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Buchkritik

STONE BLIND. Der Blick der Medusa

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Gerechtigkeit für Medusa fordert Natalie Haynes in ihrem neuen Roman Stone Blind. Der Blick der Medusa. Gerecht wird Haynes dem selbst (und den großen Erwartungen, die in den Sozialen Netzwerken geschürt werden) jedoch nicht. 

Sie ist in der griechischen Mythologie als Ungeheuer verschrien und später zum Mahnmal für den Sieg des Patriarchats über das Matriarchat verklärt. Medusa, die Frau mit den Schlangenhaaren, erlebt einige Jahrhunderte später ein Revival im Feminismus. Medusa fasziniert als mörderisches Opfer, schönes Ungeheuer und menschliche Gottheit. Kein Wunder also, dass auch die britische Klassizistin Natalie Haynes ein Auge auf die sagenumwobene Gestalt geworfen hat, die mit ihrem blinden Blick alles, was einen Herzschlag hat, zu Stein verwandeln kann. 

Der Mythos

Als einzige sterbliche Tochter der Meeresgötter Keto und Phorkys wächst Medusa behütet bei ihren geliebten Schwerstern auf. Eines Tages wird sie, trotz deren Wachsamkeit, von Poseidon, dem Bruder des Göttervaters Zeus, vergewaltigt. Das schreckliche Verbrechen findet in einem der Göttin Athene geweihten Tempel statt – und ruft in der gekränkten Göttin der Weisheit grausame Rachepläne hervor. Diese lebt Athene allerdings nicht an ihrem Onkel Poseidon aus. Vielmehr wird die unschuldige Medusa mit Schlangenhaar, Blindheit und einem versteinernden Blick gestraft. Heute wohl ein klarer Fall von Victim Blaming – in der antiken Rezeption aber scheinbar keinesfalls verwunderlich.

Damit ist das Martyrium der Gorgone Medusa jedoch noch nicht beendet. Es dauert einige Zeit, bis sich das Mädchen mit den Schlangenhaaren mit ihrer neuen Erscheinung und ihrem Fluch zurechtfindet. Endlich mit sich und ihrem neuen Leben im Reinen, währt ihr Glück jedoch nicht lange. Heimtückisch wird Medusa eines Nachts von Perseus ermordet, der mit ihrem Haupt seine Mutter vor einer unglücklichen Ehe bewahren will. 

Der Roman 

Soweit jedenfalls die griechische Mythologie. Jetzt aber zu Haynes STONE BLIND. Der Blick der Medusa. Der ganze Roman ist sehr an den antiken Erzählungen orientiert – zum Leid derer, die eine abenteuerliche Neuerzählung erwartet haben. Der Fokus liegt, anders als im antiken Mythos, schon auf der Opferrolle der Medusa, schweift aber auch leicht wieder ab. An fast allen Stellen scheint die antike Vorlage einfach ausführlicher und etwas tiefgründiger als die bekannte Version niedergeschrieben worden zu sein. Mit Vorwissen über mythologische Gestalten und Vorgänge ist der Roman so etwas langweilig und zieht sich in die Länge, spannende Plot Twists oder neue Ideen sind nicht zu erwarten.  

Andererseits lässt sich die gar sachliche Weitergabe akademischen Wissens Haynes auch zugutehalten. Durch das so aufgerollte Wissen ist STONE BLIND. Der Blick der Medusa für die, die ihre Lücken in der griechischen Mythologie auffrischen wollen, zweifelsfrei gut geeignet. 

Während mit geraumem Vorwissen sowieso schon die Grundlage für jegliche Spannung fehlt, zieht der Versuch Haynes, sich literarischer Kunstgriffe zu bedienen, den Spannungsbogen noch weiter in Mitleidenschaft. STONE BLIND braucht aufmerksame Leser:innen. Verschiedenste Erzählstränge in verschiedensten Erzählerperspektiven führen erst gegen Ende zusammen.

Natalie Haynes, Autorin der Roman: STONE BLIND. Der Blick der Medusa. Bild: James Betts
Natalie Haynes. Bild: James Betts https://nataliehaynes.com/about/

Die Besetzung 

Insgesamt gibt es sehr viele Charaktere, die Haynes neben dem Opfer Medusa, der Rächerin Athene und dem Mörder Perseus genauer beleuchtet. Kassiopeia, Andromeda und Danaё, Frauen in Perseus Leben, und Medusas Schwestern, federn die reine Aneinanderreihung von Handlungsepisoden gekonnt ab und lockern zähe Stellen auf. 

Allerdings leidet durch die Vielzahl der Charaktere und Handlungsstränge die Charaktertiefe der einzelnen Figuren. Selbst zu Medusa, der eigentlichen Protagonistin, lässt sich kaum eine Verbindung aufbauen. So gut wie keiner der Charaktere ruft auch nur die geringste Empathie in den Leser:innen hervor – und sorgt dafür, dass STONE BLIND. Der Blick der Medusa genau das ausstrahlt, was Medusa seit Jahrhunderten zugeschrieben wird: Unzulänglichkeit und Kälte. 

Stone Blind. Der Blick der Medusa ist bei dtv erschienen und kostet in gebundener Ausgabe 24€.