M94.5 Filmkritik
A Rainy Day in New York
Kam das schon einmal vor: Dass US-Kritiker*innen für einen amerikanischen Film nach Europa reisen mussten, um dessen Kinostart zu erleben? Bei A Rainy Day in New York, der neuen Romantik-Komödie von Woody Allen, war genau das der Fall. Nachdem zuletzt erneute Missbrauchsvorwürfe gegen den Regisseur laut geworden waren, hatte Allens Verleih die Zusammenarbeit und damit den US-Kinostart aufgekündigt. In Europa scheint der 84-Jährige aber den Status einer Persona Non Grata erreicht zu haben – hier hat A Rainy Day in New York in zahlreichen Ländern Verleihe gefunden. Was taugt ein Film, dessen Erscheinen schon im Vorfeld derart heiß diskutiert wurde?
Extrem weiches, extrem goldenes Licht fällt auf Elle Fannings Gesicht. Es regnet. Jazz-Musik erklingt. Der Zuschauer fühlt sich aus der Zeit gefallen, abgeholt, in eine warme Decke gepackt. Es könnte einer dieser Woody-Allen-Kinoabende sein, wie sie in den inzwischen 50 Arbeitsjahren des Regisseurs zur jährlichen Gewohnheit geworden sind.
Dieses Mal sind es jüngere Darsteller*innen, die das typische Allen-Szenario bevölkern: Timothée Chalamet, Selena Gomez, Elle Fanning – Namen, die einen vollen Kinosaal und ein frisches, junges Publikum versprechen. Und genau die drei Darsteller*innen, die sich neben anderen Mitwirkenden des Films von Woody Allen distanziert und ihre Gagen gespendet haben. Doch lassen wir es wenigstens auf den Versuch ankommen, die Skandale vor der Kinosaaltür zu lassen und Werk und Autor wenigstens für die Länge einer Kritik zu trennen. Worum geht es denn überhaupt in A Rainy Day in New York?
Eigentlich um genau das, was der Filmtitel verspricht. Der College-Student Gatsby Wells verbringt mit seiner Freundin Ashleigh ein Wochenende in Manhattan, da diese ein Interview mit einem wichtigen Regisseur für ihre Collegezeitung ergattern konnte. Während Ashleigh zu ihrem Interview aufbricht, schlendert Gatsby durch die Straßen von New York und trifft auf alte Bekannte und verflossene Liebschaften. Aber auch für Ashleigh bleibt es nicht nur bei der Begegnung mit einem Regisseur. Sie trifft außerdem noch auf dessen Manager und einen berühmten Schauspieler – allesamt ältere Männer, die die junge, naive Studentin absolut anbetungswürdig finden. Und dann fängt es auch noch an zu regnen…
Darstellung: Top, Story: Flop
Timothée Chalamet gibt in diesem Szenario den männlichen Hauptcharakter. In einem zu großen braunen Tweed-Sakko und mit Zigarettenspitze wirkt er wie das leibhaftig gewordene Alter Ego von Woody Allen selbst. Und dann heißt der Junge auch noch Gatsby! Wie aus der Zeit gefallen und weltfremd wirkt auch dieser Gatsby, der typische melancholische Chalamet-Schlafzimmer-Blick fügt sich in dieses Rollenbild perfekt ein. Wie zuletzt Owen Wilson in Midnight in Paris und zuvor zahlreiche andere Allen-Hauptfiguren ist er der verloren gegangene Flaneur und Stadtneurotiker, der ziellos durch die Straßen von New York streift.
Entlarvendes Frauenbild
Elle Fanning spielt Chalamets weiblichen Gegenpart. Großäugig und mit schrecklich schlechtsitzenden College-Girl-Klamotten spielt sie die Rolle der Ashleigh mit fast schon schmerzhafter Naivität und Überdrehtheit. Aber so viel steht fest: Elle Fanning macht das großartig, kein Papier passt zwischen sie und ihre Rolle. Das Rollenbild, das Woody Allen Fanning für diesen Film zurechtgezimmert hat, ist das, was unangenehm ist. Er lässt Ashleigh fragen, ob jemals ein Pulitzer-Preis für einen Artikel in einer Collegezeitung vergeben wurde, und sie erzählen, dass sie von sexueller Erregtheit einen nervösen Schluckauf bekommt. Da kann Ashleigh noch so sehr die Triebfeder der Handlung sein, der ihr Freund Gatsby durch die ganze Stadt hinterher hechtet. Diese Charakterzeichnung entlarvt dann wohl doch Allens Frauenbild.
Filmischer Städtetrip
Einen weiteren Vorwurf kann Woody Allen mit A Rainy Day in New York wohl eher nicht aus dem Weg räumen: Nämlich den, er würde immer wieder die gleichen Filme drehen. Denn letztlich ist der neue Film auch nur wieder eine Erzählung über einen Stadtneurotiker, der als verkanntes Genie und glückloser Frauenschwarm durch die Gegend streift. Dass er seinen jungen, selbstbewussten Hauptdarstellerinnen keine emanzipierteren Charaktere zugedacht hat, enttäuscht zusätzlich. Dennoch setzt Allen eine Protagonistin so gelungen in Szene, dass jedes Zuschauer-Herz sehnsuchtsvoll schmerzt: die Stadt New York.
Ob London, Barcelona, Rom oder Paris – Woody Allen hat es schon immer verstanden, seine Filme in wundervolle kleine Städtereisen zu verwandeln. Und auch nach A Rainy Day in New York möchte man nichts lieber, als an einem regnerischen Tag mit einem roten Regenschirm durch die Häuserschluchten von New York zu laufen. Dieses Gefühl tröstet dann doch darüber hinweg, dass der Film sonst nicht viel Neues zu erzählen hat. Wer Werk und Autor gut zu trennen vermag, kann mit A Rainy Day in New York vielleicht also tatsächlich die unbeschwerte Romantik-Komödie erleben, als die sie eigentlich in die Kinos kommen sollte.
A Rainy Day in New York läuft ab dem 05.12. in den deutschen Kinos.