Buchkritik
Fürchte dich nicht, außer vor dir selbst!
Ein winziges Zucken im Mundwinkel, ein Augenbrauenrunzeln, ein Wimpernschlag. In Stresssituationen, in denen es um Alles oder Nichts geht, muss man sich vollends beherrschen: denn sonst kommt das Versteckspiel der eigenen Gefühle schnell ans Licht. In Sebastian Fitzeks Thriller wird einem bewusst, wie wenig wir über die Mimik unseres Gegenübers wissen … oder auch über uns selbst!
Der angsterfüllte Blick ins Innere
Keine einzige Regung bleibt vor ihr Verborgen: denn als Mimik Resonanz-Expertin und Beraterin der Polizei kann Hannah Herbst förmlich die Körpersprache von Gewaltverbrechern lesen. Doch nun steht Hannah vor ihrem größten Fall: und zwar gegen sich selbst! Nach einer Operation wacht sie mit einem schweren Gedächtnisverlust auf und wird des Mordes beschuldigt. Ein Beweisvideo zeigt ihr polizeiliches Geständnis: sie soll ihre Familie ausgelöscht haben! Hannah muss nun in ihr tiefes Inneres schauen, um zu lernen, ihre eigene Mimik zu entschlüsseln: denn nur so kann sie ihre Unschuld beweisen.
Im Tempo liegt die Würze
Mithilfe von verschiedenen bildhaften Perspektivendarstellungen der unterschiedlichen Protagonist:innen, einem wechselnden Schreibstil sowie einem rasanten Erzähltempo schafft Sebastian Fitzek es, die Leser:innen in kurzen Kapiteln durch das Buch zu „peitschen“ und sie vollends in die fast schon ausweglose Situation von Hannah Herbst eintauchen zu lassen. Es grenzt fast schon an Kunst, dass man während des Lesens von Mimik nie das Gefühl bekommt, einen künstlich aufrechterhaltenen Spannungsbogen zu verfolgen. Die gemeinsame Zusammenarbeit mit dem bekannten Mimikresonanzexperten Dirk Eilert scheint sich zudem ausgezahlt zu haben: denn Fitzeks Idee, fundierte Fakten über die Mimik Resonanz mit einflechten zu lassen, machen unterschiedliche Handlungsstränge noch realitätsnaher und fassbarer. So tun sich mithilfe der Mimik Analyse für die Leser:innen neue menschliche Abgründe auf, die einen nur fassungsloser zurücklassen als zuvor.
Das letzte Puzzleteil
Sebastian Fitzek nimmt in Mimik die Leser:innen nicht an die Hand, sondern lässt sie selbst im Dunkeln nach der Wahrheit tappen. Immer wieder erwischt man sich dabei, wie man verzweifelt den Kopf darüber schüttelt, dass man von Seite zu Seite auf die falsche Fährte gelockt wurde. Der Autor schafft es gekonnt, dass Puzzle mit jedem weiteren Handlungsstrang zu verkomplizieren: bald weiß man nicht mehr, was und wem man eigentlich vertrauen kann! Aufgrund der zahlreichen Fragezeichen im Kopf, mit denen man sich konfrontiert fühlt, werden die Leser:innen förmlich fast schon dazu gezwungen, den Thriller-Roman nicht aus der Hand zu legen, sondern Hannah Herbst bei ihrer Mission der Unschuldsfindung zu begleiten!
Man braucht jedoch Zeit und Geduld, um sich in die verschiedenen Schauplätze hineinversetzen zu können, um beim Lesen gedanklich nicht von neuen Handlungssträngen „abgehängt“ zu werden. Je mehr sich die Geschichte zuspitzt, desto mehr versteht man schließlich die verschiedenen Handlungsfäden, die in dem Raum geworfen werden. Auch wenn die Tiefe der Charaktere unter dem schnellen Erzähltempo leidet und die zahlreichen Handlungsstränge einen um den Verstand bringen, schafft Sebastian Fitzek es dennoch, seine Leser:innen mit Mimik gekonnt an der Nase herumzuführen und sie als „Pseudodetektive“ in Sicherheit zu wiegen. Als Meister der „Cliffhanger“ hat er auch diesmal sein schriftstellerisches Können unter Beweis gestellt und zahlreiche Leser:innen – besonders zum Showdown hin – mit offenen Mündern des Schocks stehen lassen.
Der Psychothriller Mimik von Sebastian Fitzek kann in gebundener Ausgabe über den Droemer Knaur Verlag für 24 Euro erworben werden.