KOMMENTAR

“Sie wollte es doch auch!” – Gewalt-Romantik auf Social Media

/ / Bildquelle: M94.5

Seit Anfang dieses Jahres begeistert das Remake des Films Nosferatu die Gothic-Horror-Fans. Besonders auf TikTok und Instagram ist die Resonanz größtenteils positiv. Fast zu positiv, könnte man meinen. Aber nicht etwa aufgrund schlechter Qualität des Films. Tatsächlich ist es ein wahnsinnig atmosphärischer Horrorfilm, der allein durch die Ästhetik und Schauspielerleistung begeistert – und die Versprechungen des Horror-Genres eben erfüllt.  
Nein, das Problem liegt bei den User:innen der Social Media-Plattformen. Denn dort finden sich Äußerungen, die das Verhältnis von Ellen und dem Untoten Count Orlok romantisieren. Dort ist immer wieder die Rede von der lustvollen und vor allem gegenseitigen Anziehung der beiden. Sie “lusten” füreinander. Und darüber “lusten” die User:innen.  
Alarmierend, wenn man sich vor Augen führt, woher diese “Lust” Ellens eigentlich kommt. Im Verlauf des Films wird klar: Ellen hat den Count zwar gerufen – allerdings aus Einsamkeit und irgendwie aus Versehen. Und eigentlich war er am Anfang ja auch ziemlich nett, wie sie selbst erklärt. Dann kommt es aber zu einer Art sexuellen Übergriff und plötzlich ist sie besessen von ihm, wie von einem Dämon. Sie schlafwandelt, wird heimgesucht und hat Anfälle, die man eher aus Exorzismen kennt, während sie diese “Lust” verspürt. ‘Consensual’ kann man das kaum nennen.  

Dein Körper gegen Dich

Und genau an dieser Stelle fehlt die kritische Auseinandersetzung auf Social Media. Für tatsächliche Opfer sexualisierter Gewalt ist das wie ein Schlag ins Gesicht, wenn unfreiwillige körperliche Reaktionen als Zustimmung verherrlicht werden. Auch bei Vergewaltigungen kommt es häufig zu einer Täter-Opfer-Umkehr aufgrund ebendieser körperlichen Reaktionen. “Sie wollte es doch”, heißt es so schlimm. Dabei passieren sie völlig automatisch. Der menschliche Körper ist biologisch so konzipiert. Und dennoch: Für Opfer sind sie mit tiefgehendem Scham- und Schuldgefühl verbunden.  

Die Booktok-Kontroverse 

Nun erinnert diese Diskussion stark an die kontroversen Bücher des Dark Romance Genres. Auch dort werden toxische Beziehungen und Gewalt romantisiert, bis hin zu Stalking und Vergewaltigung. Das Übliche eben. Trotzdem wächst die Zahl der Frauen, die diese Bücher konsumieren stetig. Die Schattenseiten der menschlichen Psyche sind für viele reizvoll. Vielleicht indem man die Kontrolle abgibt oder das Objekt der Begierde wird – in einer Intensität, die im echten Leben undenkbar wäre. Der Unterschied von Fantasie und Realität ist hier der entscheidende Punkt, denn die meisten Leser:innen sind sich im Klaren darüber, dass eine Vergewaltigung im echten Leben nichts Schönes ist. Aber diesen mentalen Schritt muss man eben gehen. Und im echten Leben auch benennen.  
Bei Dark Romance Büchern ist einerseits einfach das Problem, dass sie im Grunde Gewaltpornos ohne Altersbeschränkung sind. Zumindest bei jüngeren Konsument:innen lässt sich also nicht sagen, wie stark sie sich von Booktok-Content beeinflussen lassen und wie kritisch die Einordnung dann sein kann.  

Bitternötige Reflexion

Letztendlich ist ein Unterschied aber ziemlich klar: Dark Romance soll romantisch sein. Wenn dies gut gemacht ist, kann das für Leser:innen ein Ventil sein, sexuellen Fantasien nachzugehen, ohne sich in Gefahrensituationen zu begeben. Dennoch muss aber schleunigst eine Altersbeschränkung her, und Prävention betrieben werden um vor allem junge Leser:innen zu unterstützen.  
Nosferatu wiederum soll in erster Linie ein Horrorfilm sein – keine Romanze. Die Romantisierung des Films auf Social Media ist insbesondere problematisch, wenn keine kritische Einordnung erfolgt und Zuschauer:innen mit völlig verklärten Erwartungen den Kinosaal betreten. Und solange noch jede dritte Frau mindestes einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen ist, ist diese kritische Einordnung – vor allem auf Social Media – immer noch bitternötig.