Filmschoolfest
Kurzfilm-Mania
Nicht nur die Adventszeit klopft aktuell an die Haustüre: auch das 41. Filmschoolfest der Kurzfilme und Nachwuchs-Regisseur:innen steht vor der Münchner Haustüre. Das Filmfest für angehende Regisseur:innen beginnt am Sonntag und verwandelt wie letztes Jahr die Filmhochschule zum Festivalzentrum und Ort der Begegnungen zwischen Publikum und den kreativen Köpfen hinter den Werken! Welche Filme es dabei so zu sehen gibt und welche einen besonderen Blick wert sind, weiß die M94.5-Kinoredaktion bereits jetzt schon.
Adane & Yaleo
Vollmond am Meer. Eine Leiche wird verbrannt. Im roten Licht einer Leuchtpistole liegen tote Soldaten im Sand. Adane & Yaleo beginnt mit einer unwirklichen Einstiegsszene, die zunächst mit dem Rest des Films nichts zu tun zu haben scheint: assoziativ, mystisch, unheimlich. Vom Kriegsschauplatz springen wir dann aber plötzlich mitten in die Stadt: zu den namensgebenden Brüdern, Adane und Yaleo, die nachts durch die Straßen laufen.
Ganz klar macht der Film dabei nie, wie Anfang und Ende zusammenhängen. Hat sich die Hauptfigur, die unter starken Ängsten leidet, dieses Horrorszenario nur eingebildet? Oder sind es traumatische Erinnerungen, die ihn im Dunkeln plagen? Regisseur Oz Zirlin gelingt es durch Kamera und Setting, sofort ein Gefühl drohenden Unheils aufzubauen, noch bevor die Brüder überhaupt in eine Polizeikontrolle geraten. Sicherheit scheinen unsere Protagonisten nicht zu kennen, und so fehlt sie auch den Zuschauer:innen. Zwar wirkt das Tempo bei gerade einmal 20 Minuten zuweilen etwas holprig. Dafür aber wartet das Ende mit einem letzten Adrenalinstoß und kreativem Schnitt auf. Ein unbequemer Kurzfilm, der bewusst Rätsel offenlässt./nc
Black Hole Legion
„God likes Goths.“ schreibt eine Teenagerin in ihren Block. Erstmal nichts Ungewöhnliches. Doch als die beiden Mädchen im Zimmer aus dem Fenster schauen, sind Wölfe und ein riesiges Bergmassiv zu sehen. Wir befinden uns in Grönland, am Fuße des Berges Uummanaq. Auf die Frage hin, wie es ihr geht, fängt eines der Mädchen an einen Monolog zu halten. In diesem erzählt sie von ihrer Armut und der Depression, an der sie leidet. Die einzige Zuflucht scheint für sie und die anderen Teenager Mädchen die Subkultur des Cybergoths zu sein. Die Situation in Grönland ist nämlich für Inuits schwer: der Klimawandel trägt dazu bei, dass ihr Lebensraum gefährdet ist. Zudem ist das Wasser verschmutzt.
Obwohl Black Hole Legion versucht, all diese wichtigen Themen anzusprechen, schafft er dies nur oberflächlich. Die Szenen enthalten nicht genug Kontext – nur durch den zugehörigen Text, der dem Film beiliegt, wird die Situation der Inuit Frauen wirklich ersichtlich. Die Aufnahmen wirken surreal und unnahbar, zum Beispiel wenn die eisige Natur mit den Goths zu sehen ist, wie sie vor einem Lagerfeuer am Meer stehen. Alles ist langsam und ruhig, an manchen Stellen sogar zu ruhig. So hätte etwas mehr Musik den Film auditiv spannender gemacht. Die schlimme Situation wird allerdings besonders verdeutlicht, als eine Frau mit Cybergothmaske am Ende über Suizid spricht. Einzig allein dieser Monolog schafft es, wirkliche Gefühle zu vermitteln./an
Ella
Während in der Schule Themen wie Masturbation und das Entdecken des eigenen Körpers in der Pubertät häufig keine große Rolle spielen und der Aufklärungsunterricht eher konservativ aussieht, nimmt sich Ella genau diesem Thema an. Der sieben-minütige Animationsfilm zeigt mit sketchartigen, bunten Bleistiftzeichnungen, die über den Bildschirm flackern, die junge Ella, die unter der Dusche die vielfältigen Funktionen des Duschstrahls entdeckt.
Die Zuschauenden begleiten das junge Mädchen dabei auf einer Reise in ihrem Kopf, bei der sie sich in einer Höhle wiederfindet. Über Metaphern umgeht der Film so die Jugendliche bei der Masturbation zu zeigen und schafft Raum für eigene Interpretationen. Ella kommt dabei vollkommen ohne Worte aus, bleibt dadurch aber auch sehr abstrakt und einfach./lb
Brat
Kleine Dörfer im tiefsten Bayern mögen malerische Orte sein, jedoch häufig nicht immer die Hochburg von Offenheit und Toleranz. In genau so eine Kulisse setzt Regisseurin Anna Roller in ihrem Kurzfilm Brat ihre Protagonistin Mia, eine junge Mutter. Dabei machen der Dialog und die Kameraführung schnell klar, was die Dorfbewohner von Mia halten: Während im Verlauf des Films der Satz „Lass uns das wie Erwachsene klären“ fällt, sieht das Publikum nur Augen, die metaphorisch von oben auf Mia herabschauen. Als Mia ihren Sohn in Schutz nimmt und geht, sind nur noch die Lippen der anderen Mutter zu sehen, die Mia schroff das Wort „Gör“ hinterherrufen.
Brat zeigt eine Mutter, die gereizt ist, weil sie ihren Schützling in einer feindseligen Umgebung durchbringen muss. Schließlich bricht der Beschützerinstinkt aus ihr heraus und es stellt sich die Frage, ob hier der Zweck wirklich die Mittel heiligt./mk
I Was Attacked
In I Was Attacked zeigt die Regisseurin Sara Massieu innerhalb von nur vier Minuten auf, dass sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen leider kein Einzelfall ist, sondern ein weltweites Problem. Dies transportiert sie mithilfe von simple gehaltenen farbigen Zeichnungen und Originaltönen aus Interviews mit Betroffenen aus der ganzen Welt. Dabei stehen nicht konkrete Situationen sexualisierter Gewalt im Vordergrund, sondern vor allem die damit verbundenen Gefühle wie Angst, Scham und Hilflosigkeit. Um diese Gefühle an Zuschauende zu transportieren, greift Massieu zu recht einfachen aber smarten Mitteln und zeichnet zum Beispiel die Männer immer viel größer als die Frauen. Dadurch wird das Machtverhältnis und dessen Bedrohlichkeit direkt ohne viele Worte klar.
Die ganzen vier Minuten über erzeugt der Film eine Gänsehaut. Allerdings könnte er noch tiefer ins Thema eintauchen. I Was Attacked fühlt sich in seiner Kürze etwas unvollständig für so ein großes Problem an. Das Thema selbst stiehlt dem Kurzfilm praktisch die Show, aber genauso sollte es in dem Fall wohl auch sein. Der Film wird in den Originalsprachen gezeigt: Arabisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Litauisch, Mandarin, Portugiesisch, Rumänisch, Russisch, Spanisch: hinter all diesen Sprachen verbirgt sich mindestens eine Frau, die Opfer von sexualisierter Gewalt geworden ist. Ein wichtiges Thema und daher ein Film, bei dem es sich lohnt ihn anzuschauen./aw
Love, Dad
Als Diana nach 15 Jahren die alten Briefe, die ihr Vater aus dem Gefängnis geschickt hat, wiederfindet, begibt sie sich auf eine Gedankenreise zurück in ihre Kindheit. Diana reflektiert dabei nicht nur die turbulente Beziehung zu ihrem Vater, sondern auch ihre Rolle als einzige Tochter einer vietnamesischen Familie. Keinen Sohn zu haben, wird in der asiatischen Kultur mit Scham und Versagen verbunden. Die Folge daraus: Druck und Anspannung innerhalb der Familie. Welche Auswirkungen das auf Diana und ihre Familie hat, ist ein Themenkomplex in Love, Dad.
Kunstvoll und ästhetisch werden Papier-Collagen, Animation und Film miteinander verbunden und unkonventionell in Szene gesetzt, um dem sensiblen Thema ein klein wenig die Schwere zu nehmen. So gelingt es Love, Dad absolut überzeugend, ein eigentlich sehr bedrückendes Thema wie väterliche Abwesenheit und prekäre Familienverhältnisse verspielt dazustellen.
Die bunten Farben und krakeligen Zeichnungen erinnern dabei oft sogar an die von Kindern. Auch die minimalistische und sanfte Filmmusik erinnert teilweise an kindliche Schlaflieder. Wir werden also buchstäblich zurück in die Kindheit transportiert. Durch diese Mittel gelingt es der Regisseurin Diana Cam Van Nguyen in nur 11 Minuten feinfühlig und intim, ihre einzigartige Gefühlswelt darzustellen./sj
Liquid Bread
Irgendwo im Süden der Slowakei zwischen Maisfeldern und langen leeren Teerwegen liegt das Dorf Kesa. Es ist Schauplatz für das Zusammentreffen einer Drei-Generationen-Familie, das allerlei dysfunktionale Beziehungsstrukturen offenbart. Erzählt wird die Geschichte von Enkelin Zoja. Angefangen beim Kennenlernen der Großeltern, über das Aufwachsen der Eltern bis hin zur Gegenwart, in der die Familie mit Alkoholismus, Scheidungen und Tod zu kämpfen hat. Regisseurin Alica Bednáriková schafft es trotz der Schwere der Themen eine gewisse Leichtigkeit in die Erzählung einzuflechten. Das gelingt ihr vor allem über die Hauptfigur Zoja, die sich in ihrer Erzählweise einen humorvollen Blick auf die Familie bewahrt. Zojas Stimme aus dem Off sind nämlich eigentlich Notizen an sie selbst, die sie in ein Diktiergerät spricht – sie sammelt Informationen und Material über ihre Familie, um damit ein Filmskript zu erstellen. Dadurch verweist der Film auf sich selbst und durchbricht immer wieder augenzwinkernd die vierte Wand. Auch die Montage einzelner Szenen kann überzeugen, die in Kombination mit der Musikauswahl eine tolle Energie entwickelt.
Liquid Bread ist ein sehr gelungener Kurzfilm, der auf dichte, nachvollziehbare Weise Themen wie Verlust, zwischenmenschliche Beziehungen und Familiendynamiken verhandelt. Dabei schafft er es immer die Waage zwischen humorvollen und traurig-poetischen Momenten zu halten und arbeitet mit einer schönen Bildsprache, die das Leben in dörflicher Umgebung und im Haus der Großeltern greifbar macht. Wunderschön umgesetzt ist auch die Schlussszene, in der sich Vergangenheit und Gegenwart bildlich ineinander verzahnen und einen bittersüßen Beigeschmack hinterlassen./jr