteht nämlich ein Arbeitsumfeld, in dem Überstunden nicht nur glorifiziert werden, sondern notwendig sind, um Karriere zu machen.
Letztendlich sind Beschäftigte ihren Arbeitgeber:innen nun mal untergeordnet und abhängig in ihrer finanziellen Existenz.
Deshalb reicht der Appell an Arbeitnehmer:innen, auf sich zu achten, in keiner Weise aus und ist beinahe schon absurd. Denn es sollte an Geschäftsführer:innen liegen, Fürsorge zu zeigen.
Daher bedarf es dringend eines rechtlichen Rahmens, der den Unternehmen vorgibt, wie sie mit ihren Leuten umzugehen haben. Es kann nicht an den Arbeitnehmer:innen hängen, sich selbst zu schützen.