Kommentar
Angst vor Fortschritt, liebe Dozierende?
Im Sommersemester 2022 starten die deutschen Universitäten und Hochschulen wieder in Präsenzlehre – weg von Online, hin zum Altbewährten. Oder eher: Weg von Fortschritt? Ein Kommentar von Maximiliane Hoferer.
Bereits im vergangenen Wintersemester versuchten Dozierende eine hybride Form für Uni-Veranstaltungen durchzusetzen. Viele Fakultäten hielten auch trotz steigender Coronazahlen an Präsenzveranstaltungen fest. Denn bei einem waren sich Dozierende und viele Studierende einig: Mit Online-Lehre ist jetzt Schluss.
Während private Hochschulen in Deutschland mit dem Angebot, ihre Studiengänge auch online zu besuchen, schon seit Jahren werben und so jeden zehnten Erstsemester-Studierenden anziehen, suchte man bei staatlichen Universitäten und Hochschulen bis zum Jahr 2020 nach diesem Konzept vergebens. Erst die Corona-Krise machte E-Learning auch dort zu einem notwendigen Muss. Aber mehr aus der Not heraus und weniger aufgrund der innovativen Art des Lehrens und Lernens. In einem offenen Brief Zur Verteidigung der Präsenzlehre forderten Hochschullehrer:innen daher bereits zu Beginn des ersten Online-Semesters „eine vorsichtige, schrittweise und selbstverantwortliche Rückkehr zu Präsenzformaten“ – die Präsenzlehre sei zu essentiell für den Unibetrieb. Die Online-Lehre sei dagegen nichts weiter als ein notwendiges Übel – ließ sich zwischen den Zeilen lesen. Und so wird sie auch heute gesehen. Aber ist wirklich die Lehre im digitalen Raum das Problem oder sind es doch mehr die Dozierenden selbst – ihre stark ablehnende Haltung, ihr fehlender Wille oder gar ihre mangelnden Kenntnisse in der digitalen Welt? Denn wie alle Lehrbetriebe brauchen doch auch die staatlichen Universitäten dringend zeitgemäße und innovative Lehrkonzepte im digitalen Zeitalter.
Universitäten: Ort der Begegnungen
Niemand will den Hochschulen und Universitäten wohl absprechen, dass sie mehr als eine reine Bildungseinrichtung sind. Im Laufe des Studiums werden sie für viele Studierende zu einem, wenn nicht dem zentralen Mittelpunkt des Lebens. Freundschaften werden geschlossen, Austausch und Diskussionen finden auf allen Ebenen statt – sei es nun im Seminar oder privat mit Kommilitoninnen und Kommilitonen. Nur durch Zoom-Meetings und E-Mail-Verkehr lässt sich diese Form des Uni-Alltags natürlich nicht ermöglichen.
Gerade die letzten Semester haben gezeigt, wie stark Studierende unter ihrem neuen Alltag leiden. Nach der bundesweiten Studienreihe Stu.diCo. II geben 85 Prozent der 2500 befragten Studierenden an, im fehlenden direkten Kontakt mit Kommiliton:innen einen deutlichen Nachteil des Online-Semesters zu sehen. Auch die Zahlen der Studierenden, die sich aufgrund seelischer Beschwerden und Ängste an das Studentenwerk wandten, stiegen. Dennoch schließt Präsenzlehre nicht zwangsweise Distance-Learning aus. Sie hat ihre Vorteile – nur kommt es auf die Umsetzung an und hier sind die Dozierenden gefragt.
Zeit ist Geld
Nicht zu vernachlässigen ist auch der Faktor Kosten: Denn Geld ist etwas, dass bei Studierenden häufig knapp ist. Mit Online-Lehre wird Lernen so nicht nur orts- und zeitunabhängig, sondern bringt vor allem organisatorische Flexibilität. Statt dem klassischen Uni-Alltag – durchgeplante Studierende, einem von Kurs zu Kurs Hetzen und schwindender Konzentration – lässt sich Lernen selbst gestalten. Im Idealfall bei asynchroner, also aufgezeichneter Lehre, auch zu völlig selbst gewählter Stunde. Auf diese Weise wird nicht nur wesentlich effektiver, sondern auch im eigenen Lerntempo studiert. Die Gefahr, „abgehängt“ zu werden, schwindet gegen null. Diese hohe Flexibilität nimmt auch auf den modernen Lebensrhythmus Rücksicht. Lernen – das geht jetzt immer und überall.
Und: Teure Monatsmieten oder ständige Zugkosten – Fehlanzeige. Auch kann gerade durch die eigene Planung des Semesters Zeit für Arbeit und Freizeit besser organisiert werden. Den Studierenden wird damit zwar mehr Selbstdisziplin und Zeitmanagement abverlangt, aber auch entsprechend anerzogen. Die Lerninhalte der Online-Lehre erforderten bisher schließlich ein hohes Maß an proaktivem Selbststudium. Studierende müssen sich noch mehr als gewöhnlich selbst feste Lern- und Pausenzeiten schaffen und Inhalte einteilen, um Abgabe- und Prüfungstermine einzuhalten. Auch wenn dies auf den ersten Blick komplizierter und anstrengender als der bisher als „klassisch“ betrachtete Uni-Alltag wirken mag, sind die positiven Auswirkungen auf das weitere Studium, aber auch im Hinblick auf das kommende Berufsleben, das zunehmend im Home-Office stattfinden könnte, erheblich. So steigt mit der Eigenverantwortung der Studierenden gleichzeitig die Fähigkeit, Lernen, Leben und Berufsvorbereitung unter einen Hut zu bringen.
Gamification statt Bulimielernen
Statt in den Hörsaal zu den klassischen analogen Vorlesungen und ewigen Listen an Literaturhinweisen zu gehen, begeben sich Studierende so in den digitalen Raum. Auf unterschiedlichen Lernplattformen werden dort im Idealfall geordnet Seminare, Übungen und Vorlesungen angeboten. YouTube-Videos, Podcasts und auch Apps können dabei herangezogen werden, um das Lernen abwechslungsreicher und interessanter zu gestalten. Manche Institutionen bedienen sich dabei auch bereits bei Serious Games oder der Gamification. Während bei Serious Games stärker die Wissensvermittlung im Fokus steht, weniger die Unterhaltung, gibt es bei der Gamification unter anderem Bestenlisten für Individuen oder Teams, virtuelle Figuren und eine narrative Rahmenhandlung.
Beide Lernformate versuchen dabei die Motivation zu steigern, das Spiel- oder eher das Lernerlebnis lebendiger zu gestalten. Das belegen auch verschiedene Studien. So behalten nach einer Studie der TU München 64 Prozent von den 5.547 an der Untersuchung beteiligten Schüler:innen und Studierenden das durch Spiele gelernte, deutlich länger. Diese Art des Lernens ist allerdings fast nur online möglich und nicht in Vorlesungssälen und Seminarräumen.
Fortschritt statt Rückschritt!
Pauschal entweder Präsenz- oder Online-Lehre als Weg in die Zukunft der deutschen Hochschulen und Universitäten zu sehen, wäre ein fataler Fehler. Viel mehr ist es der richtige Umgang mit digitalen Möglichkeiten. Dass die Mehrheit der Dozierenden die Möglichkeiten der Online-Lehre von vornherein ablehnt, über einfache Zoom-Meetings, – schwarze Bildschirme und endlose Monologe – nicht hinaus geht und damit E-Learning im gesamten als höchstens notwendiges Übel während der Corona-Semester sieht, ist aber ein Versäumnis von Möglichkeiten. Statt auf Altem zu beharren, sollte doch ein Jeder und eine Jede – gerade im universitären Bereich – für innovative Neuerungen offen sein, gewillt, einen Schritt nach vorne zu machen. Zugunsten der Studierenden, aber auch der Dozierenden. Denn die Mischung machts: Der direkte Kontakt der Studierenden und Lehrenden an den Universitäten, ergänzt durch zeitgemäße und passende Online-Angebote.