Filmfest 2022
A New Old Play
Theater im China des 20. Jahrhunderts – Der chinesische Regisseur Jiongjiong Qiu erzählt die Lebensgeschichte seines Schauspieler-Großvaters im Lichte der politischen Wandel in China.
Ein Mann mit roter Mütze und rot geschminkter Nase kommt auf eine dunkle Straße. Zwei Personen mit einfarbig geschminkten Gesichtern fahren in einer Rikscha mit einer bunt blinkenden Lichterkette und halten vor ihm an. Kurz darauf verschwindet der Mann mit der roten Mütze im Nebel.
Mit diesen starken Hell-Dunkel- und Farbig-Farblos-Kontrasten beginnt A New Old Play: Der Clown-Schauspieler Qiu Yu wird vor dem Theater von Dämonen abgeholt und in den Tod begleitet. Seine Gegenwart in der Nachwelt und seine Vergangenheit wechseln sich im Film ab und zeigen so einen Rückblick auf sein Leben: das Aufwachsen als Waise, seine ersten Schritte auf der Bühne, seine weitere Karriere im Theater. Erzählt wird das Ganze im Licht der Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert, zwischen Opiumkrise, Kriegen, Hungersnot und der politischer Propaganda.
VERWIRRENDER ZEITWECHSEL
Ein kleiner Schwachpunkt des Films ist leider der Wechsel zwischen den Zeitebenen. Nach einer Weile wird zwar an der sehr düsteren und konstanteren Umgebung der Nachwelt ersichtlich, dass die Zuschauer:innen nun wieder die Gegenwart des Protagonisten betrachten. Allerdings wird es verwirrend, wenn Qiu Yu aufwächst und von einem anderen, älteren Schauspieler gespielt wird. Das braucht immer ein paar Momente…
STARKE THEATER-ÄSTHETIK
Die Ästhetik bildet hingegen das wahres Highlight. Die meiste Zeit ist das Setting klar als Kulisse, wie sie auf einer Bühne verwendet werden würde, erkennbar. Zum Beispiel zimmern die Figuren in einer Szene Wände und setzen rote Ziegel aufeinander. Doch nur die oberste Schicht sieht wirklich wie plastische, echte Ziegel aus. Darunter ist eine relativ glatter Aufbau, auf welchen die gebaute Wand gemalt worden ist.
Oder ein Beispiel aus mehren anderen Szenen: Vor einem Gebäude – welches aussieht wie aus bemalter Pappe – zieht Theaternebel nach oben. Dieser soll Wasser darstellen. Das ist erkennbar daran, dass sich Boote oder ein Schwimmer entweder viel zu gleichmäßig vorwärts oder mit viel zu wenig Auf-und-ab-Bewegung nach rechts bewegen. Die Übertragung der Thematik des chinesischen Theaters schlägt sich nicht nur in der Ästhetik nieder, sondern auch in der Erzählgeschwindigkeit des Films.
ZEITAUFWÄNDIG UND LANGATMIG
Wieso sich viele Personen wahrscheinlich schon bei einer ersten Recherche nicht dafür entscheiden werden, den Film zu sehen, ist seine Dauer. Denn A New Old Play ist fast drei Stunden lang! Leider trägt sich der Film nicht besonders gut selbst. Teilweise sehr wenig Handlung ruft den Wunsch nach einem intensiveren Erlebnis der Beziehungen zwischen den Figuren hervor. Die starke Ästhetik ist dann doch nicht so stark, dass sie dies wettmachen würde.
Die langsame Erzählgeschwindigkeit bildet auch eine Parallele zu verschiedenen chinesischen Theater-Formen, die sich zum Teil auch durch ihre zeitliche Ausdehnung auf mehrere Teile auszeichnen: Im Film werden diese Teile durch Schrifteinblendungen getrennt, die über die chinesische Geschichte informieren. Die auditive Ästhetik spielt auch in die Langsamkeit hinein, indem immer wieder chinesische Opern-Musik eingespielt wird – und das wirkt fast meditativ.
Aber hier und da ist die Tongestaltung auch eine Stärke des Films. Zum Beispiel als ein Foto mit einer der ersten Kameras gemacht werden soll und sich der Mann, der unter dem schwarzen Stoff die Kamera ausrichtet, die Linse nach links zu einem Tor schwingt. Sobald nur noch die Perspektive des Kameraauges zu sehen ist und chinesische Behörden-Beamten erscheinen, wird der Ton ausgeblendet. Durch die folgende Stille wirkt dieser Moment besonders intensiv und dramatisch. Aber Lautlosigkeit hilft wenig, wenn das Gefühl entsteht, dass der Sitznachbar schon fast eingeschlafen ist.
Letztendlich ist A New Old Play also ein Muss für alle Fans des chinesischen Theaters. Wer sich drei Stunden Zeit nehmen möchte, kann damit aber auch etwas Neues ausprobieren.
A NEW OLD PLAY läuft am 24., 25. und 27. Juni 2022 beim Filmfest München.