M94.5 Serienkritik

Wir leben in Kurzgeschichten

/ / Quelle: Netflix

Warum die neue Netflix-Serie “Love, Death & Robots” so zeitgemäß ist und was Zahnärzte damit zu tun haben.

David Fincher und Tim Miller sind ein bisschen wie Zahnärzte. Nicht weil sie weiß und männlich sind, sondern vor allem, weil sie gerne bohren und dabei ziemlich nah am Zahn der Zeit liegen. Das klingt wie eine plumpe Metapher? Ist es auch – Ich bin mir aber sicher, die beiden Regisseure/Produzenten würden Gefallen daran finden, denn auch sie scheinen eine Vorliebe für kurze plakative Metaphern  und Spielereien entwickelt zu haben. Das ist aber nicht zwingend negativ gemeint.

Bunt und Skrupellos

Ihre Serie Love, Death & Robots, der neue Star am Netflix-Himmel, spielt mit den filmischen Möglichkeiten unserer Zeit und packt 18 ausgefallene Ideen in 18 unterschiedliche Ästhetik-Pakete.

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Bunt, vielfältig, brutal, skurril: Der Trailer zur ersten Staffel von Love, Death & Robots.

Produzent David Fincher (Se7en, Fight Cub, The Social Network, Gone Girl, um nur einige zu nennen)  und Regisseur Tim Miller (Deadpool) inszenieren 18 schreiende und hemmungslose Science-Fiction-Dystopien, die mit unseren Erwartungen spielen und Klischees brechen. Schreiend nicht nur wegen der schreienden Farbvielfalt der komplett unterschiedlich designeten Episoden, auch thematisch treffen kontrastreiche Szenarien aufeinander.

Von Hitler bis zum Joghurt

In seinen fünf- bis fünfzehn-minütigen Episoden jongliert Love, Death & Robots mit skrupellosen, emotionalen oder unterhaltsamen Einzelsequenzen und  schockt so nicht nur mit extremen optischen, sondern auch thematischen Brüchen. Jede Folge stammt dabei aus einer anderen Feder. So treffen unterhaltsam absurde Kurzfilme wie When the Yoghurt Took Over (ein mutierter Joghurt will die Weltmacht) auf die tabulose Thematisierung von Sex und Gewalt. Die Altersfreigabe ab 18 ist hier durchaus berechtigt.

Ein Ausschnitt aus den vielfältigen Animationsstilen (Quelle: Netflix)

In der ersten Episode sind wir noch in einer düsteren Science-Fiction-Welt, die einem Online-Spiel entsprungen zu sein scheint. In der zweiten erleben wir dann drei junge Roboter, die in einer unterhaltsamen Sightseeing-Tour durch die post-apokalyptischen Überreste menschlichen Lebens schlendern und sich an deren Wundersamkeit belustigen – in bunten fröhlichen Farben und Animationen, versteht sich. Eine Folge, in der Hitler komödiantisch auf sieben verschiedene Arten umgebracht wird (Alternative Histories), oder eine Pixaresque animierte Farmer-Familie, die in roboterartigen Kampfmaschinen gegen eine Invasion von Alien-Insekten kämpfen (Suits), reihen sich in diese absurde Themenvielfalt.

So unterschiedlich die einzelnen Folgen aber auch sind, schaffen sie gleichzeitig doch eine übergreifende Kongruenz und Kontinuität: Alle Folgen porträtieren auf ihre Art und Weise eine fantasievolle, oft surreale Dystopie, die durch Originalität und Kurzlebigkeit besticht. Thematisch wird sich querbeet mit Gentechnik, Geschlechter- und Rollenklischees, Digitalisierung und Umweltkatastrophen beschäftigt… eben alles, was zur Apokalypse so dazugehört. So sind am Ende alle 18 Kurzgeschichten anders geformt, aber irgendwo trotzdem Teil desselben Gebisses.

Warum nur 10 Minuten?

Der Aufbau in Kurzfilme ist definitiv kreativ umgesetzt. Erst in seinem Gesamtkonzept funktioniert die Serie dann aber so richtig. Nur als Ganzes schafft sie es, ein treffendes Portrait unserer schnelllebigen, quasi auf den Abgrund zulaufenden Gesellschaft zu zeichnen. Nicht allein, weil sie uns vor den Abgründen unserer Zukunft warnt. Sie scheint auch mit unserer eigenen Kurzlebigkeit zu spielen.

Die fängt schließlich schon bei unserem Filmkonsum selbst an, dessen Geduld unsere geringe Aufmerksamkeitspanne regelmäßig auf die Probe stellt: Wie oft schalten wir sofort zur nächsten Serie, wenn uns die erste Folge nicht in den ersten sechs Minuten “abholt”? Während uns das Internet für alles eine schnelle und einfache Antwort liefert, erwarten wir das auch von unserer Zukunft… und von unseren Serien. Schnelles Entertainment, Sex, Gewalt und Drama: alles auf einem Haufen bitte! Da sind die zehn-minütigen Serien-Episoden wie gemacht für uns.

Millennial Approved

Uns, das ist eine immer erreichbare und im Moment lebende Millennial-Generation. Schneller und einfacher soll alles sein, bitte auch effizienter, kompakt und praktisch und natürlich immer gut gekleidet. Wir sparen nicht mehr und die Träume, die wir bauen, sind oft selbst Kurzgeschichten und keine Feature-Filme oder Blockbuster mehr. Dating Apps haben uns längst bewiesen, dass unsereins keine langfristigen Kompromisse mehr anstrebt, sondern sich lieber an den unendlichen Möglichkeiten des Hier und Jetzt labt. Mit Filmen und Serien gehen wir aber kaum weniger wahllos und oberflächlich um.

Der Yoghurt, der die Weltherrschaft übernehmen wird (Quelle: Netflix)

Dass das unweigerlich einen natürlichen Untergang dieser Welt und unserer Zukunft anklingen lässt, passt ja eigentlich ganz gut: Wenn die Welt sowieso in einer Dystopie endet, warum dann noch groß an Langfristigkeit aufhängen? Dystopien scheinen hier die einzig mögliche Antwort. Genau wie Kurzgeschichten.

Alles auf einmal Bitte!

Love, Death & and Robots scheint den Schock, die Sensation und Emotionen eines ganzen Films in die kreativ verwinkelten Einzelfolgen zu komprimieren. 

In dieser Kurz- oder Schnelllebigkeit unserer “Yolo”-Gesellschaft sind Kurzgeschichten ein wenig die Geschichten unserer Zeit. Auch wenn sie immer schon viel Bedeutungsschwere und Interpretationsspielraum in wenig Seiten auf den Punkt gebracht haben, sollten wir ihre Treffsicherheit zwar genießen, uns vielleicht aber trotzdem auch ab und zu Zeit für einen langen Film oder ein gutes Buch nehmen. 

Ich bin mir sicher, dass das auch in Millers und Finchers Sinne ist, die schließlich fest darauf bauen, dass wir uns nicht nur die einzelnen Folgen ihrer Serie ansehen, sondern alle: Nur so entfaltet sich das ganze Potential und die Vielfalt dieser sehr ungewöhnlichen Netflix-Produktion.

Zeit zum Zahnarzt zu gehen…

Horror, Grusel und Gewalt sind auch dabei (Quelle: Netflix)

So ist die Serie nicht nur schockend, kurzweilig und unterhaltsam, sie schafft es auch, in ihrer Gesamtheit so etwas wie Tiefe anzustreben. Letztendlich trifft sie eben den Zahn unserer Zeit und zwar schon auch da, wo’s weh tut. Die 18 Geschichten stochern tief im Mundraum gesellschaftlicher Ängste und Klischees: zwischen den Zuckerablagerungen und glänzenden Kronen, direkt in die dunklen Ecken eben. 

Und das war’s jetzt mit den platten Metaphern.