Vegane Ernährung
Männlichkeitsbilder im Veganismus
Mehr als 70 Prozent aller Veganer:innen sind weiblich – das ergab eine Umfrage des “Fleischatlas” aus dem Jahr 2022. Zurückzuführen sind diese Werte unter anderem auf feste Stereotype, die mit der veganen Ernährung und den Geschlechterrollen verbunden sind.
Um das Thema “Veganismus” schwirren unglaublich viele Klischees und Vorurteile. Eins davon: “Richtige, starke Männer” könnten nicht vegan sein – auf Fleisch zu verzichten sei nämlich nicht männlich genug. Jonatan Leer ist Dozent an der Absalon Hochschule in Dänemark. Er untersucht unter anderem das Essverhalten im Hinblick auf das Geschlecht. Laut ihm können diese Klischees durchaus aus früheren Zeiten stammen – wie beispielsweise aus der Steinzeit.
Aber nicht nur durch die Steinzeit ist diese Verbindung zwischen Männlichkeit und dem Verzehr von Fleisch entstanden. In der Industrialisierung war eine Sichtweise ganz präsent: Die Arbeiter bräuchten Fleisch für den Muskelaufbau. Ohne dieses Fleisch wären sie angeblich nicht der Lage, effizient zu arbeiten.
Das ein Muskelaufbau auch ohne tierische Produkte möglich ist, wurde inzwischen schon durch mehrere Studien bewiesen. Aber nicht nur die Untersuchungen können das zeigen: Der lebende Beweis dafür, dass Kraftsport und vegane Ernährung vereinbar sind, ist der Kraftsportler Patrik Baboumian.
2011 stieg er von vegetarischer auf vegane Ernährung um – und erlangte außerdem im selben Jahr den Titel des “stärksten Mannes Deutschlands”. Auch er machte viele negativen Erfahrungen im Umfeld des Kraftsports, als er sich dazu entschied, nicht nur vegetarisch zu leben, sondern vollständig auf tierische Produkte zu verzichten. Kollegen, zu denen er davor ein positives Verhältnis hatte, änderten ihre Umgangsweise mit ihm. Zum Teil wurde auch hinter seinem Rücken über ihn geredet – und das nur, weil er vegan war. Patrik Baboumian stand aber weiterhin zu seiner Lebensweise. Mehr als das: Er wurde direkter Aktivist. Seine Position als “stärkster Mann Deutschlands” half ihm damals dabei, sich aktiv für diese Ernährungsweise einzusetzen.
Der Kraftsportler selbst verkörpert nämlich so ziemlich alles, was dem stereotypischen Männlichkeitsbild entspricht. Dadurch erfährt er außerhalb des Kraftsport-Umfelds so gut wie keinen Hass für seine vegane Ernährung. Im Gegenteil: Der Veganer bekommt meistens Zuspruch.
Auch wenn ihn selbst das Absprechen der eigenen Maskulinität aufgrund von veganer Ernährung nicht erreicht, bekommt er es sehr wohl von anderen Männern mit. Männern, die vielleicht nicht komplett der typisch maskulinen Geschlechterrolle entsprechen wie Patrik Baboumian. Es gibt ein sehr festes Bild von Männlichkeit, und da passt Veganismus offensichtlich nicht rein. Erst recht, wenn man im Vornherein nicht alle klischeehaften Aspekte von Männlichkeit erfüllt. Jonatan Leer kennt das auch von seiner Essverhaltensforschung. Laut ihm wird Essen tatsächlich oft den Geschlechtern zugeordnet: Pflanzliche Ernährung entspricht dann eher dem weiblichen Stereotyp, eine fleischliche Ernährung dem männlichen.
Artikel: Romy Hölzel