Kommentar

Angst vor unzeitgemäßen Wegweiser:innen? Die Debatte um Münchner Straßennamen

/ / Bild: M94.5 / Andre Wengenroth

6177 geprüfte Straßennamen, 370 davon problematisch. Die von der SPD-Fraktion angestoßene Recherche des Münchner Stadtarchivs bezogen auf die historische Belastung von Straßennamen macht klar: Es herrscht Redebedarf – und Handlungsbedarf. Doch besonders die möglichen Umbenennungen treffen auf Widerstand. Doch warum weigern wir uns so sehr, Geschichte kritisch zu beleuchten? Ein Kommentar von Sofia Koussouris. 

Die Straßennamen, die in München zur Debatte stehen, ehren meist Personen, die mit Antisemitismus, Kolonialverbrechen oder dem NS-Regime in Verbindung gebracht werden. Beispielsweise wird über den Kolumbusplatz diskutiert. Aber auch die nach dem Dichter benannte Ludwig-Thoma-Str. ist im Gespräch. Und auch wenn nur ein kleiner Teil der Straßen tatsächlich umbenannt werden soll und der Rest lediglich ein Hinweisschild erhalten könnte, ist der Aufschrei innerhalb der Politik und bei den Münchner:innen groß. 

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen
Das Stadtarchiv will im September über mögliche Straßenumbenennungen informieren.

Schließlich haben diese Personen doch auch zu unserer Gesellschaft beigetragen, heißt es dann schnell. Die kritischen Werte, die von den Namenspatron:innen entweder in oder um ihr Lebenswerk aufgenommen wurden, werden ungern aus dem Schatten ins Licht geholt. Sei es aus Angst, ein Vorbild zu verlieren oder einfach aus Bequemlichkeit. 

Es heißt dann gerne: Historische Persönlichkeiten sollte man im Kontext der Zeit lesen. Denn damals, damals waren deren Einstellungen keine verwerflichen Werte. Damals waren antisemitische Ansichten oder rassistische Äußerungen geläufig, vielleicht gehörten sie sogar zum guten Ton. Warum also im Nachhinein Konsequenzen für die “Kinder ihrer Zeit” ziehen? 

Allerdings verfälscht die Furcht davor, den Finger in die Wunde zu legen und die dunkle Seite gesellschaftlicher Galionsfiguren zu kritisieren unsere Erinnerung an sie. Durch diese Abwehrhaltung gegenüber Konsequenzen bezogen auf die antisemitischen Ansichten des potenziellen Lieblingsdichters behalten eben genau diese Ansichten einen Platz in unserer Gesellschaft. Und nicht irgendeinen: Straßennamen bedeuten eine Ehrung der Namenspatron:innen. Diese Ehrung ist aber nicht angemessen, wenn sie mit diskriminierenden Ideologien und Handlungen zusammenhängt. Der Fortbestand von historisch belasteten Straßennamen ist somit nicht nur fragwürdig, sondern ohne kritische Diskussion auch durchaus fahrlässig.