Außenpolitische Machtspielchen
Sofagate – Ähm, was jetzt?
Das sogenannte “Sofagate” sorgte Anfang April für weltweite Furore. Grund dafür war ein diplomatischer Skandal rund um den Chef:innen-Sessel bei einem Staatsbesuch in der Türkei. Der Skandal wirft neben der Behandlung von Frauen in der Türkei auch außenpolitische Fragen und die Rolle von Machtspielen in der Politik auf.
Gemeinsam mit dem EU Ratspräsidenten Charles Michel wurde die Kommissionschefin Ursula von der Leyen in den türkischen Präsidentenpalast geladen um dort im Doppelpack die EU zu vertreten. Während für Michel ein großer Stuhl in der Mitte bereitgestellt wurde, musste von der Leyen abseits auf dem Sofa Platz nehmen.
Es wird jetzt nach Schuldigen gesucht, die für diese unangenehme Situation zur Verantwortung gezogen werden können. Ganz vorne mit dabei ist natürlich der Gastgeber Erdogan, der die EU-Türkei Beziehungen schon öfter mit außenpolitischen Machtspielen gefährdet hat. Sein aggressives Verhalten im Zypernkonflikt oder die gleichgültige Haltung, mit der er Geflüchtete in die EU weiterschickt, bescheinigen das. Doch ganz so eindeutig ist die Situation bis jetzt gar nicht geklärt, denn da saß ja noch ein zweiter Mann im Stuhl: Charles Michel. Dieser hatte im Gegensatz zu von der Leyen ein Organisationsteam vor Ort. EU-Experte Florian Eder sieht deshalb hier auch die Möglichkeit, dass Charles Michel zeigen wollte, “wer Chef ist in Brüssel”.
Florian Eder schreibt für die Politik- und Nachrichtenplattform “Politico”. Dort veröffentlicht er den täglichen EU-Newsletter “Brussels Playbook”. Davor war er jahrelanger Europa-Korrespondent für “die Welt”.
Bild: Florian Eder / Politico
Als Kommissionschefin und Ratspräsident stehen von der Leyen und Michel politisch gesehen auf Augenhöhe nebeneinander, eine hierarchische Ordnung, die ein Amt über das andere stellt, gibt es nicht. Indem Michel Platz auf dem mittleren Stuhl nahm, stellte er sein Amt allerdings symbolisch betrachtet über das der Kommissionspräsidentin. Auch wenn er das nicht mit diesem Hintergedanken gemacht hat, erbrachte er Erdogan vermeintlich damit einen großen Gefallen, denn dieser profitiert von einer gespaltenen und geschwächten EU.
Beziehungskrise in der EU
Eigentlich waren die beiden hohen Vertreter der EU zu Besuch in Ankara, um dem türkischen Präsidenten wegen seines Austritts aus der gemeinsamen “Istanbul-Konvention” zur Rede zu stellen. Ende März war die Türkei aus dieser europäischen Vereinbarung zur Wahrung von Frauenrechten ausgetreten. Die Begründung: Das Abkommen habe zu “vermehrter Homosexualität und außerehelichem Sex” geführt. Als Reaktion wollte die EU einen harten Kurs fahren und Forderungen an Erdogan stellen. Doch seit dem Besuch in Ankara spricht die ganze Welt nur über Sofagate, die Forderungen verschwinden dagegen im Hintergrund. EU-Experte Eder plädiert deswegen dafür, dass solche internen Unklarheiten, wie zwischen Michel und von der Leyen, nicht vor anderen ausgetragen werden dürften, besonders nicht vor der Türkei. So sitzen die beiden jetzt in Brüssel. Michel um Reue bemüht, während von der Leyen die klare Aussage trifft, dass sie ein “solches Verhalten in Zukunft nicht tolerieren werde”.
Meister der protokollarischen Machtspielchen
Es ist noch nicht abschließend geklärt, wer für dieses Debakel verantwortlich war, schlussendlich lag es aber am Protokoll. Dass solche Krisen gerade wegen solcher protokollarischen Unklarheiten geschehen, ist ziemlich ironisch, denn wie Eder anmerkt, seien Protokolle eigentlich dafür da, solche Peinlichkeiten zu verhindern. Doch Staatsoberhäupter wie Erdogan, Putin und auch Trump verstehen es gut, diese Protokolle für Machtdemonstrationen zu instrumentalisieren. Auch der Israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu verstand das, als er während einer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine iranische Drohne in die Kamera hielt.
Direkt an den Iranischen Außenminister Sarif gerichtet, fragte er “Ist das nicht ihre?” und streckte das Teil einer zerstörten Drohne in die Luft. Das war eine Machtdemonstration aus dem Lehrbuch und wirkte wie Salz in der ewig klaffenden Wunde des Nahostkonflikts. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz sind solche Szenen aber eher die Ausnahme, dafür sorgt ein Koordinationsteam, das mit diplomatischem Fingerspitzengefühl Sitzordnung, Reihenfolge der Speaker:innen und Begegnungen plant.
Ben Brockt arbeitet seit sechs Jahren bei der MSC. Dort leitet er ein Team aus sechs Koordinationstalenten. Kurz vor der Münchner Sicherheitskonferenz wird dieses Team jedes Jahr auf circa 50 Leute aufgestockt
Bild: Ben Brockt
Geleitet wird das Team von Ben Brockt. Er sagt, dass diese Planung jedes mal ein “Regiekunstwerk” darstelle. Man müsse genau planen wer, wie, wo aufeinandertrifft, damit es nicht zu Auseinandersetzungen kommt.
Protokoll als Manifestation von Konflikten
Denn in solchen vom Protokoll geregelten Momenten steckt ein riesiges Potential für Affronts, wie man jetzt bei Sofagate sieht. Das Protokoll liefere einen “Ordnungsrahmen” auf den man sich gemeinsam einigt, so Brockt. Wenn einer der beiden beteiligten Parteien diesen Rahmen missachte, fühle sich die andere Partei hintergangen. Im Fall von Sofagate steckt aber noch viel mehr dahinter, denn in der peinlichen Sitzplatzvergabe manifestieren sich zwei grundlegende Konflikte. Auf der einen Seite die angespannten EU-Türkei-Beziehungen und der Umgang der Türkei mit Frauenrechten. Auf der anderen Seite aber auch der EU-interne Konflikt zwischen den beiden wichtigen Organen Rat und Kommission und ihren jeweiligen Präsident:innen. Bei internationalen Konflikten ist das dann wie bei persönlichen Konflikten: Bleiben die Konflikte zu lange ungeklärt unter der Oberfläche, brechen sie irgendwann durch kleinste Erschütterungen aus. Das ist meist ziemlich unschön für alle Beteiligten, so auch im Fall Sofagate.