M94.5 Albenreview
New Pagans – The Seed, The Vessel, The Roots and All
Das Debüt der nordirischen Indie-Rockband New Pagans funktioniert gut und beeindruckt besonders inhaltlich. Schreit aber nach einer Zeit, in der Bands wieder live auftreten können
Letztes Jahr gewinnen sie den Northern Ireland Music Prize in der Kategorie bester Live-Act. Ein Jahr später können die New Pagans mit ihrem Debütalbum nicht mal auf Tour gehen. Es ist eine deprimierende Geschichte, die genauso gut aus der Feder von Frontfrau Lindsey McDougall selbst stammen könnte. Schon seit Beginn ihres Studiums träumt sie davon eine Band zu gründen, ist aber den Überfluss an jungen, männlich geprägten Bands satt, die wirken als wäre ihnen alles gleichgültig. Ein knappes Jahrzehnt später hat sie nun die richtige Gruppe an Menschen für ihren Traum gefunden. Denn eines ist bei The Seed, The Vessel, The Roots and All von Anfang an klar. Für die New Pagans sind viele Themen sehr wichtig, und keine egal, wie sie mit ihrem Debüt beweisen.
Schon mit den ersten Sekunden des Songs “It’s Darker” ist der Grundstein für das restliche Album schnell gelegt. Prominenter Bass, ruckartige Gitarrenriffs und radiotaugliche Refrains, allen voran McDougalls leidenschaftliche Stimme. Der Vergleich mit Alt-Rock Größen wie den Pixies und The Smashing Pumpkins kommt da schnell. Und das nicht von ungefähr. Zusammen mit Sonic Youth nennt McDougall beide Bands als große Idole.
Vertraut, nicht geklaut
Abgekupfert klingt The Seed (…) dabei, aber nicht. Die Band beschreibt mit ihren Texten Themen wie Mutterschaft, Beziehungen, Abtreibungsrechte und die Religion, die in ihrem Heimatland so wichtig ist. Vor allem eines ist den New Pagans wichtig: Marginalisierten Stimmen, vor allem weiblichen, Prominenz zu geben. Der Song “Lily Yeats”, zum Beispiel beschreibt das Leben der gleichnamigen Stickerin, die ihr Leben im Schatten ihres Bruders, dem Poeten W.B. Yeats verbringen musste. Eine Thematik mit der sich McDougall gut auskennt. Sie hatte sich auch in ihrer eigenen Forschung an der University of Ulster mit Stickerinnen beschäftigt, die mit ihrer Kunst viel Einfluss auf Organisationen wie die irische Kirche hatten, schlussendlich aber ein Schicksal mit vielen Frauen in der Geschichte teilen, und kaum Erwähnung finden.
Nicht nur vergessene, weibliche Leistungen aber sind Teil ihrer Botschaft. Der letzte Song des Albums “Christian Boys” behandelt die Erfahrungen einer Freundin der Sängerin, der nach einer Affäre mit einer prominenten Figur in der Nordirischen Kirche vorgeworfen wurde, den Mann verführt zu haben. Genau diese Inhalte sind es, die das Album von einem kurzweiligen, zu einem wichtigen Debüt heben.
Ein Album, das sich nach Konzerten sehnt
Trotzdem liegen dem Album ein paar große Steine im Weg. Zwar sind alle Mitglieder der Band über 30, bringen aber in ihren Performances auf dem Album eine aufgeregte, fast jugendliche Energie rüber. Nur leider kommt die auf dem Album oft nicht so gut rüber wie gewünscht. Vielleicht hätte dem Album ab und an eine weniger radiofreundliche Produktion und härtere, schrillere Instrumentalpassagen gutgetan. Zudem sind fünf der elf Songs bereits aus der vorherigen EP Glacial Erratic bekannt, was die Wirkung neben den neuen Songs schmälern kann. Vor allem aber schreit das Album nach Live-Performances. Schon der Aufbau erinnert an eine Konzert-Setliste. Das Album beginnt mit viel Energie, nimmt sich zur Halbzeit eine melancholische Erholung auf einem der Highlights des Albums “Admire” und steigt nach vierzig Minuten mit dem Höhepunkt und bekanntesten Song aus.
Gelungenes Debüt mit wenig Überraschungen
Alles in allem ist The Seed, The Vessel, The Roots and All ein mehr als gelungenes Debüt, das viel Zuversicht für die Zukunft der Gruppe gibt. Die Aussicht darauf so schnell nicht live mitsingen zu können und die vergleichsweise wenigen neuen Songs geben dem Album jedoch einen leicht bitteren Nachgeschmack.
The Seed, The Vessel, The Roots and All von New Pagans ist am 19.03.2021 über Big Scary Monsters erschienen