Kommentar
Die Arroganz des bayerischen Schulsystems
Erst letzte Woche kam der OECD-Bildungsbericht heraus, in dem Deutschland mal wieder mit Platz 20 von 49, in der besten Auslegung, mittelmäßig abschneidet. Das wirkt fast konträr zum Ergebnis der Umfrage des Ifo-Instituts von vor zwei Wochen: 41 Prozent der Befragten gaben dort den bayerischen Schulen die Noten 1 und 2. Die Bayer:innen finden also, alles sei gut in den Schulen? Genau darin sieht Luis Kirchner das Problem unseres Bundeslandes. Ein Kommentar.
41 Prozent der Bayer:innen geben den Schulen in unserem Bundesland die Noten gut und sehr gut. Dass das nicht mal die Hälfte ist, wird natürlich nicht groß erwähnt, viel lieber ruht man sich darauf aus, dass in Bayern die Schulen besser abschneiden als im Rest Deutschlands oder wie, wie es der bayerische Bildungsminister Piazolo ausdrückt, auf einem “Top-Ergebnis” – Bayern-Huldigung vom Feinsten… Bei keinem anderen Thema steht uns die Arroganz in Bayern so sehr im Weg wie beim Schulsystem. Und das betrifft bei Weitem nicht nur die Politik. Die Ifo-Umfrage zeigt es ja: 41 Prozent gut und sehr gut verdeutlichen mal wieder, was für Ansprüche viele Menschen in Bayern an die Schulen haben: Leistung, anspruchsvoller Lehrplan, ein schwereres Abitur vergeben als die anderen Bundesländer. Alle sind stolz auf das bayerische Gymnasium. Währenddessen fördert unser strikt dreigliedriges Schulsystem die Trennung sozialer Schichten und an Grundschulen kann jedes vierte Kind nicht vernünftig Lesen und Schreiben.
Immerhin: Probleme sehen sowohl die Befragten als auch die Politik. Lehrkräftemangel und marode Schulgebäude – wer, der heute in Bayern zur Schule geht, kann davon kein Lied singen? Es ist jedoch bezeichnend für die Situation, dass dieses Problem so groß, so allgegenwärtig werden musste, bevor man es jetzt angeht, wo es eigentlich schon viel zu spät ist. Erst letzte Woche kam die Meldung, dass Lehrkräfte immer mehr Verhaltensauffälligkeiten an Schüler:innen beobachten – wahrscheinlich eine Folge der Coronapandemie.
Aus der Krise gelernt? Fehlanzeige.
Heute stellen sich Herr Piazolo und andere hin und erklären, im Nachgang von Corona gebe es keinen Nachholbedarf und wenn, dann seien entsprechende Maßnahmen bereits getroffen. Aus der Krise gelernt? Fehlanzeige. Ebenso dreist ist seine Behauptung, dieses Jahr seien alle Lehrkraftstellen besetzt. Das mag in der Theorie funktionieren, in der Praxis wird aber das Bildungsangebot so zusammengestrichen, dass es auf die verfügbaren Lehrkraftstellen passt. Und dran glauben müssen, na klar, als erstes die Fächer Musik, Sport, Kunst – und natürlich: Sprachunterricht für Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Das darf jetzt nur noch von Aushilfen unterrichtet werden. Diese Sparmaßnahmen treffen also jene, die von daheim ohnehin kaum Unterstützung erhalten können, besonders hart. Und wieder verschärft sich die soziale Spaltung durch unser Schulsystem. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband BLLV kritisiert zudem, dass die auf Kante genähte Lehrkraftstellenplanung schon bald kollabieren wird, sobald die ersten Krankheitsfälle im neuen Schuljahr auftreten. Stundenausfälle werden die Folge sein.
Warum lügen wir uns in Bayern beim Thema Bildung fortwährend in die Tasche?
Warum gestehen wir uns nicht ein: Wir haben ein massives Problem? Was braucht es nach Corona und Lehrkräftemangel noch, damit wir in Bayern erkennen, dass sich an unseren Schulen etwas grundlegend ändern muss?
“Wir Lehrkräfte wissen schon lange, wo das System krankt und wir kennen auch schon lange die Lösungen.”
Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV über die Ifo-Umfrage
Hoffen lässt die Stellungnahme von Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV, zur aktuellen Ifo-Umfrage. Sie hat das Ergebnis als das erkannt, was es ist: “kein Grund zum Feiern”. Sie forderte die Politik auf, die Probleme nicht länger kleinzureden und konsequent anzugehen. Wie? Auch da bringt sie es auf den Punkt: “Wir Lehrkräfte wissen schon lange, wo das System krankt und wir kennen auch schon lange die Lösungen.” Können wir dann aber auch bitte bei einer Reform der Bildung in Bayern auch endlich mal auf die Forschung hören, Schulsystemen in anderen (Bundes-)Ländern gegenüber offen sein und alternative Bildungsansätze wie Montessori und Waldorf nicht wie Teufelszeug behandeln? Dann hätten die bayerischen Schulen irgendwann vielleicht tatsächlich die Noten gut und sehr gut verdient.
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