Platte des Monats: April '21
Alfa Mist – Bring Backs
Mehrere Identitäten und in jeder gleichermaßen daheim. Auf seinem vierten Album findet Alfa Mist die bisher beste Balance aus seinen musikalisch-thematischen Ursprüngen und seiner aktuellen Rolle als Jazz-Bandleader.
Der entscheidende Feinschliff
Vor Anstrengung verzogene Gesichter, die sich hinter unzähligen Instrumenten verstecken und trotzdem eine enorme Präsenz im Metropolis-Studio einnehmen: Die zum Release veröffentlichte Live-Performance für Alfa Mists neues Album Bring Backs allein beweist, dass es sich hier um Musik als Lebensinhalt handelt.
Dabei haben die beiden Vorabsingles fast schon zu wenig versprochen. Vor allem „Organic Rust“ hat neuen Hörer:innen eher den Eindruck vermittelt, es handelt sich um typisch verhaltenen Rap aus UK. Fans wussten nach den bisherigen drei Alben eher auf was sie sich einlassen, aber selbst sie dürften überrascht gewesen sein. Trotz ähnlichem Aufbau wie auf dem letzten Studio-Album, Structuralism, bietet der selbstgelernte Jazzpianist hier eine dichte Mischung aus Streichern, Bläsern, Poesie und Rap. Vor allem die Produktionsqualität erreicht ein neues Niveau, vielleicht auch dank des frischen Label-Wechsels zu ANTI-Records.
Über Umwege zum Jazz
Alfa Mist, mit bürgerlichem Nachnamen Sekitoleko, hat im Jazz seine neue Heimat gefunden. Aufgewachsen ist er aber in Ostlondon mit Grime und Hip-Hop, inspiriert von Namen wie J Dilla, 9th Wonder oder Hi-Tek. Über die Soul- und Jazz-lastigen Samples der Beats seiner Vorbilder eröffnet sich ihm darauf eine neue Welt. Von der Neugier getrieben taucht er weiter in deren Ursprünge ein und findet sich auf einem Avishai Cohen Konzert wieder. Nach diesem musikalischen Erwachen beginnt sich der damals 17-jährige das Klavierspielen und die Eigenheiten des Genres selbst beizubringen.
Ein Solo-Künstler im Hintergrund
Alfa Mist kommt als Außenseiter in eine Welt, die er mittlerweile maßgeblich mitgeprägt hat. Die Londoner Fusion aus elitärem Jazz und experimentellen Soul, Pop und Hip-Hop wird angeführt von dutzenden jungen, diversen Musiker:innen. Obwohl er schon mit Szene-Superstars wie Tom Misch, Yussef Dayes oder Mansur Brown gearbeitet hat, reicht es schon innerhalb der eigenen Jazzgruppe nach Feature-Gästen zu suchen. Bassistin Kaya Thomas-Dyke hat schon den vorherigen Alben ihre Stimme geliehen. Während diesen Songs übernimmt der Frontmann dann auch gerne ihren Bass und stellt sich, wie auch im öffentlichen Leben, in den Hintergrund und lässt der gesamten Band die Bühne.
Musik und Text werden eins
Bring Backs schafft es auch mit einer reichen Instrumentierung und mehreren Stimmen Poesie ins eigentliche Scheinwerferlicht zu rücken. Hilary Thomas’ Gedicht, großteils auf dem Track „Last Card (Bumper Cars)“ zu hören, ist Herzstück des ganzen Projekts. Auf einem sanften instrumentalen Bett präsentiert sie ihre kalten Worte über Migration und den Schmerz von Heimatlosigkeit. Das melancholische Gedicht hält das abwechslungsreiche Album thematisch zusammen und ist für Alfa Mist keine neue Thematik. Schon auf früheren Songs behandelt er solche Gefühle, wie die Sprachbarrieren mit seiner ugandischen Familienseite.
Alfa Mists viertes Studioalbum ist die natürliche Evolution aus seinen bisherigen Projekten und überrascht trotzdem mit dem Wachstum, das sein Songwriting und die Gestaltung des Albums präsentiert. Instrumentale Tracks und toll platzierte Gastauftritte funktionieren so gut, dass sie seinen eigenen, introvertierten Rap fast schon in den Schatten stellen. Unsere Platte des Monats für den April ist ein optimaler Grund tiefer in die Londoner Musikszene einzutauchen.
Bring Backs von Alfa Mist ist am 23. April 2021 über ANTI-Records erschienen