Fußnoten- Interview Transkipt
Ableismus
Die zwölfte Folge unseres politisch-nachrichtlichen Podcast „Fußnoten“ steht unter dem Titel „Ableismus – ‚Die Verachtung Schwerbehinderten und psychisch kranken Menschen gegenüber ist halt schon sehr stark.‘“ Hintergrund ist der Hashtag #AbleismTellsMe mit dem Menschen mit Behinderung ihre Diskriminierungserfahrungen auf Twitter teilten. Zu diesem Thema haben wir mit zwei Interviewpartner*innen gesprochen. Hier geht’s zur Folge. Für Menschen mit Höreinschränkungen, oder solche, die einzelne Stellen gerne nochmal nachlesen wollen, haben wir hier ein ungekürztes Transkript der Interviews aus dem Podcast.
Wir sprechen mit Oswald Utz, ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter der Stadt München seit mittlerweile 16 Jahren. Er kümmert sich nach eigener Aussage nicht um „den Bordstein an der Ecke“, sondern setzt sich für strukturelle Veränderungen der Situation von Menschen mit Behinderung in München ein. 2013 verklagt er wegen der Sozialgesetzgebung zum Lebensunterhalt von Menschen mit Behinderung die Stadt. Oswald Utz lebt mit der Glasknochenkrankheit und ist auf einen Elektrorollstuhl angewiesen.
Ein Gespräch mit Oswald Utz
Sie machen unter anderem Öffentlichkeitsarbeit. Wie sieht die denn konkret aus?
“Ich versuche einfach das Thema Behinderung als Querschnittsaufgabe, als Menschenrecht in die Stadtgesellschaft reinzutragen und das eben mit unterschiedlichsten Methoden. Aber auch – wenn sie sich erinnern – es gibt immer einmal im Jahr am Marienplatz diesen Tag „Dasein für München“. Da versuche ich mit einem Infostand da zu sein. Aber dazu gehört auch, direkt in Kontakt zu treten mit Organisationen für Behinderungen, weil die doch für mein Empfinden noch ein sehr altertümliches Bild von Menschen mit Behinderung haben. Die muss man beschützen, um die muss man sich kümmern. Da gibt’s Expertinnen und Experten, die machen das ganz toll für uns, und ich sag eben: „Ne, wir wissen selber, was wir brauchen und wir brauchen niemanden anders.”
Ich versuche auch immer an andere Menschenrechtsbewegungen anzuknüpfen und daran zu erinnern – an die Frauenbewegung anzuknüpfen. Und auch in meiner Community zu sagen: „Schaut’s da gab’s auch eine Bewegung, die haben auch für sich gesprochen.“ Oder schwarze Menschen, die auch sagen: „Es müssen nicht die Weißen für uns sprechen, wir können selber für uns sprechen.“ Es geht darum, dieses Selbstbewusstsein auch Menschen mit Handicaps einzuimpfen.
Wir brauchen nicht immer die Nicht-Behinderten, die Experten, die sich für uns einsetzten. Wir müssen lernen, selbst für unsere Rechte einzutreten. Die anderen werden das einfach nicht machen, die wollen uns versorgen, die wollen uns wegsperren, die wollen sich um uns kümmern, aber die wollen nicht, dass wir gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft werden. Das haben die nicht im Auge, wenn wir das wollen, müssen wir uns das selber erkämpfen.
Wir sind bei unserer Recherche darauf gestoßen, dass Sie die Stadt München verklagt haben. Was kam den dabei heraus? Da wäre es auch ganz interessant zu wissen, was es damit auf sich hat, was der Hintergrund war, und was dabei herausgekommen ist.
Also letztendlich war die Klage eher fürs Schaufenster gedacht, um auch da nochmal drauf hinzuweisen, wie wenig gleichberechtigt wir Menschen mit Handicap eine Chance haben, an der Gesellschaft teilzunehmen. Sie müssen sich vor Augen halten, ich bin ein Mensch, der ist auf Pflege angewiesen, ungefähr sieben bis neun Stunden am Tag. Diese Pflege ist natürlich nicht ganz billig, und diese Pflege wird nach wie vor über Sozialhilfe finanziert. Sozialhilfe ist einkommens- und vermögensabhängig. Es heißt, jemand wie ich, der wirklich relativ viel Geld verdient, kommt aus der Nummer der Sozialhilfe in seinem ganzen Leben nie heraus, weil ich immer mein ganzes Gehalt bis auf Hartz IV für meine Pflege einsetzen muss.
Und das gilt nicht nur für mich, ich hab zwei Kinder, die dürfen nicht sparen, nur weil sie einen Papa haben, der im Rollstuhl sitzt. Nicht einen Papa, der nicht für seinen Lebensunterhalt sorgen kann, sondern einen Papa der im Rollstuhl sitzt und auf Pflege angewiesen ist. Ich sage, solange wir dieses System so beibehalten, dass wir Menschen mit Handicaps immer nur in die Lage versetzen, dass sie vom Staat alimentiert werden müssen, solange werden wir auch kein Selbstbewusstsein entwickeln können, solange werden wir auch keine Kraft haben.
Wenn ich immer Ihnen gegenüber derjenige bin, der Geld von Ihnen braucht um Leben zu können, der vom Sozialstaat abhängig ist, da hab ich eine ganz schlechte Position auch meine Menschenrechte einzufordern, weil man immer sagen wird: „Jetzt sei mal froh, schau mal eigentlich wie viel Geld du eigentlich schon kriegst, damit du aufstehen kannst, damit du gewaschen wirst.“ Deswegen habe ich eher so eine Schaufenster-Klage geführt. Mir hat ein Richter an der LMU gesagt, die wird ich mit Pauken und Trompeten verlieren. So war’s auch.
Aber zumindest konnte ich es mal in die Köpfe bringen, weil selbst – sie werden es nicht glauben – ganz vielen Politikerinnen und Politiker war nicht bewusst, dass jemand wie ich, der Sechs-, Siebentausend im Monat verdient, trotzdem Hartz-IV-Empfänger ist, weil das ganze Geld sofort vom Staat eingezogen wird. Das macht ja auch etwas mit meinem Selbstbewusstsein: Hab ich denn immer noch Lust zu arbeiten? Wenn ich sage: „Ist eigentlich egal, ob ich arbeite oder nicht“. Überall wird einem in der Gesellschaft gesagt, “Arbeit soll sich lohnen” und bei Menschen mit Behinderungen hebeln wir einfach dieses Prinzip aus. Da wollte ich ein Stück weit darauf hinweisen. Es tut sich ein bisschen was in Berlin, aber wirklich nur ein ganz, ganz klein bisschen.
Aber nach wie vor ist es so, dass ich sozusagen vom Staat alimentiert werden muss. Es gibt viele andere Hilfen auch, da fragt man auch wieviel Geld man verdient, beispielsweise beim Kindergeld. Man bekommt auch Kindergeld als Millionär. Da sagt man auch nicht, dass bekommen nur die Sozialbedürftigen. Und auf solche Ungerechtigkeiten wollt ich mit der Klage hinweisen.
Sie haben da einen sehr interessanten Punkt angesprochen, der mir persönlich so auch gar nicht klar gewesen ist. Da gibt es sicherlich noch ganz viele andere Bereiche, in denen es noch keine richtige Gleichberechtigung von Menschen mit Handicap gibt. Können Sie da vielleicht ein bisschen illustrieren, was da noch für andere Bereiche sind, die für Menschen, die sich nicht damit beschäftigen, einfach nicht sichtbar sind?
Ich versuch’s mal an so ein paar plakativen Beispielen: Als ich angefangen habe Behindertenbeauftragter anzugucken, da gibt es ja ganz viele Broschüren auch von der Stadt, wo Sportangebote aufgelistet sind. Dann hab ich gesagt: „Ja wo sind denn die Sportmöglichkeiten für Menschen mit Handicap aufgeschrieben?“ „Ja da haben wir ja auch eine ganz tolle Broschüre.“ Die wurde mir dann ganz stolz vorgelegt. Dann schau ich mir das Inhaltsverzeichnis an, dann steht dort: „Körperliche Behinderung, geistige Behinderung, seelische Behinderung, Sinnesbehinderung.“ Dann hab ich gesagt: „Ich wusste gar nicht, dass das Sportarten sind. Dann haben die gesagt, „Schauen sie doch mal rein unter seelische Behinderung.“ Dann stand da, was sie machen.
Da hab ich gesagt: „Das zeigt ihr Denken. Ich möchte, dass vorne drinnen steht ‚Tischtennis, Fußball, Volleyball‘ und dann klapp ich das auf und dann seh ich, hat dieser Verein vielleicht für die Gruppe von Menschen mit Handicaps auch ein Angebot. Am liebsten wäre mir es steht im ganz normalen, regulären Programm drin ‚Volleyball‘, dann schau ich unter Volleyball nach: Hat dieser Verein auch ein Angebot für Menschen mit Handicaps? Ich will nicht, dass man nach so gelabelt wird.“
Oder wenn Sie sich ganz viele andere Sachen ansehen: Sie gehen in eine Turnhalle oder ins Kino und schauen sich einen Kinofilm an. Da erzählen sie stolz, dass sie Plätze für Menschen mit Handicaps haben. Die sind hinten in der letzten Reihe, hinter der letzten Stuhlreihe. Das heißt, wenn ich mit meiner Tochter ins Kino gehe, kann die nie neben mir sitzen. Wenn man das den Kinobetreibern sagt, dann sind sie beleidigt und sagen: „Jetzt haben wir schon extra Plätze für sie, und sie sind wieder nicht zufrieden.“
Verstehen Sie, so zieht sich das durch ganz viele Gesellschaftsbereiche durch, dass man sozusagen immer wieder hört: „Was willst denn eigentlich noch? Wir machen schon soviel für euch und jetzt seid ihr noch immer nicht zufrieden. Jetzt haben wir schon so viele Bordsteine abgeflacht. Jetzt haben wir schon einen Aufzug bei uns, wir haben sogar ein Rolli-Klo und noch immer mosern Sie.“ Man kommt immer wieder in diese Rolle wo ich sag, nicht einmal sowas ist eine Selbstverständlichkeit, dass man denkt: „Na klar hat vielleicht auch jemand mit Handicap einen Freund, eine Freundin, die nicht ein Handicap hat und wo man vielleicht auch im Kino nebeneinander sitzen will.“ Sie glauben gar nicht wie schwierig es ist, sowas in die Köpfe zu bringen. Da können Sie viele Bereiche durchdeklinieren.
Wenn im am Sonntag mit meinem Kind essen gehen mag und ich komme nicht rein, bin nicht nur ich diskriminiert, sondern auch meine beiden Kinder. Auch das wird häufig nicht gesehen. Man nimmt Menschen mit Handicaps noch immer nicht als soziale Wesen wahr. Man denkt immer, dass sind irgendwelche, mit denen macht man was. Dass sie aber auch Bekannte, Freunde, Familienmitglieder haben, die keine Behinderung haben und wenn ich nicht daran teilnehmen kann, meine ganze Familie ausgeschlossen ist, mein Freundeskreis ausgeschlossen ist, das wird noch überhaupt nicht mitgedacht. Ich schaue sehr gerne Fußball in Kneipen mit Freunden. Wenn ich da nicht reinkomme, müssen sich meine Freunde entscheiden, gehen sie ohne mich hin oder suchen wir eine andere Kneipe. Das hat auch Auswirkungen auf ihr Leben, weil die mit mir zusammen Fußball gucken wollen und zwar nicht aus sozialen Gründen, weil man mal mit einem Rolli-Fahrer etwas macht, sondern weil wir befreundet sind. Das in die Köpfe zu kriegen ist ganz ganz schwer.
Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum die Maßnahmen, die die Stadt vielleicht auch ergreift, um Inklusion zu schaffen, unpassend oder unzureichend sind?
Nicht vielleicht unzureichend. Das Schwierige ist, man hat von Gesetzes wegen ganz wenig Zugriff auf die Privatwirtschaft. Da müsste Politik handeln. Die Politik lässt Privatwirtschaft immer außen vor. Sie verpflichtet sich schlicht und ergreifend nicht zur Barrierefreiheit. Das ist mit eins der größten Dinge, die wir kritisieren. Es wird immer wieder erzählt, man darf die Privatwirtschaft nicht überfordern – die heiligen Arbeitsplätze. Aber für mein Empfinden, wenn man sich die skandinavischen Länder ansieht, in England auch, Amerika anschaut: alles Humbug. Alles ein totaler Humbug. Es stimmt einfach nicht. Ich glaube man muss nochmal daran denken aus meiner Erfahrung, wir haben da was aus dem zweiten Weltkrieg mitgenommen.
Da schwellt noch etwas in unserer Gesellschaft und danach ist eher so ein Wohlfahrtsstaat entstanden. Wo man sozusagen nicht Empowerment aufgebaut hat oder Peer-Counseling, also Menschen mit Handicaps beraten Menschen mit Handicaps, sondern man ist nach wie vor hier in Deutschland auf dem Trichter: „Es gibt die großen Wohlfahrtsverbände, es gibt die großen Behinderteneinrichtungen und die machen alles gut für Menschen mit Behinderungen.“ Und ich sag’s jetzt mal salopp unter uns dreien sozusagen: Und die Politik scheißt sie mit Geld zu und tut sich damit die Hand reinwaschen und sagt: „Wir haben die tollen Einrichtungen von der Schule bis zur Wohnstätte und die sorgen sich um uns. Bitte macht das und lasst uns damit in Frieden und damit sind wir aus der Nummer draußen.“ Jetzt gibt es aber andere Menschen mit Handicap, die mittlerweile sagen: „Nein, wir wollen so nicht mehr leben.“
Und das führt zu Konflikten, zu großen Konflikten, weil natürlich und auch da brauchen wir nicht drum herum reden, diese großen Wohlfahrtsverbände mit uns fette Knete machen. Die machen das ja nicht, weil sie so gut zu uns sind, sondern weil es richtige Wirtschaftszweige sind mittlerweile, wenn sie sich die großen Behinderteneinrichtungen ansehen. Die geben das nicht ohne Weiteres her und deswegen sage ich immer zu meinen Verbündeten: „Das müssen wir uns selber erkämpfen. Die Großeinrichtungen werden nicht sagen: ‚Jaja wir müssen jetzt echt mal in ein neues Zeitalter gehen.‘ Und die Politik wird’s auch nicht sagen, wenn wir sie nicht permanent quälen werden. Denen ist das recht, irgendwelchen Großverbänden, Geld zu geben und zu sagen: ‚Erledigt ihr mal das Thema Behinderung und zwar von der Wiege bis zur Barre. Egal ob Schule, Arbeit, Wohnen bitte übernimmt das und dann haben wir das sozusagen aus dem gesellschaftlichen Diskurs draußen.”
Wenn wir uns jetzt auf München beziehen, wie gut, behindertengerecht ist die Stadt aufgestellt? Was macht München schon sehr gut und welche Lücken müssen da noch geschlossen werden?
Man muss einfach sagen, in München gibt es sehr viele Möglichkeiten. Nicht zuletzt bin ich auch jemand, der nach München gezogen ist, weil es hier eine gewisse Infrastruktur gibt. Also ich lebe in meiner eigenen Wohnung, ich kann meine Versorgung selber organisieren, auch wenn es mühevoll und anstrengend ist. Aber es gibt zumindest die Möglichkeit, und auch eine Kommunalpolitik hier in München will, dass es solche Lebensformen auch gibt und fördert die auch bis zu einem gewissen Grad – es gibt immer wieder Einschränkungen. Das liegt aber auch manchmal daran, dass es Landessache oder Bezirkssache ist. Aber prinzipiell ist hier in der Kommunalpolitik schon ein Commitment. Man sagt, man mag, wenn Menschen mit Handicap sich das wünschen, möglichst selbstbestimmt und möglichst eigenständig leben. Das schlägt sich in vielen Sachen nieder bei der Stadt.
A, dass sie eben auch sehr viel freiwilliges Geld in die Hand nimmt, obwohl sie gesetzlich nicht dazu verpflichtet ist, um beispielsweise die Verwaltungsgebäude anständig umzubauen, aber auch um den öffentlichen Nahverkehr auf Vordermann zu bringen. Es hat länger gedauert bis wir’s hingekriegt haben in München. Beispielsweise wenn Sie sich die neuen Busse anschauen, da ist es selbstverständlich, dass überall eine Klapprampe dabei ist, da ist es selbstverständlich, dass ein Monitor oben ist, bei dem der Zielort angezeigt wird, damit Gehörlose sehen wo sie hinfahren, und dass es auch über Lautsprecher durchgesagt wird, damit blinde Menschen wissen, was die nächste Station ist. Alles mühevolle Schritte, aber da geht München mit.
Da muss man immer wieder auch gucken, dass man ihnen sagt: „Das hat ja nicht nur für uns einen Vorteil, sondern auch für andere, wenn man an Touristen denkt, oder Leute, die der deutschen Sprache nicht so mächtig sind, und und und.” Auch Väter und Mütter mit Kinderwägen sind doch ganz froh, wenn es einen Aufzug an der U-Bahnstation gibt. Es ist ein mühevoller Prozess,aber da lässt sich die Stadt drauf ein.
Was ganz schwierig ist nach wie vor in der Stadt, ist das Thema Bildung und Arbeit. Wenn Sie auch mal selber ein bisschen rumgucken, sie werden nur ganz wenig Menschen mit Handicaps in Regelschulen sehen. Die werden noch separat beschult. Es gibt im Kindergarten erste ganz gute Ansätze aber meistens dann, wenn die Veränderung kommt von der Krippe in den Kindergarten und vom Kindergarten in die Schule, da brechen dann immer mehr weg. Da glaube ich, muss man auch noch ganz ganz viel bei den Eltern an Öffentlichkeitsarbeit leisten, weil es ist leider so, dass noch immer viele Eltern Angst haben, wenn ein Kind mit Handicap in der Klasse ist, dass ihr Kind nicht mehr zum Zug kommt.
Und wenn Sie sich die ganze Bildungslandschaft ansehen ist es sowieso brutal, wer da alles Angst hat, dass seine Kinder nicht mehr mitkommen. Da gibt es sozusagen dieses Gefühl: „Jetzt kümmern wir uns schon um die Flüchtlings- und Migrantenkinder und jetzt auch noch die Behinderten? Es ist echt zu viel.“ Und man muss auch fairerweise sagen, es ist auch oft zu viel für die Lehrerinnen und Lehrer. Die müssen da dringend anders ausgestattet werden. Nicht nur wegen Menschen mit Handicaps, ich glaub auch wegen vielen anderen Schülern. Auch wenn sie sich angucken wie sich Schulen vorbereiten auf Menschen mit Handicaps, nicht nur auf Rolli-Fahrer, sondern auch auf Menschen, die geräuschempfindlich sind, die gehörlos oder blind sind. Jetzt muss man schauen, dass im nächsten Schritt auch die Pädagogik nachziehen kann. Aber zumindest, dass man die Hardware hinkriegt, auch wenn man sich die neuen Sportstätten anguckt. Lange war’s ja so: „Ja dann geht man halt als Rollifahrer rein, dann kann man irgendwo stehen.“
Ich sag aber es gibt auch Menschen mit Handicaps, die Sport treiben, also dass man auch die Hallen so ausstattet, dass Menschen mit Handicap dort Sport treiben können. Also immer alle drei Seiten betrachten. Ich kann da vielleicht als Zuschauer hin, vielleicht aber auch als Sportler aber vielleicht auch als Mitarbeiter oder Mitarbeiterin, sodass man immer die drei Bereiche mitdenkt, wenn man beispielsweise neue Schulen und Sporthallen baut. Früher wars so da konnte man vielleicht in die Schule gehen aber es war unvorstellbar, dass dort ein Mensch mit Handicap im Sekretariat arbeitet, weil das alles so beengt war und die Toiletten nicht benutzbar waren.
Lass es uns immer aus allen Blickwinkeln beachten, wo wir Menschen unterwegs sind, ob da auch Menschen mit Handicaps sein können. Das find ich sogar ermutigend für meine Arbeit, dass man hier in München bereit ist nicht mehr irgendwelche Leuchttürme anzuzetteln, sondern wirklich sagt: „Wir müssen das in der Struktur verändern.“ Häufig erlebe ich, da machen sie ein ganz tolles Kulturprojekt. Und dann frag ich mich: „Und was ist dann?“ Drum herum passiert nichts. Das macht mich mutig, dass man versucht, hier in München die Sachen strukturell anzugehen.
Ein Gespräch mit Patricia Koller
Wir sprechen mit Patricia Koller. Sie ist Aktivistin für Rechte von Behinderten, und Inklusion. Sie hat die politische Gruppe „Randgruppenkrawall – Behindertenprotest” gegründet und ist ehrenamtliche Helferin für Schwerbehinderte und psychisch Kranke und Leiterin des bundesweiten Selbsthilfenetzwerks “Persönliches Budget für Schwerbehinderte – Behindertenrecht“.
Jetzt eine bisschen standardisierte Frage, die Aktivisten gerne mal gestellt wird: Was war so der Moment oder was war so der persönliche Auslöser zu der Entscheidung, politisch aktiv zu werden beziehungsweise deine Stimme zu erheben?
Patricia: Geärgert habe ich mich schon darüber, was in Stuttgart 21 los war – wie da die braven Bürger Dresche von der Polizei gekriegt haben und es kam mal dann immer mehr dazu und dann als ich mitbekommen habe, wie Schwerbehinderte behandelt werden. Das hat mich dann so richtig geärgert, also intensiv geärgert, weil es hier wirklich um wehrlose Menschen geht oder oft um schutzlose Menschen auch. Das ist auch eine Zumutung, dass jemand jahrelang um seine Rechte kämpfen soll vor Gericht. Es hat mir jetzt auch neulich eine Anwältin wieder bestätigt, Manche erleben das Ende des Verfahrens nicht mehr. Das ist schon eine Schweinerei. Und grade kranken Menschen müssen wir Unterstützung geben und nicht einfach abwarten, ob sie irgendwann aufgeben und da drauf ist halt vieles ausgelegt bei den Behörden.
Wir haben ja auch ein Interview geführt mit Oswald Utz, der ehrenamtlicher Beauftragter ist für Menschen mit Behinderungen bei der Stadt München. Wie unterscheidet sich jetzt ihre Arbeit von der von Oswald Utz?
Ja, der Oswald Utz ist ja Behindertenbeauftragter, der hat jetzt selbst diese ganzen Probleme nicht mit dem Behörden, weil er gar nicht so abhängig ist und weil er ja mal sozusagen “Vorzeige-Behinderter” ist. Das ist jetzt vielleicht ein bisschen hart der Begriff, aber es erklärt’s glaube ich auf die Schnelle. Wirklich hart sind die dran, die eben niemanden haben, der für ihre Rechte kämpft, die alleine im Behörden-Krieg sind, die mit diesem ganzen Unterlagen-Wahnsinn überfordert sind. Die Texte sind schon überhaupt nicht verständlich, was da an Behördengeschwurbel rausgeschickt wird. Dann diese X-Anträge, dann noch mehr Nachweise erbringen, Unterlagen einschicken, die dann grundsätzlich beim Bezirk verschwinden.
Das ist schon wirklich alles sehr, sehr mühsam. Das ist halt auch unfair, weil es sind oft kranke Menschen oder Menschen, die sich ohnehin nicht leicht tun oder die vielleicht eine kognitive Einschränkung haben und ich finde, man muss da viel mehr Unterstützung geben und dazu wären die Behörden eigentlich verpflichtet, aber sie nutzen die Schwäche der Menschen, um sie auszutricksen und sie eigentlich um ihre Rechtsansprüche zu betrügen.
Hab ich das jetzt richtig verstanden: Die Initiative, die sie jetzt gestartet haben, ist dazu da, Menschen mit Behinderungen bei Antragsstellungen zu unterstützten – da geht’s vermutlich um finanzielle Budgets oder?
Ja es ist auch oft so, dass sie gar nicht erfahren, welche Rechte sie haben. Ich frage oft, wenn ich Schwerbehinderte treffe – so von Rolli-Fahrer zu Rolli-Fahrer: „Und hast du’s persönliche Budget?“ Und dann fragen die mich zurück: “Was ist denn das?” Also die wissen das gar nicht, die erfahren nichts davon und die Behörden haben eine Informations- und Beratungspflicht und kommen der nicht nach. Das ist was, das regt mich echt auf, weil es wird so wirklich gezielt getrickst mit allen Mitteln, dass die Leute gar nicht erfahren, was ihnen zusteht von Rechts wegen. Was sie nicht wissen, können sie nicht beantragen und wenn man nicht weiß wonach man googeln muss, dann findet man natürlich auch nichts und das ist unfair.
“Persönliches Budget”: Was genau ist damit gemeint?
Es ist ein Rechtsanspruch seit 2008. Es ist ein Bundesgesetz, das in Bayern bekämpft wird mit allen Mitteln. Es geht dabei darum, dass sich Schwerbehinderte Assistenzen nehmen können. Also dass man sich die Hilfen selbst holen kann, die man braucht. Also ich zum Beispiel brauche eine Haushaltshilfe. Ich brauche eine Begleitung, die mir mit dem Rolli hilft. Ich brauche jemanden, der mich beim Behördengang begleitet, jemanden der mich zum Arzt begleitet. Solche Sachen kann man dann über das persönliche Budget selbst bezahlen. Man kann sich selbst seine Mitarbeiter suchen und das ist dann das, was das Bundesministerium für Arbeit dann so schön verkündet: Es ist das “größtmögliche selbstbestimmte Leben”. Das soll ermöglicht werden mit dem Gesetz. Das wird dann von den Behörden wiederum boykottiert, weil die machen daraus wieder die „größtmögliche Gängelung durch Sachbearbeiter“. Aber das Gesetz an sich ist prima, es wird nur wirklich miserabel umgesetzt, wenn es überhaupt umgesetzt wird.
Das klingt auf alle Fälle schonmal sehr furchtbar. Wir haben jetzt auch schon von Oswald Utz erzählt bekommen, dass diese Hilfen ja auch an die Sozialhilfe gekoppelt sind und dass das wiederum unfassbar viel auslöst. Wie erleben Sie diese Prozesse?
Es ist oftmals sehr demütigend. Es gibt ja dann immer diese Konferenzen. Da wird dann der Behinderte quasi richtig nackt gemacht. Er muss seine Kontoauszüge abgeben, seine ärztliche Diagnosen abgeben. Er muss alles x-fach erklären, er muss erklären, wie viele Toilettengänge er am Tag braucht oder wie oft er Nahrungsmittel zu sich nimmt, lauter so Sachen. Also ich finde vor allen Dingen: Warum muss das immer wieder passieren?
Wenn man jetzt weiß, es hat jemand eine dauerhafte Behinderung oder eine dauerhafte Erkrankung oder eben eine dauerhaft bleibende psychische Erkrankung – warum der das immer wieder durchmachen muss, warum diese ewige Demütigung? Und die Sachbearbeiter haben keine Ausbildung, was jetzt diese Erkrankungen angeht. Die kennen sich mit Behinderungen nicht aus. Sie wissen nicht über physischen Erkrankungen Bescheid und werten dann Menschen, von denen sie nicht mal begreifen, was für Probleme die haben, und machen ihnen es wirklich so schwer wie möglich.
Also da fehlt es wahrscheinlich auch an Sensibilisierung bei den Menschen, die dafür verantwortlich sind.
Ja, also die Behörden sind wirklich grob im Umgang und auch sehr herzlos. Die haben hier von oben den Druck „Kosten sparen, Kosten sparen, Kosten sparen, Kosten sparen“ und so wird halt dann der behinderte Mensch oder der Mensch mit psychischer Erkrankung zum Bittsteller. Er wird in einer Tour gedemütigt und gequält mit Auflagen, „und dies noch beibringen und jedes noch beibringen“ und die Unterlagen sind wieder verschwunden, also den Ganzen Mist nochmal einschicken. Dann fordern sie ärztliche Gutachten, ein was sie gar nicht dürfen. Dafür gibt’s das Gesundheitsamt, das sowas macht. Also es ist wirklich stark übergriffig und man hat überhaupt kein Privatleben mehr, also es wird wirklich in alles hinein geguckt. Der Mensch wird völlig gläsern gemacht und damit auch irgendwo schutzlos.
Der Hashtag #AbleismTellsMe hat online getrendet. Eigentlich ist das ja ein Weg um vielleicht diese Tatsachen, die für Menschen ohne Behinderung teilweise unsichtbar sind, sichtbarer zu machen. Wie schätzen sie den Online-Aktivismus ein? Wie geht es ihnen mit diesem Hashtag und dem generellen Umgang?
Ich finde es prima. Ich find’s eine ganz gute Aktion. Es haben ja auch Politiker mitgemacht. Vor allem auch die Katrin Langensiepen, die ja selbst betroffen ist. Sie ist im Europaparlament und hat auch viele Beispiele gepostet wie sie’s erlebt hat. Das ist ganz ganz wichtig, dass wir lauter werden, dass wir sichtbarer werden, dass wir mehr Krawall machen, weil wir werden ja ständig nicht mitgedacht. Es wird über uns hinweg entschieden, man spricht über uns aber nicht mit uns und dass obwohl es schon seit Ewigkeiten eine Behindertenbewegung gibt, die dagegen kämpft, dass man uns dauernd übersieht und über uns hinweg entscheidet.
Also es ist so, als wäre nichts passiert in diesen ganzen Zeiten. Es interessiert nicht und jetzt kam es ja noch ganz dicke mit Corona, wo dann Behinderte einfach in den Heimen weggesperrt worden sind, damit sie dann keine Kontakte haben. Und der Spahn (Bundesminister für Gesundheit, Anm. d. Red.) haut noch so ein Gesetz raus, wo dann Beatmungspatienten gegen ihren Willen in Heime gebracht werden können. Also des ist schon krass, was hier wieder möglich ist in Deutschland und das gefällt mir gar nicht.
Ich befürchte halt auch, dass wir uns da stark zurückentwickeln, anstatt dass hier mal was vorwärts geht. Wir haben ja eigentlich die UN- Behindertenrechtskonvention und die wird ja noch so großartig gefeiert, so „juhu, schon über zehn Jahre Behindertenrechtskonvention“, und getan hat sich wenig. Eigentlich sind wir gerade eher rückschrittlich. Beim Treffen in Berlin mit dem Behindertenverband, da haben die auch ganz deutlich gesagt, sie haben jetzt jahrelang um ihre Rechte gekämpft, aber sie erleben derzeit, dass es eben auch rückschrittlich ist und dass man jetzt den Stand der Dinge erkämpfen muss, dass man den wenigstens erhalten kann. Also es bewegt sich nichts vorwärts, sondern wir müssen jetzt über den Stand der Dingen kämpfen, damit der so bleibt. Also die Verachtung Schwerbehinderter und psychisch kranker Menschen ist schon sehr stark.
Erleben sie das in ihrem Alltag dann auch so?
Ja. Ob das jetzt Passanten sind, die dir absichtlich in den Rolli rein rotzen oder ob zum Beispiel ein Begleiter – da hatte ich mal einen von der Pfennigparade, der hat mir dann beim Einkaufen den Spargel aus der Hand genommen und dann wieder zurück gelegt. Also wohl gemerkt es war mein Geld, mein Einkauf und es war eigentlich mein Spargel, den ich kaufen wollte, aber die sind das so gewohnt, dieses übergriffige Verhalten, dass ihnen das gar nicht mehr auffällt. Oder es kam eine in meine Wohnung und meinte: „Hä wie bist du denn heute angezogen?” (lacht) – Es ist meine Sache. Ich bin volljährig, ich darf mich selbst anziehen. Es ist krass, aber das sind jetzt nur so kleine Beispiele aber dieses Bevormunden, das ist in so vielen Leuten drin.
Es gibt aber auch die positiven Beispiele, die dann ganz freundlich ankommen und fragen: „Darf ich Ihnen helfen?”. Und dann sag ich: „Danke. Gerne“, also wenn es gebraucht ist, oder: „Danke. Das ist lieb von Ihnen, aber ich kann’s alleine.“ Aber es gibt eben auch diese hässlichen Menschen, die es immer so genießen, dass sie jemanden das nochmal reindrücken können.
Wenn sie jetzt in einer Position wären, Forderungen von Menschen mit Behinderungen umzusetzen, welche würden Sie denn dann als erstes umsetzen wollen?
Als erstes würde ich die UN Behindertenrechtskonvention umsetzen lassen. Das wäre nämlich schon so viel drin, was wir brauchen. Das wir selbst bestimmen können, wie unser Leben ist. Also wo wir wohnen, wie wir wohnen. Dass wir selbst entscheiden können, wer Zugriff auf unseren Körper hat. Also das wir nicht irgendwelchen unangenehmen Leuten Zugriff auf unsere intimsten Bereiche gewähren müssen.
Das hatte zum Beispiel Freundin von mir, die ist in einem Heim vergewaltigt worden von einem Pfleger und hat seitdem Panik, dass sie wieder ins Heim muss. Also die würde lieber im eigenen Bett verrecken, als dass sie noch mal ins Heim geht, weil sie wirklich schwer traumatisiert wurde durch diesen Vorfall.
Das klingt auf jeden Fall schonmal richtig schrecklich. Das muss man nochmal sacken lassen. Das ist nochmal eine ganz eigene Thematik.
Ja also da gibts viel Übergriffigkeiten. Auch mit diesen gesetzlichen Betreuern. Ich sag ja nicht, dass das keiner braucht und ich sag auch nicht, dass es in jedem Fall Unsinn ist. Aber es gibt auch Fälle, wo es nicht nötig wäre, wo dadurch auch das Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt ist. Gerade der Bezirk Oberbayern drängt sehr gern Leute in diese gesetzliche Betreuung, was also quasi auch eine Entmündigung ist. Das klingt jetzt halt ein bisschen harmlos und hat sowas von „Betreuung ist ja lieb nett und süß.“
Das ist es aber nicht, sondern es ist eine weitere Form der Bevormundung, wo den Leuten halt wieder das Selbstbestimmungsrecht entzogen wird, wo wieder sehr viel fremde Leute Mitspracherecht, oder vielleicht das große übergreifende Recht haben, auf dieses Leben einzuwirken. Wo dann auch die Finanzen bestimmt werden, Aufenthaltsort, alles wie sie Leben dürfen, dann von so einem Betreuer abhängt. Und das finde ich ganz, ganz ungut und da hab ich auch schon üble Geschichten gehört, wo dann auch Gelder verschwinden, die den Leuten gehören. Aber wie gesagt, das ist wieder ne zweischneidige Geschichte, die man so auf die Schnelle nicht ganz abhandeln kann.
Was da immer wieder mitschwappt, ist die Idee, dass man immer wieder versucht, Kosten einzusparen mit allen Mitteln und das ist schon schmerzhaft.
Ja, also zum Beispiel ein Fall, der war jetzt aber nicht in Bayern. Da war eine 19-Jährige und die sollte ins Altersheim, weil das günstiger ist. Sie war in einer Wohngemeinschaft, in der sie sich sehr wohl gefühlt hat und dann hat sich das Sozialamt ausgedacht: „Ah ne, die bringen wir jetzt da in dem Heim unter. Das spart uns viel Geld.“
Also was sie dem Mädchen da alles zerstören, die gerade irgendwie ihr Abitur machen will. Sie fühlte sich wohl in dieser WG, wo alles da ist was sie braucht, wo sie sich geliebt fühlt hat. Das Mädchen hat dann auch extreme Probleme bekommt in ihren schulischen Leistungen, weil sie psychisch völlig fertig ist, weil sie jetzt Jahre vor Gericht gehen muss. Es ist unfassbar, was da für eine psychische Gewalt ausgeübt wird und das ist ja jetzt nur ein Fall von Vielen.
Also ich kenn ganz viele Fälle, weil wir auch eine Selbsthilfegruppe haben, eben mit dem Thema “persönliches Budget”. Die habe ich damals gegründet, wie ich damals angelogen worden bin und eben nicht erfahren habe, was mir zusteht und so weiter. Dann habe ich eben das alles selbst herausfinden müssen, beziehungsweise über einen Freund aus dem Internet, der mir dann vom anderen Ende Deutschlands aus mitgeteilt hat, was mir eigentlich zusteht und was ich beantragen müsste.
Das sind halt so die Themen, die wirklich problematisch sind und ich kriege halt über diese Selbsthilfegruppe, da sind wir bald 3000 Leute, immer wieder mit, was die Leute kämpfen müssen bundesweit. Was sie für Probleme mit den Behörden haben. Dann freut man sich natürlich immer wieder, wenn es bei jemandem klappt, aber das sind dann halt auch wieder die Fälle, die seit Monaten kämpfen oder wo Anträge nicht bearbeitet werden, weil der Sachbearbeiter einfach mal wieder die Nase nicht leiden kann oder sonst was. Also es sind sehr viele demütigende Strukturen in dem ganzen drinnen.
Das hört sich an wie Strukturen, die eher für Behörden als für betroffene Menschen gemacht wurden.
Ja (lacht), ja.
Jetzt haben wir ja auch viel über Behörden gesprochen. Was kann man denn gesamtgesellschaftlich tun? Wie kann man denn Situationen von Menschen mit Behinderungen auf einer nicht-behördlichen Ebene verbessern?
Ich fände so eine Awareness-Kampagne mal dringend notwendig. Weil jetzt für Corona haben sie da mords-Werbespots rausgehauen zu: “Yay wir sind Helden. Juppidu, weil wir zuhause auf dem Sofa hocken bleiben.“ Man könnte ja mal eine tolle Kampagne machen, in der man erklärt, wofür manche Dinge wichtig sind, zum Beispiel jetzt die abgesenkte Gehsteige. Dass man die eben nicht zuparkt, weil sonst ein Rollifahrer den Gehsteig nicht mehr verlassen kann. Der muss vielleicht nochmal um den ganzen Block oder den ganzen Weg zurückfahren, weil er so nicht vom Gehsteig runterkommt. Es gibt so viele Sachen.
Oder jetzt zum Beispiel die Fahrräder, die an irgendwelche Verkehrsschildern festgemacht sind und dann kommt man oft gar nicht mehr um die Kurve, weil so ein Fahrrad im Weg ist. Das sind jetzt nur so kleine Beispiele. Aber wenn man einfach Behinderung mehr mitdenken würde und wenn es gegenwärtiger wäre. Wenn’s nicht diese ganzen Sonderwelten gäbe und dieses ausgesondert werden.
Wenn irgendwie jeder sagt: „Ja, ich kenne fünf Behinderte und die haben des und so und so.“ Das wäre ein ganz anderes Miteinander, aber so ist es ja so, dass eigentlich kaum jemand Kontakt hat und dass mir auch Nicht-behinderte sagen: „Ich kenn ja eigentlich gar keine Behinderten, ich weiß ja gar nicht wie ich mit denen umgehen soll.”- Ganz normal, wie du mit einem andere Menschen auch umgehst!
Und was wir auch oft erleben ist, dass über uns hinweg besprochen wird. Also zum Beispiel: Ich habe einen Assistenten dabei und bin irgendwo was weiß ich und dann wird mit dem Assistenten über mich gesprochen so: „Kann sie?”, oder “weiß sie?“. Also da wird dann nicht mehr mit mir gesprochen. Jetzt bin ich aber nicht blöd im Kopf.
Das hatte ich sogar mit einem Landtagsabgeordneten. Da hatte ich einen Termin im bayerischen Landtag – ich sag jetzt mal keine Namen – auf alle Fälle war ich dort eingeladen für ein Gespräch. Ich hab denen gesagt – ich mach jetzt mal Whistleblower hier ich erzähl euch was da läuft – Der Herr spricht dann mit meinem Assistenten, den ich an dem Tag mitgenommen hatte, weil es mir nicht gut ging. Ich hatte auch angekündigt, ich bringe meinen Assistenten mit, weil ich selbst einen wackeligen Zustand habe und es war aber ganz klar: Wir sprechen jetzt über bestimmte Themen und er hat einen Termin mit mir.
Ja und dann schaut der meinen Assistenten an und spricht mit meinem Assistenten, bis sich mein Assistent demonstrativ zurück gelehnt hat und sich aus dem Gespräch rausgenommen hat – also auch körperlich und dann ging das Gespräch wieder an mich zurück. Es ist schon ziemlich verrückt, das Ganze. Wie schnell man irgendwie als minderwertig betrachtet wird, nur weil man im Rollstuhl sitzt.
Also was mir noch auffällt ist, wenn ich das noch sagen kann, ist, dass diejenigen, die von Geburt an behindert sind, die sind dann auch schon dran gewöhnt, dass sie immer gedemütigt werden. Also denen wird das von Geburt an beigebracht: „Ja du bist weniger wert“, oder “ja du bist ja nicht so wie die andern”. Also dieses Ausgrenzen ist von Anfang an. Und dann gibts natürlich diejenigen, die später eine Behinderung bekommen und da ist es dann so, dass es einem sehr stark ausfällt. So diese Voher-Nachher-Welt. Also zu dieser Gruppe gehöre auch ich. Also ich war nicht immer behindert und ich habe gestaunt, im Vergleich wie sich die Welt verändert, im Respekt, der einem entgegen gebracht wird, wenn man jetzt behindert ist, im Vergleich zu vorher. Also das sind Welten dazwischen.
Und die anderen sind halt schon gewöhnt, dass sie sich so in aller Demut irgendwie fortbewegen und hoffe das sie irgendwie durchkommen wenn sie lieb und freundlich sind. Sie trauen sich oft auch nicht sagen was ist. Also gemurrt wird heimlich aber möglichst nicht öffentlich, weil sie Angst haben, dass sie dann halt wieder irgendwie abgestraft werden von irgendeinem Sachbearbeiter. Das ist schon bitter.
Umso wichtiger, dass sie als Querulantin da voranschreiten und die Stimme für so Viele erheben. Wirklich großartig. Dann bedanken wir uns für das Gespräch.
Gerne, tschüss.