Offener Laptop ©thomweerd, unsplash.com

Digitale Gewalt gegen Frauen

Hinterhältiger Angriff im Netz

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Im Internet nimmt der Hass und die gezielte Gewalt gegen Frauen in Deutschland rasant zu. Ein Hauptgrund sind die sozialen Medien. Zumindest die Debatte über “digitale Gewalt” verändert sich, wenn auch nur langsam.  

Ein Beitrag von Anna Jennison, Maxim Nägele 

Das Bundeslagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023“ hätte die deutschen Schlagzeilen der verganenen Monate füllen können, wäre es nicht von den Krisen der Innenpolitik überschattet worden. Dabei sind die Ergebnisse dieses Berichts, der im November 2024 vom Bundeskriminalamt (BKA), dem Bundesinnenministerium und dem Bundesfamilienministerium veröffentlicht wurde, alles andere als nebensächlich: Alle Arten der frauenfeindlichen Straftaten in Deutschland nehmen zu. Durch zunehmende häusliche Gewalt, sexuelle Nötigung und Femizide ist der private wie der öffentliche Raum für Frauen hierzulande erneut gefährlicher geworden. Doch es gibt noch einen anderen Bereich, in dem sich misogyner Hass und Gewalt immer weiter ausbreiten: das Internet. Von sogenannter “digitaler Gewalt” waren im vergangenen Jahr 17.193 Frauen betroffen, das sind 25 Prozent mehr als im Jahr zuvor.  

Was genau bedeutet “digitale Gewalt”?

Laut dem Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) sind Menschen von digitaler Gewalt betroffen, wenn sie durch Smartphones, soziale Medien und andere technische Mittel gezielt bedroht, beleidigt oder angegriffen werden. Entscheidend ist bei den meisten Fällen digitaler Gewalt, dass sie geschlechtsspezifisch ist. Denn laut dem Bundeslagebild waren 2023 fast zwei Drittel aller Betroffenen von digitaler Gewalt weiblich. Katja Grieger, Geschäftsführerin des bff, erzählt, dass es dabei häufig um Überwachung der Partnerin gehe, durch Spy Apps oder Smart Home Technologien. Digitale Gewalt äußere sich ebenfalls durch digitale Erpressung, wenn zum Beispiel mit dem Verbreiten von nicht einverständlich gemachten Aufnahmen gedroht werde. Das BKA benennt in seinem Bericht auch “Cybergrooming”, die gezielte Manipulation Minderjähriger für sexuelle Kontakte, als Teil der digitalen Gewalt im Land. 

“Analoge und digitale Gewalt sind in vielen Fällen kaum zu trennen”

Durch diese Entwicklung verlagern sich physische Angriffe gegen Frauen jedoch keineswegs in den kontaktlosen digitalen Raum. Laut Grieger vereinfacht und verstärkt digitale Gewalt häufig physische Gewalt, durch Cyberstalking in gewaltbereiten Beziehungen oder Ex-Partnerschaften zum Beispiel. “Analoge und digitale Gewalt sind in vielen Fällen eigentlich kaum noch zu trennen” sagt sie. 

Auch für Betroffene sei es teilweise schwer, zwischen den verschiedenen Gewaltformen zu unterscheiden. Katja Grieger erzählt, dass Gewaltbetroffene oft erst im Gespräch mit den Beratungsstellen merken würden, dass sie nicht nur physische, sondern auch digitale Gewalt erfahren haben. Mittlerweile gebe es in den Beratungsstellen des bff kaum noch Fälle ohne Aspekte der digitalen Gewalt.  

Eine Studie der gemeinnützigen Organisation HateAid über digitale Gewalt bei 18- bis 28-Jährigen zeigt, dass die Wahrnehmung von Gewalt im Netz bei vielen dennoch fehlt. Mehr als die Hälfte der befragten Männer und fast 80 Prozent der Frauen, die von digitaler Gewalt betroffen waren, haben sich keine Hilfe bei einer Beratungsstelle geholt.  

Aus der radikalen Filterblase wird ein festes Gehäuse 

Dass die digitale Gewalt gegen Frauen im Netz zunimmt, ist keine plötzliche Entwicklung, sondern das schleichende Symptom einer digitalisierten Gesellschaft, in der soziale Medien eine unersetzbare und meinungsbildende Rolle eingenommen haben. Durch zielgerichtete Algorithmen werden den Nutzer:innen von Social Media die Inhalte einer bestimmten politischen und kulturellen Position gezeigt: Es entsteht die bekannte Filterblase. Doch wenn dieser zielgerichtete Content frauenverachtend und hasserfüllt ist, dann kann diese Blase zu einem festen Gehäuse mit einem radikalen Weltbild und einer geschlossenen Community werden. Laut einer Recherche der Dublin City University aus dem letzten Jahr bekommt ein neu erstellter TikTok-Account eines Mannes innerhalb von 30 Minuten toxische oder frauenfeindliche Beiträge angezeigt.  

Veronika Kracher
Bild: Dennis Pesch, Ventil Verlag

„Digitale Sub-Kulturen radikalisieren sich in geschlossenen Räumen, meist in Foren, Telegram-Gruppen oder Discord Servern, in denen zuerst aus Provokation und dann aus Dominanzverhalten immer radikalere Positionen vertreten werden“, erklärt Veronika Kracher. Als Autorin und Journalistin beschäftigt sie sich seit Jahren mit digitalem Frauenhass, Incel-Foren und Online-Radikalisierung. Frauenhass hätte sich zwar nicht erst durch das Internet schnell verbreitet, aber durch Online-Plattformen würden misogyne Inhalte leichter zugänglich gemacht und niedrigschwelliger vermittelt werden.  

Pipelines von Hobby Content zu Antifeminismus  

In ihren Recherchen zu radikalen Subkulturen findet Kracher antifeministische Botschaften und radikale Communities nicht nur auf nischigen Reddit- oder Discord Servern, sondern auch auf den größten Social Media Kanälen: “Auch auf YouTube gibt es eine relativ schnelle Pipeline von regulären Gaming Hobby Videos bis hin zu antifeministischem Content. Wir müssen darüber reden, dass populäre Content Creator wie Montana Black oder Kuchen TV bei jungen Männern regelmäßig mit frauenfeindlichen Inhalten kokettieren oder die ganz offen verbreiten”. Kracher meint, dass diese antifeministischen Tendenzen auch die Gewaltbereitschaft von Usern im Netz erhöhen würden.  

Wie sehr deckt das Bundeslagebild die Realität ab?  

So deutlich wie die Zahlen des BKA über digitale Gewalt gegen Frauen auch sprechen, die tatsächliche Lage für Frauen im Internet könnte noch bedrohlicher sein. Denn die Zahlen des BKA decken nur das sogenannte Hellfeld ab, also den messbaren Bereich an Gewaltvorfällen. Die Geschäftsführerin des bff Katja Grieger  glaubt, dass es deswegen eine spürbare Lücke in den aktuellen Zahlen gebe: “Wir können davon ausgehen, dass gerade die Zahlen digitaler Gewalttaten auch im tatsächlichen Dunkelfeld ansteigen, weil die digitale Welt einen immer größeren Stellenwert in unser aller Leben bekommt und dementsprechend auch die Gewalt darin.” 

Langsame Fortschritte beim Umgang mit digitaler Gewalt  

Trotz der hohen Fallzahlen digitaler Gewalt in Deutschland gibt es auch gewisse Fortschritte zu verzeichnen. Grieger erinnert sich, wie ihr Verband vor circa 10 Jahren den Begriff digitale Gewalt in ihre Arbeit integrierte und die allermeisten Menschen davon irritiert gewesen seien. Mittlerweile gäbe es ein offeneres Sprechen in der Gesellschaft über digitale Gewalt und Übergriffe im digitalen Raum. Auch die Ermittlungsbehörden, meinen Grieger und Kracher, hätten sich beim Thema digitaler Gewalt langsam mehr sensibilisiert. 

Um der digitalen Gewalt gegen Frauen entgegenzuwirken, arbeitet das Bundeskriminalamt gemeinsam mit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main – Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) an einem Projekt zur „Bekämpfung der Frauenfeindlichkeit im Internet”. Marion Denny ist Oberstaatsanwältin bei der ZIT. Sie sagt, dass eine vernetzte Zusammenarbeit verschiedener Organisationen entscheidend sei, um digitale Gewalt präventiv zu bekämpfen.  

Eine derartige Vernetzung gegen digitale Gewalt entwickelt sich gerade auf europäischer Ebene. Anfang des Jahres hat die EU mit dem “Digital Services Act” ein Gesetz beschlossen, das Social Media Kanäle verpflichten soll, Hassrede und illegale Inhalte schneller zu entfernen und mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Letztlich sollen dadurch die Grundrechte der User:innen in Zukunft besser geschützt werden. Doch es gibt bereits Widerstand gegen das Gesetz, vor allem von der Plattform X und ihrem Chef Elon Musk, der sich seit Monaten mit den Behörden über die strengere Regelung streitet.  

Umdenken für eine sichere digitale Zukunft  

Dass sich digitale Konzerne noch immer gegen einen umfangreichen Schutz vor digitaler Gewalt wehren, erklärt sich Katja Grieger damit, dass man mit Hass und Hetze im Netz noch immer viele Clicks und Geld verdienen könne. Sie fordert ein größeres Umdenken darüber, welchen Auftrag die Sozialen Medien erfüllen sollten: “Das ist ähnlich wie bei einem Chemiekonzern, der auch genaustens prüfen muss, dass seine Fabrik ordentlich und sicher gebaut wurde. Diese Pflicht zur Risikoabschätzung brauchen auch digitale Unternehmen”.  

Oberstaatsanwältin Denny meint, man müsse die Beratungs- und Hilfeleistungen zugänglicher machen, mit denen Inhalte im Netz gelöscht werden können, um bei den Betroffenen eine Selbstermächtigung zu fördern. Veronika Kracher sieht auch die Gesellschaft in der Verantwortung, die aufmerksamer mit Hass und Gewalt in ihrer digitalen Umgebung umgehen müsse. Schließlich besteht auch der digitale Raum aus einer zivilen Gemeinschaft, die rote Linien ziehen und andere in Schutz nehmen kann.