Analogrechner

Als die Welt noch aus Zahnrädern und Skalen bestand

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Rechnen ist anstrengend. Fehler machen wir schnell. Es ist einfach angenehm und praktisch, wenn das eine Maschine für uns macht. Klar, heute haben wir den Taschenrechner oder das Smartphone, aber auch schon vor dem Computer haben geheimnisvolle Maschinen den Rechnenden geholfen.

Der Antikythera-Mechanismus

Die älteste komplexe analoge Rechenmaschine ist wohl der sogenannte Antikythera-Mechanismus.

Bild: Alexandros Michailidis / Shutterstock

Im Jahre 1900 entdecken Schwammtaucher ein Schiffswrack aus der Zeit der alten Römer vor der Insel Antikythera, zwischen der Peloponnes und Kreta. Neben allerlei Kunstschätzen hätte man einen unscheinbaren verwitterten Metallklumpen fast übersehen – und damit eine archäologische Sensation.

Neue Erkenntnisse  

Seit dem frühen 20. Jahrhundert wird dieser Klumpen erforscht. Jetzt haben Forschende eines multidisziplinären Teams des University College London ihre neuen Erkenntnisse zum Antikythera Mechanismus veröffentlicht. Unter 3D-Röntgenstrahlen hat der verwitterte Klumpen sein goldenes Herz gezeigt. Zweitausend Jahre in Salzwasser haben der Bronze nicht sonderlich gut getan und auch die Holzkiste, in der der Apparat verstaut war, ist inzwischen zerfallen. Aber die Forscher:innen fanden Zahnräder. Sehr viele Zahnräder auf kleinem Raum. Mit Hilfe der erhaltenen Teile und dem Wissen über Babylonier und die alten Griechen hat das Team ein detailliertes digitales Modell das nur noch zu einem Drittel erhaltenen Räderwerks erstellt.

Bild: nature.com/Tony Freeth et al./https://www.nature.com/articles/s41598-021-84310-w

Die Maschine war wohl nicht viel größer als ein dickes Buch und diente der Vorhersage astronomischer Ereignisse. Mittels einer Handkurbel ließen sich die Positionen von Sonne, Mond und den damals bekannten fünf Planeten bestimmen. Aber auch Mond- und Sonnenfinsternisse konnten auf die Stunde genau vorhergesagt werden, es gab sogar eine Anzeige für das Datum der Olympischen Spiele.

Hauptautor des Veröffentlichung, Professor Tony Freeth, erklärt: “Ours is the first model that conforms to all the physical evidence and matches the descriptions in the scientific inscriptions engraved on the Mechanism itself.”

Das moderne Weltbild der Antike

Diese Maschine war mehr als eine Uhr, die einfach mehrere Zeiger hat. Wie die neuen Ergebnisse belegen, berücksichtigte die Mechanik auch, dass sich der Mond nicht auf einer kreisförmigen Bahn bewegt. Das gewährt einen Einblick in das astronomische Verständnis der Antike. Die Gelehrten nahmen wohl an, dass sich die Planeten und auch der Mond nach der Epizykeltheorie bewegen. Denn genauso ist die Mechanik konstruiert. Die Epizykeltheorie war noch bis ins 17. Jahrhundert wissenschaftlicher Standard. Sie besagt, dass sich ein Planet auf einem Aufkreis bewegt, der sich wiederum auf einem Trägerkreis bewegt, also „ein auf einem Kreis kreisender Kreis“. Trotz der heute bekannten Fehlerhaftigkeit dieser Annahme konnten so sehr gute Vorhersagen getroffen werden. Erst 1600 Jahre später entdeckte Kepler, dass sich die Himmelskörper auf elliptischen Bahnen bewegen.

Für das Forschungsprojekt hat die Gruppe um Professor Tony Freeth eine Dokumentation veröffentlicht:

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Mehr Informationen
The Antikythera Cosmos

Viele Fragen noch offen

Es ist nicht sonderlich verwunderlich, dass allerlei Vermutungen über den genialen Erschaffer dieser Maschine angestellt werden. Manche vermuten, dass Archimedes aus Syrakus hinter dem Wunderwerk steckt, andere halten es für das Werk eines sehr wissenschaftsaffinen Kunstschmieds. Doch letztendlich wird diese Frage wohl unbeantwortet bleiben. Auch der genaue Verwendungszweck hat sich noch nicht erschlossen. Für die nautische Navigation war das Gerät zu diffizil und für einen Bauern, der damit den Zeitpunkt seiner Saat bestimmt, viel zu teuer. Wahrscheinlich war es eine technische Spielerei für die römische Oberschicht, darauf deutet auch eine Art Gebrauchsanweisung hin, die am Deckel der Apparatur angebracht war.

Der Rechenschieber

Ganz ohne Zahnräder präsentiert sich aber der Rechenschieber.

Bild: mdbildes / Shutterstock

Bis in die 1970er Jahre hinein fand man sie an Schulen, in den Taschen von Techniker:innen und Wissenschaftler:innen. Das Konzept hinter dem Rechenschieber ist aber genial. Man nutzt bis auf wenige exotische Ausnahmen bekannte Verhältniszahlen, sogenannte Logarithmen. Durch die so festgelegte Skalierung können durch geschicktes Ablesen alle Aufgaben der Grundrechenarten und selbst komplexe Rechenaufgaben ausgeführt werden. Wurzel ziehen, quadrieren, mit Logarithmen oder trigonometrische Funktionen rechnen oder auch parametrisierte Umrechnungen durchführen – alles kein Problem.

Hintergrund

So genannte Analogrechner sind Rechner, die ohne Kondensatoren und Speicherplatz auskommen. Das sind Maschinen, die bestimmte Zusammenhänge zwischen Original und Modell nutzen, um das Ergebnis zu errechnen. Sie kennen quasi die Lösung aller Aufgaben schon vorher, der Mensch fragt sie nur ab. Ab Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden diese fantastischen Apparate zunehmend von den Digitalrechnern verdrängt, da die Bedienung dieser wesentlich einfacher war und die Ergebnisse auch genauer.

Doch Digitalrechner haben die große Schwäche die Realität „wahrheitsgetreu“ abzubilden, da sie nur mit diskreten Werten rechnen können. Das heißt, es gilt das Diktat der Entscheidung zwischen Null und Eins. Analogrechner dagegen zeigen das „wahre“ Ergebnis, sie runden nicht. Sie arbeiten mit kontinuierlichen Werten. Zudem besitzen Analogrechner die Fähigkeit, Ergebnisse in Echtzeit zu liefern. Sie haben also eine unermesslich größere Rechenleistung als alle Digitalrechner, die wir heute nutzen.