Platte des Monats: Juli '22
Moor Mother – Jazz Codes
Auf dem siebten Album der amerikanischen Künstlerin Moor Mother verbindet sich ihr eigener musikalischer Werdegang mit der Geschichte und der Zukunft von Jazz. Auf diesem mit Kollaborationen gespickten Album geht es um mehr als nur die Künstler:Innen selbst.
Wer ist Moor Mother?
Wer sich daran versucht das Werk von Camae Ayewa Dennis (aka “Moor Mother”) in einem Satz zusammenzufassen oder gar ein klares Genre zuzuschreiben wird kläglich scheitern. Die in Maryland aufgewachsene Künstlerin hat bereits Anfang der 2000er begonnen in diversen Band- und Musikprojekten zu spielen, darunter auch eine Punkband (“Girls Dressed As Girls”). Unter dem Namen “Moor Mother” hat sie erst 2016 mit dem Projekt Fetish Bones ihr offizielles Debütalbum gefeiert. Seitdem bringt sie diverse Musikprojekte von experimental HipHop (“700 Bliss”), Spoken Word Pieces und Jazz Platten mit ihrer Band “Irreversible Entaglements” heraus. Im Juli ist nun darauf schon ihr siebtes Album Jazz Codes gefolgt, dass nicht so einseitig klingt wie der Titel es vielleicht andeutet.
Von Wut zu Resignation?
Moor Mother zeichnet sich aus durch besonders intensive, ausdrucksstarke Texte und komplexe Instrumentals. Ihre bekanntesten Werke waren vor Allem kraftvolle und dynamische Spoken Word Stücke, die sie mit ihrem Textblock in der Hand performed. Darin greift sie wiederholt Ungerechtigkeiten offen und emotional an, vor Allem wenn es um die strukturelle Diskriminierung von Frauen, queeren Personen und people of colour in den USA geht. Im Vergleich zu solchen Stücken wie zum Beispiel “By The Light” aus dem Jahre 2016 wirkt ihr Sprechgesang auf Jazz Codes ruhiger. Viele der Tracks sind verträumte, langsame Jazz Stücke mit Harfe, Glockenspiel oder Saxophon Einlagen über die sich ihre Stimme sanft legt. Doch diese weniger laute Klang sollte nicht als Resignation gelesen werden. Jazz Codes ist das Werk von einer Künstlerin, die vielleicht introspektiver geworden ist, ihre Leidenschaft jedoch nicht verloren hat. Sie zelebriert eine hoffnungsvolle Aussicht auf die Zukunft, ohne dabei den Blick zur Realität zu verlieren.
“And we so stuck in the past – yeah, and we don’t know the future smacked us on the ass.”
Moor Mother, YUNGMORPHEUS – “REAL TRILL HOURS”
Ein seltsames Wort
Mit diesen Worten endet das Album, und es sind genau diese Sätze die die Konzeption von Jazz mit der musikalischen Biografie von Moor Mother verbinden. Es geht um Freiheit des Schaffens, um Asymmetrien und Reibungen, die etwas Lebendiges schaffen. Das hat Moor Mother schon immer ausgemacht. Auf “Jazz Codes” schöpft sie aber nicht nur aus ihrem eigenen Repertoire, sondern lädt sich viele Gäste hinzu: zum Beispiel die Harfenistin Mary Lattimore, die mit ihrem Instrument und zusätzlicher elektronischer Bearbeitung besonders ätherische Klänge erzeugt, die US-Haitische Sängerin Melanie Charles, oder der Kanadisch-panamaische Trompeter Aquiles Navarro. Aber auch bekannte HipHop Künstler wie AKAI SOLO oder Orion Sun sind vertreten.
“Meditatin’ with the Pad and the Pen”
Trotz der klanglichen Vielfalt die sich durch die unzähligen Feature-Gäste und Kollaborationen ergibt, bleiben Moor Mother’s unvergessliche Texte und ihre markante Stimme nicht auf der Strecke. Die Texte klingen manchmal wie wohl bedachte Poesie, manchmal wie ehrliche, spontane Kommentare und Improvisationen. Oft wiederholt sich innerhalb eines Songs ein Satz oder eine Zeile, sodass es fast meditativ wirkt. Deswegen sagt Moor Mother auch selber in “EVENING”, sie “meditiert mit Stift und Block”.
Ein ehrlich kreatives Projekt
Jazz Codes von Moor Mother ist auf zwei Arten und Weisen ein herausstehendes Album. Auf der einen Seite ist es an sich sowohl durch die musikalische Biografie der Künstlerin und den vielen Gästen kreativ und abwechslungsreich. Des Weiteren aber ist es vor Allem ein Album, dass über die Natur des Jazz reflektiert und sich fragt was es bedeutet wirklich frei und kreativ zu schaffen. Diese Vielschichtigkeit macht Jazz Codes zu unserer Platte des Monats im Juli 2022.
Jazz Codes ist am 01. Juli 2022 über Anti Records erschienen.