Kommentar

FDP-Wahlkampf auf Kosten der sozial Schwachen

/ / Foto: M94.5/Sebastian Bergsteiner

Zwölf Punkte hat die FDP vergangenes Wochenende vorgestellt, mit der sie vor dem Parteitag und der Europawahl ihr liberales Profil schärfen möchte. Viele kritisieren: Die Partei trägt ihren Wahlkampf auf dem Rücken der Schwächsten aus. Findet auch Sophie Nagl. Ein Kommentar: 

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Bürokratieabbau, Wirtschaftsförderung und Kürzung von Sozialleistungen – das sind die zentralen Ziele des 12-Punkte-Papiers, das die FDP am Wochenende veröffentlicht hat. Ihre Vorschläge wären mit den Grünen und der SPD wohl kaum umsetzbar und so diskutiert das politische Berlin mal wieder, ob die Ampelkoalition noch eine Zukunft hat. Dabei wird der Inhalt des Papiers an den Rand der Diskussion gedrängt. 

Insgesamt zeigt das Papier, dass die FDP im Wahlkampf vorrangig um Wählerstimmen der Arbeitgeber:innen bemüht ist. Das wäre an sich nicht verwunderlich und auch nicht verwerflich. Zumal liberale Parteien tendenziell eher Gutverdienende ansprechen. Allerdings tragen die Freien Demokraten ihren Wahlkampf auf dem Rücken der Schwächsten der Gesellschaft aus. Denn: Die FDP schlägt unter anderem Kürzungen beim Bürgergeld vor, wenn die Annahme von zumutbaren Jobs verweigert wird. Außerdem würde sie die Rente mit 63 gerne abschaffen, um “Arbeitsanreize für Ältere Menschen” zu schaffen.

WER UNTERSTÜTZT SO EINEN VORSCHLAG?

Vermutlich eine Person, die zum Beispiel Martin heißt. Martin ist 45, VWL-Abschluss und heute selbstständig mit einem Mittelständischen Unternehmen, der nicht einsieht die “Sozialschmarotzer” dieses Landes durchzufüttern.   

Nur, dass die wenigsten Martins sich vermutlich je mit der Lebensrealität der “auf Bürgergeld angewiesenen Personen” auseinandergesetzt haben. Denn das Gegenstück zu Martin ist nicht nur der auf der Couch liegende Alkoholiker, den man sich vielleicht vorstellt. Sondern Janina, 37, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit an ihrem Traumkleid vorbeiläuft und wegschaut, weil die Kleinste neue Winterschuhe braucht. 

Die meisten Personen im Sozialleistungsbezug sind, laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales, entweder arbeitsunfähig zum Beispiel wegen chronischer Krankheiten oder bekommen Bürgergeld, weil das eigene Gehalt nicht reicht, um die Lebenshaltungskosten zu bezahlen. Doch auch sie sind betroffen, wenn von “Arbeitsverweigerern” gesprochen wird. Das damit verbundene Stigma bekommen sie genauso zu spüren. Das zeigen Befragungen der Betroffenen.

WER SPÜRT DEN VERZICHT ZUERST?

Auch den Verzicht auf neue Sozialleistungen für die nächsten drei Jahre, wie die FDP ihn vorschlägt, würden natürlich die Menschen zuerst spüren, die davon abhängig sind und nicht die privilegierte “Mittelschicht”.  Für diesen Vorschlag muss man in der Lage sein, zu verdrängen, dass die Gruppe der Armutsbetroffenen, laut Statista, seit Jahren immer größer wird. Jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut betroffen. Zu diesem Ergebnis kam der Kinderreport Deutschland des Deutschen Kinderhilfswerks vergangenes Jahr. Wer sich auch nur ein kleines bisschen für Politik interessiert, kann diesen Satz mittlerweile nicht mehr hören. Aber bei den Freien Demokraten scheint er links rein und rechts wieder raus geflogen zu sein.   

Kinder aus einkommensschwächeren Haushalten brechen, laut der Bertelsmann Stiftung überdurchschnittlich häufig die Schule oder die Ausbildung ab. Und das steht langfristigem wirtschaftlichen Wachstum mindestens genauso im Weg, wie bürokratische Hürden.   

Am Ende müssen wir – auch die FDP – uns die Frage stellen: Was ist teurer? Was kostet uns am Ende wirklich mehr?  Ein funktionierender Sozialstaat oder kurzfristiger wirtschaftlicher Profit?