Filmkritik
See How They Run
Eine Leiche, eine Gruppe von Verdächtigen und zwei Ermittler:innen, die der Frage nachjagen: Wer war es? Die Meta-Krimikomödie See How They Run ist eine unterhaltsame Hommage an die Klassiker von Agatha Christie und ähnlichen Autor:innen. Ob das 2022 noch zieht?
London, 1953: Ein Stück erobert die schillernde Theaterwelt im Sturm. The Mousetrap der Schriftstellerin Agatha Christie steht vor seiner 100. Aufführung. Doch es dauert nicht lange, bis der enorme Erfolg des Stücks Hollywood auf den Plan ruft. So arbeitet der arrogante Regisseur Leo Köpernick (Adrien Brody) an einer Filmadaption, um The Mousetrap von der Bühne auf die große Leinwand zu holen. Doch es kommt anders: Köpernick wird plötzlich ermordet aufgefunden.
Dabei gibt es eine ganze Reihe an Verdächtigen. War es möglicherweise der gefeierte Bühnenautor Mervyn Cocker-Norris (David Oyelowo), der Köpenick wegen kreativer Differenzen tötete? Oder doch der Hauptdarsteller David Attenborough (Harris Dickinson)? Er hatte sich schließlich zuvor auf der Party mit dem Regisseur geprügelt, weil dieser mit seiner Freundin geflirtet hatte. Diesen und vielen weiteren Fragen müssen der gestandene Inspector Stoppard (Sam Rockwell) und die engagierte, aber unerfahrene Constable Stalker (Saoirse Ronan) in See How They Run auf den Grund gehen. Zugegeben: Ein ungleiches Ermittler:innen-Duo ist ein absolutes Klischee. Allerdings ist das nicht etwa schlechtem Writing geschuldet, sondern gewollt und trägt zum Charme des Films bei.
Revival des “Whodunit-Krimis”
Wer ist der/die Möder:in? Das ist die zentrale Frage eines Whodunit-Krimis. Im Kino eigentlich fast schon ausgestorben, feiert das Krimi-Subgenre seit ein paar Jahren sein Comeback, etwa mit der Agatha Christie-Verfilmung Mord im Orient Express (2017).
See How They Run kopiert aber nicht nur alte Whodunit-Klassiker – vielmehr möchte der Film mit den Gepflogenheiten seines Genres spielen und selbstreferentiell sein. Einerseits sollen Genre-Klassiker parodiert werden, andererseits ist die Krimikomödie auch eine Liebeserklärung an die Filme, auf die sie sich bezieht. Das wird gleich in den ersten Sekunden des Films deutlich: Der ermordete Regisseur Köpernick, der zugleich Erzähler des Films ist, sagt über das Stück The Mousetrap, dass es eben ein klassisches Whodunit sei. Wenn man eines gesehen habe, habe man alle gesehen.
Dieses Spiel zieht sich durch den gesamten Film. So ist nicht nur das in See How They Run zentrale Theaterstück ein klassisches Whodunit, sondern eben auch der Film selbst: Es gibt eine Leiche, mehrere potenzielle Mörder:innen sowie Ermittler:innen, die die Wahrheit ans Licht bringen wollen. Zwischen den Geschehnissen im Stück und der Story des Films gibt es dabei immer wieder Parallelen.
Aber nicht nur in diesem Aspekt setzt sich der verstärkte Einsatz von Neo-Hommagen fort: Auch die beiden Protagonist:innen werden dem System “Aus Alt mach Neu” unterzogen: Für gewöhnlich sind die Ermittler:innen in Whodunits überaus intelligente Charaktere, wie etwa Sherlock Holmes. Vor allem der unmotivierte und lustlose Inspector Stoppard hat zwar seine Momente, entspricht diesem Prototypen aber ansonsten gar nicht. Hier wird also bewusst mit der Erwartungshaltung gebrochen.
Witzig? Ja! Spannend? Naja…
Jenseits des Spiels mit dem Genre ist See How They Run aber vor allem ein Mix aus Krimi und Komödie. Als letzteres kann der Film auf ganzer Linie überzeugen: Das Timing der Witze ist gelungen und die Running Gags zünden immer wieder aufs Neue. Dazu tragen vor allem die beiden Hauptfiguren bei. Hier ist es allerdings schade, dass Constable Stalker insgesamt zu sehr zur Witzfigur verkommt. Die übereifrige und tollpatschige junge Frau ist fast ausschließlich für den Comic Relief zuständig, also für kleinere Späße zur Auflockerung der Handlung.
Als Krimi funktioniert See How They Run hingegen nur bedingt. Einerseits ist der Film sehr stimmungsvoll inszeniert: Etwa dann, wenn die Kamera das verregnete London bei Nacht zeigt, untermalt mit düsterer Klaviermusik. Aber auch die historischen Settings und Kostüme tragen zur Atmosphäre bei, insbesondere in den Szenen, die in der glamourösen Theaterwelt spielen. Andererseits fehlt es dem Film an Spannung, die dem Humor weichen muss. Das ist auch einer der Gründe, weshalb sich die Handlung hier und da immer wieder zieht.
Es ist also nicht die Suche nach dem/der Mörder:in, die die Zuschauer:innen bei der Stange hält, sondern der Witz und das unterhaltsame Zusammenspiel der beiden Ermittler:innen. Damit gelingt See How They Run der Spagat zwischen Hommage und Parodie. Trotz aller Unterhaltsamkeit wäre beim Thema Spannung aber sicherlich mehr drin gewesen.
See How They Run ist ab dem 27. Oktober in den deutschen Kinos zu sehen.