Musical-Kritik
Priscilla Königin der Wüste – Glitzer und Glamour im Hinterland
Wie kommen drei Dragqueens inklusive Glitzer-Fummel durch das trockene Outback Westaustraliens? Über Umwege – aber freiwillig. So erzählt es zumindest das von Stephan Elliot und Allan Scott geschriebene Musical Priscilla Königin der Wüste. Basierend auf dem gleichnamigen Film der zwei Drehbuchautoren setzt sich das Stück mit den verschiedensten Themen aus der Drag- und Travestie-Szene auseinander. Nach internationalen Erfolgen war das Jukebox-Musical nun auch auf der Bühne des Münchner Gärtnerplatztheaters zu sehen.
“Hallelujah – It´s Raining Men” tönt es gleich zu Beginn von der Bühne ins Publikum. Gesungen wird der Hit von den drei omnipräsenten Diven, die Teil des Stücks aber nicht der Handlung sind. Und dann regnet es wirklich Männer – in engen Lederslips und zur Choreografie von Melissa King. Ab diesem Moment ist allen Anwesenden klar: Das Musical nimmt die Dinge beim Wort. Unter der musikalischen Leitung von Jeff Frohner, lernen wir, begleitet von zahlreichen bekannten Disco-Songs aus den 70ern und 80ern, so nach und nach die Figuren des Stücks kennen.
Drag-Queen und Vaterfigur?
Alles beginnt mit Tick alias Gloria Gay, der im Cockatoo Club mitten im Großstadtdschungel Sydneys sein Geld verdient. Als sich seine getrennt lebende Ehefrau Marion mit dem Wunsch bei ihm meldet, dass Tick doch endlich seinen Sohn kennenlernen könnte, entscheidet sich der Travestie-Künstler, die vernachlässigte Vater-Rolle einzunehmen. Der Haken: Marion wohnt im abgelegnen Alice Springs. Um dort weiterhin als Dragqueen auftreten zu können, braucht Gloria Gay Zuwachs. Zusammen mit Adam, beziehungsweise Felicia Jollygoodfellow, und der etwas älteren, transsexuellen Bernadette beginnt so die Reise ins Nirgendwo.
Doch schon während der Fahrt im ausrangierten Bus “Priscilla” treffen die verschiedenen Standpunkte aufeinander. Bernadette steht für die klassische Travestie-Kunst, die lippensynchrone Performance von Liedern, während Felicia selbst singt und frei nach dem Motto “Mehr ist Mehr” die Bühne mit fulminanten Kostümen vollends einnimmt. Das Trio merkt jedoch schnell, dass ihre internen Streitigkeiten das geringste Problem sind. Ein kaputter Motor und die Homo- und Transfeindlichkeit des australischen Hinterlands drohen die Reise scheitern zu lassen.
Zu viel Happy End?
Glücklicherweise treffen sie auf den Mechaniker Bob, der nicht nur großer Travestie-Fan ist, sondern – was ein Zufall – auch noch den Bus reparieren kann. Auch wenn all diese glücklichen Fügungen fast drohen den Bogen zu überspannen, behält das Stück seine Dynamik und arbeitet bis zu den letzten Minuten auf das eigentlich zentrale Ereignis hin: das Aufeinandertreffen von Tick und seinem Sohn, was durch deren abschließendes Duett eine gute Portion Rührseligkeit in Gil Mehmerts Inszenierung bringt.
Was dürfen Klischees?
Denn eigentlich ist das Stück mehr derb als feinfühlig. Von groben Witzen bis hin zu doppeldeutigen Anspielungen, zeigt das Musical viele Facetten des typischen Travestie-Humors. Vor allem Bernadette hält mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg – sie empfiehlt einer Kneipenbesitzerin, es sich mit einem Tampon selbst zu besorgen. Diese Art von Komik ist zwar bereits nach den ersten 20 Minuten vorhersehbar, sorgt jedoch trotzdem konstant für Lacher im Publikum.
Was eher für Verlegenheit sorgt, sind die rassistischen beziehungsweise diskriminierenden Klischees, die hin und wieder in unterschiedlichen Formen auf der Bühne zu finden sind. Sei es, dass ein weiß gelesener Darsteller als Aborigine verkleidet die Frage nach kultureller Aneignung aufwirft. Oder Bobs philippinische Frau, die als eher dümmliche “Asiatin” dargestellt wird. Zwar bedient sich die Inszenierung hierbei nur an Vorlagen aus dem Film – reproduziert dabei jedoch (problematische) Stereotype. Da stellt sich die Frage im Publikum: Ist so etwas nicht schon längst passé? Das Endergebnis – ein Musical kann trotzdem Baustellen aufzeigen, obwohl es im Bereich LGBTQIA+ unfassbar divers und progressiv ist.
Der Schwerpunkt des Musicals liegt letztendlich aber auf der Botschaft, dass die Travestie-Szene nicht nur in Nachtclubs bewundert werden kann. Und auch Eltern-Dasein kann fernab von Geschlechterrollen funktionieren. Die Angst des Protagonisten, sein Kind würde ihn aufgrund seiner “weiblichen Seite” nicht als Vater akzeptieren, verpufft, sobald die beiden aufeinandertreffen. Es wird klar: Ticks Sohn findet seinen Papa im Showbusiness unfassbar cool. Und spätestens die Standing Ovation des Publikums bestätigt, München möchte mehr Drag sehen.
Priscilla Königin der Wüste läuft aktuell noch bis zum 31.10.2021 am Münchner Gärtnerplatztheater. Zusätzliche Informationen und Karten findet ihr auf der Website des Theaters.